Die Energiemanagement-App seines Unternehmens verbindet mehr als 50.000 Systeme zu einem virtuellen Kraftwerk, sagt Philipp Schröder. (Bild: 1komma5°)

Klimareporter°: Herr Schröder, Ihr Unternehmen gehört zu den neuartigen Energieanbietern in Deutschland. Ihre Kundinnen und Kunden freuen sich, wenn die Sonne scheint und ihre Solaranlagen brummen, doch Sie selbst haben bereits vor einem Blackout gewarnt, wenn insgesamt zu viel Solarstrom ins Netz eingespeist wird. Da stellt sich doch die Frage: Muss man die Energiewende nicht bremsen, damit die Systeme stabil bleiben?

Philipp Schröder: Ganz im Gegenteil. Ich finde diesen Gedanken sogar ziemlich absurd. Das wäre, als ob man eine kostenfreie, saubere Trinkwasserquelle entdeckt, die reichlich sprudelt – und dann ruft jemand: "Oh nein, zu viel sauberes Wasser! Lasst uns das abdrehen!"

Genauso sehe ich das bei erneuerbarer Energie. Man kann nicht zu viel günstigen und sauberen Strom haben. Was uns fehlt, ist Flexibilität der Netznutzung und der dafür anfallenden Netzentgelte.

Heute sind unsere Netzentgelte starr – das heißt, es macht preislich keinen Unterschied, ob ich Strom zu einer Zeit ins Netz einspeise oder verbrauche, in der es zu wenig oder viel zu viel gibt. Das ist nicht zeitgemäß. Wir brauchen eine intelligente Flexibilisierung – unabhängig davon, ob es sich um ein Gaskraftwerk, eine Solaranlage auf dem Dach oder auf einer Freifläche handelt.

Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag das Tempo der Energiewende "nachjustieren", um sie effizienter und günstiger zu machen. Das gefällt Ihnen als Energiewende-Unternehmen wohl eher nicht ...

Doch, ganz im Gegenteil – wir sind sehr für günstigen Strom. Unser Unternehmen versteht sich als Elektrifizierungsdienstleister. Wir helfen unseren Kundinnen und Kunden, unabhängig von Öl und Gas zu werden, und setzen hierzu ausschließlich auf strombasierte Klimaanlagen, Wärmepumpen oder Ladesäulen samt Elektrofahrzeug im System. Den Stromverbrauch in Einklang mit der Stromproduktion – vor allem durch Sonne und Wind – zu bringen, ist Kern unserer Dienstleistung und im Ergebnis sehr günstig. Genau dafür haben wir eine Software entwickelt.

Was wir kritisieren, ist, dass viele der alten Energieversorger lieber ihre Gaskraftwerke hochfahren wollen und Kunden in starren, über 100 Jahre alten Tarifmodellen binden, statt den günstigen, sauberen Strom intelligent zu nutzen. Gleichzeitig wird die Elektrifizierung ausgebremst – Wärmepumpen, E‑Autos oder Strom-Heimspeicher werden bisher nicht gezielt eingesetzt, um Strom aufzunehmen, wenn es Sinn macht. Aber gerade das würde helfen, das Problem zu lösen: Harmonisierung von Verbrauch und Produktion.

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche von der CDU plant aktuell den Bau von bis zu 20.000 Megawatt an Gaskraftwerken, um das Netz zu stabilisieren, wenn zu wenig Wind- und Solarstrom da ist. Ihr grüner Vorgänger Robert Habeck peilte etwa 10.000 an. Was halten Sie für realistisch?

Ich tendiere eher zu Habecks Zahl, wahrscheinlich geht es sogar darunter. Die eigentliche Frage lautet: Auf welchen Annahmen basieren diese Planungen? Wenn man ein starres Stromnetz unterstellt, ohne Flexibilisierung und intelligente Steuerung, dann braucht man mehr Grundlast und Netzausbau.

Aber wenn wir unsere Stromverbraucher und -erzeuger mit Smart Metern intelligent vernetzen und den Stromverbrauch an die Verfügbarkeit anpassen, dann benötigen wir viel weniger Backup-Kraftwerke als gedacht, und gleichzeitig kommt der überschüssige, saubere Strom dort an, wo er hingehört: bei den Verbrauchern, nicht im Ausland.

Wären 5.000 Megawatt Gaskraftwerke ausreichend? Dann könnte Reiche drei Viertel der dafür nötigen Subventionen einsparen.

Wenn sich regulatorisch nichts ändert, brauchen wir 5.000 bis 10.000 Megawatt. Aber wenn wir die Digitalisierung und Flexibilisierung des Netzes konsequent umsetzen – und beispielsweise nur die schon heute installierten über 20.000 Megawatt an Heimspeichern vernetzen und sinnvoll steuern – dann wären 5.000 Megawatt vermutlich genug. Entscheidend ist, dass Erzeugung und Verbrauch intelligent zusammengeführt werden.

Aber was passiert in einer Dunkelflaute, die auch einmal eine oder zwei Wochen dauern kann – mit kaum Sonne, kaum Wind?

Flexibilität ist tatsächlich eine Art Allheilmittel für fast jede Wetterlage. Wird der Stromverbrauch millionenfach und automatisch verlagert und werden Puffer wie Heimbatterien und E‑Autos im Schwarm genutzt, fällt in Zeiten ohne Produktion von erneuerbaren Energien auch weniger Verbrauch an – im Ergebnis wird die Grundlast in der sogenannten Dunkelflaute hierdurch also geringer ausfallen.

Der springende Punkt ist: Unser heutiges Problem ist nicht ein Mangel an Kraftwerken, es sind 40 Millionen Haushalte in Deutschland, die komplett ungesteuert Strom produzieren und verbrauchen. Die richtige Marktgestaltung kann den Bedarf an Grundlast deutlich reduzieren.

Die Gaskraftwerke könnten doch künftig mit grünem Wasserstoff betrieben werden – wäre das nicht die Lösung?

Grüner Wasserstoff ist langfristig sicher eine wichtige Komponente. Aber wichtiger ist zunächst, die Elektrifizierung von Verkehr und Wärme schneller und intelligenter hinzubekommen. Wenn man Wärmepumpen, Ladeinfrastruktur und Heimspeicher so fördert, dass sie intelligent steuerbar sind, kann man die Stromflüsse effizienter managen. Dafür braucht es aber flächendeckend Smart Meter statt der herkömmlichen Stromzähler – und integrierte Energielösungen, die Photovoltaik, Stromspeicher, Wärmepumpen, Klimaanlagen und E‑Auto-Ladesäulen smart koppeln.

Bild: Christoph Neumann

Philipp Schröder

ist Chef und Gründer des Hamburger Cleantech-Unternehmens 1 Komma 5 Grad – Eigen­schreib­weise 1komma5°. Das 2021 gegründete Start-up gilt als "Unicorn" und bietet in sechs EU-Ländern und Australien Solaranlagen, Batterie­speicher, Wärmepumpen, Wallboxen für E‑Autos, Klimaanlagen und eine Software als Komplett­lösung an. 2024 verzeichnete das Unternehmen 520 Millionen Euro Umsatz, es hat rund 2.500 Beschäftigte. Schröder hat Rechts­wissen­schaften und Management erneuerbarer Energien studiert und war Geschäfts­führer von Tesla Deutschland und des Solarspeicher-Anbieters Sonnen.

So wie unser Unternehmen das mit der Energiemanagement-Software "Heartbeat AI" macht. Damit optimieren wir derzeit mehr als 50.000 Systeme und haben so Europas größtes virtuelles Kraftwerk geschaffen, das Privatkunden mit dem Energiemarkt vernetzt und Stromerzeugung und -verkauf im Takt von Wind und Sonne steuert. Die Leistung entspricht mit 500 Megawatt knapp 50 Prozent eines konventionellen AKW. Wir hoffen, dass wir das erste AKW bald zusammen haben und somit aktiv zur Optimierung der Grundlast beitragen können.

Was sollte die Bundesregierung konkret jetzt tun?

Erstens: den flächendeckenden Rollout von Smart Metern endlich konsequent umsetzen. Das Geld dafür wäre da, beispielsweise aus dem Infrastruktur-Sondervermögen.

Zweitens: Die Flexibilisierung des Strommarkts vorantreiben, damit Verbraucherinnen und Verbraucher von den günstigen Preisen profitieren können. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im Mai hatten wir über 120 Stunden mit negativen Strompreisen an der Börse, weil mehr erneuerbarer Strom erzeugt als verbraucht wurde. Statt diesen Strom hier in Deutschland zu speichern oder direkt zu verbrauchen, haben wir ihn ins Ausland verschenkt – und obendrauf noch Geld gezahlt.

Das ist volkswirtschaftlich unsinnig und liegt an der fehlenden Möglichkeit zur Abrechnung, da Stromzähler in Deutschland noch immer einmal im Jahr per Hand ausgelesen werden. Wenn wir das System reformieren, könnten wir diese Vorteile im Land behalten – und die Strompreise für die Haushalte senken. Das ist im Übrigen Standard in Skandinavien und Benelux, und selbst Italien hat 100 Prozent Abdeckung mit solchen Smart Metern.

Herr Schröder, früher war es für Privatpersonen lukrativ, eine Solaranlage aufs Dach zu setzen und den Strom ins Netz einzuspeisen. Heute lohnt sich das kaum noch. Warum sollten sich Menschen trotzdem dafür entscheiden?

Früher hat der Staat, also wir alle, eine Vergütung bei Einspeisung gezahlt. Man hat Strom somit teuer ins Netz eingespeist und daran verdient. Das war sinnvoll zur Markteinführung. Heute aber steht ein anderer Gedanke im Vordergrund: Wer heute eine Solaranlage auf dem Dach hat, produziert Strom für etwa fünf Cent pro Kilowattstunde – inflationsfrei, direkt zu Hause.

Stellen Sie sich vor, der Staat hätte früher den Kauf von Küchenzeilen subventioniert, und dadurch wurden die Küchengeräte immer billiger. Heute nun kauft man eine Küche, weil man gerne kocht und das langfristig günstiger ist, als essen zu gehen. So ist es jetzt auch mit der Solarenergie, sie ist erwachsen und unschlagbar.

 

Was kostet der Strom konkret, wenn man ihn über Ihr System erzeugt und nutzt?

Unsere Kundinnen und Kunden verbrauchen im Schnitt zwischen 6.000 und 10.000 Kilowattstunden pro Jahr – mehr als der Durchschnitt, weil sie meist Wärmepumpen oder E‑Autos haben. Der durchschnittliche Preis, den sie am Ende zahlen müssen, liegt dann bei rund sieben Cent pro Kilowattstunde, inklusive der Kosten der Solaranlage, der Netzentgelte und der Mehrwertsteuer. Im Sommer, wenn die Sonne viel scheint, kann der Preis zeitweise sogar auf null sinken. Zum Vergleich: Beim klassischen Stromanbieter liegt der Preis derzeit meist bei über 30 Cent pro Kilowattstunde.

Die sieben Cent können Sie garantieren?

Jeder Kunde erreicht unterschiedliche Werte, je nach Gegebenheiten vor Ort, wie zum Beispiel der Größe der Solaranlage und dem Vorhandensein von E‑Auto oder Stromspeicher beziehungsweise Klimaanlage. Aber im Schnitt haben unsere Kunden immer günstigen und sauberen Strom, da wir an der Strombörse direkt einkaufen. Unsere Kunden müssen nie wieder einen Stromtarif abschließen, da Heartbeat AI ständig Einkauf und Verkauf optimiert, unabhängig davon, ob Preise gerade steigen oder fallen. Im Schnitt sparen Kunden so zwischen 80 und 95 Prozent – und das dauerhaft.