Luftaufnahme eines Windrades, das einen Schatten auf ein Feld wirft.
Um die Perspektiven der Windenergie an Land wird gerungen. (Foto: Michiel Manten/​GLF Media/​Shutterstock)

Diese Woche fällt, gerade noch vor dem Wirksamwerden, endlich der Solardeckel. Nicht nur die Solarwirtschaft und engagierte Klimaschützerinnen und Klimaschützer wischen sich den Schweiß von der Stirn. Auch in der Politik scheint man sich fraktionsübergreifend einig, dass das "gerade noch mal gut gegangen" ist.

Dabei hat es schon ein blaues Auge gegeben, wurden Projekte wegen der wachsenden Unsicherheit verschoben oder abgesagt.

Wieder einmal hat die große Koalition viel zu lange für eine – diesmal besonders simple – Energiewendeentscheidung gebraucht und erst in letzter Minute reagiert. Gleichzeitig wurden andere wichtige Punkte wie der Reformbedarf beim Mieterstrom mal wieder aufgeschoben.

Nach gleichem Drehbuch zeichnet sich schon das nächste Drama ab, diesmal beim Weiterbetrieb der alten Erneuerbare-Energien-Anlagen. Auch hier tritt der Ernstfall bereits in einem halben Jahr ein, und bisher gibt es keinerlei Anschlussregelungen. Noch nicht einmal Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch.

Für Betreiber alter Windräder hat die Corona-Pandemie die Lage zusätzlich verschärft. Die Preise am Strommarkt wurden massiv in die Knie gezwungen. Das hat viele – zuvor eigentlich hoffnungsvolle – Betreiber vor das Problem gestellt, dass ein Weiterbetrieb zu einem Marktwert von unter drei Cent je Kilowattstunde wirtschaftlich schlicht nicht darstellbar ist.

Wieder müssen Unternehmen, Verbände und Engagierte also ihre Aufmerksamkeit und Kraft darauf konzentrieren, mit einiger Betriebshektik einen Rückgang bei der Erzeugung erneuerbarer Energien zu verhindern. Und wieder geht es darum, die Regierung zu Last-Minute-Minimalkompromissen zu bewegen, statt um die so dringend notwendigen großen Würfe beim Klimaschutz zu ringen.

Einfach verantwortungslos

Dabei scheint die Sache mit etwas Abstand betrachtet recht einfach: Zum Jahreswechsel fallen 3.700 Megawatt Windkraft aus der EEG-Vergütung. Für einen Teil davon ist Repowering die beste Lösung, also das Errichten neuer, leistungsstärkerer Anlagen am selben Standort.

Eine Befragung der Fachagentur Windenergie an Land ergab jedoch, dass vor allem aufgrund regionalplanerischer Beschränkungen bei gerade mal der Hälfte dieser besonders alten Anlagen ein Repowering überhaupt denkbar ist. Und angesichts der zurzeit sehr langen Genehmigungsverfahren und der geringen Investitionstätigkeit im Windbereich darf man vermuten, dass diese Potenziale kurzfristig kaum ausgeschöpft werden können.

Für den überwiegenden Teil der Alt-Anlagen ist daher der Weiterbetrieb die einzige schnell umsetzbare Option. Dafür müssen die Erlöse aus der Stromvermarktung aber die Betriebskosten decken, wobei natürlich eine erfolgreiche Weiterbetriebsprüfung und Betriebserlaubnis vorausgesetzt ist.

Porträtaufnahme von Tim Meyer.
Foto: Naturstrom

Tim Meyer

hat Elektro­technik studiert und am Fraunhofer-Institut für Solare Energie­systeme promoviert. Nach Tätigkeiten in der Fraunhofer-Gesellschaft, der Industrie und als Gründer im Solarstrom­markt kam er 2015 zu Naturstrom. Heute ist er Vorstand bei dem Öko-Energie­versorger und Mitglied des Heraus­geber­rats von Klimareporter°.

Im Jahr 2017 haben Naturstrom und die Deutsche Umwelthilfe ermitteln lassen, dass gut die Hälfte der Altanlagen auf Dauer Preise am Strommarkt von 3,5 bis vier Cent je Kilowattstunde braucht, um wirtschaftlich weiterbetrieben werden zu können.

Gut 20 Prozent der Anlagen kämen auch mit etwas geringeren Preisen zurecht, weitere gut 20 Prozent benötigen aber höhere Erlöse für einen wirtschaftlichen Betrieb.

Zwischenzeitlich bestand die Hoffnung, dass ein wirksamer CO2-Preis auch die Preise im Strommarkt stabilisieren und schrittweise weiter nach oben treiben kann. Als Preissignal auch für den effizienten Umgang mit Energie ist dies die einzig richtige Richtung.

Corona hat diese Entwicklung und damit die Hoffnung auf einen selbsttragenden Weiterbetrieb nun vorerst zunichtegemacht. Im April lag der "Marktwert Wind" an der Strombörse erstmalig unter einem Cent je Kilowattstunde.

Nach dem Prinzip Hoffnung könnte man jetzt erst einmal weiter abwarten. Die Talsohle namens Coronakrise scheint ja irgendwie fast schon durchschritten, also werden auch die Marktpreise beim Strom ihren Aufwärtstrend der letzten vier Wochen fortsetzen. Und zum Jahreswechsel auf 2021 werden wir wieder in der schönen alten Gedankenwelt leben, in der viele Betreiber sich auf eine positive Zukunft einlassen und gegen ein Abschalten entscheiden werden.

Derzeit lässt das Wirtschaftsministerium jedenfalls verlautbaren, dass man dort in der Frage, wie es mit der Post-EEG-Windkraft weitergehen soll, keinen Regelungsbedarf sieht.

Ist das so einfach? Oder ist das einfach verantwortungslos? Will die Bundesregierung sich beim notwendigerweise immer langfristig zu denkenden Klimaschutz von kurzfristigen Marktentwicklungen und Unwägbarkeiten wie vielleicht steigenden Corona-Fallzahlen im Herbst abhängig machen?

Neue Folge, alter Plot

Einfach und gleichzeitig verantwortungsvoll wäre, ein Fallnetz aufzuspannen gegen solche Unwägbarkeiten. Konkret hat Naturstrom deshalb vorgeschlagen, eine Auffangprämie für alte Windräder einzurichten: eine weitere Abnahme und Vergütung des Stroms über das EEG-System bei einer sehr geringen Basisprämie von 3,2 Cent pro Kilowattstunde, die dann je nach Standort und Anlagengröße noch nach oben oder unten angepasst wird, maximal jedoch bis 4,5 Cent.

Das ganze Instrument soll auf zwei Jahre befristet sein und somit wirklich nur zur Überbrückung der aktuellen Ausnahmesituation am Strommarkt dienen. So könnten mit sehr geringen volkswirtschaftlichen Kosten viele Anlagen zunächst weiterbetrieben und damit erhebliche, sonst fehlende Ökostrommengen gesichert werden.

Ein Wechsel in die freie Vermarktung bleibt dabei monatlich möglich und auf Dauer die attraktivere Option. Das staatliche Auffangnetz würde also nur bei einer tatsächlichen Fortsetzung des Ausnahmezustands am Strommarkt greifen.

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrates in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Es könnte also ziemlich einfach sein. Aber wie so häufig bei Fortsetzungsserien, ist leider jede Folge nach demselben Strickmuster aufgebaut. Wer erinnert sich nicht an die Episoden zum Kohleausstieg, zum Klimaschutzprogramm oder zur Wasserstoffstrategie?

Was wurde da nicht alles über Nacht zusammengeklöppelt oder in Kommissionen erarbeitet und dann kurzerhand anders entschieden oder gar nicht in Gesetzesform gebracht.

Zum Schluss noch der Teaser für die nächste Folge: alte Photovoltaik-Kleinanlagen, die zum Jahreswechsel 2021 ebenfalls aus der EEG-Förderung fallen. Ohne Gesetzesänderungen wird dann die Einspeisung selbst kleinster Reststrommengen unzulässig – egal, ob die Betreiber ihre Anlage für den Eigenverbrauch oder aus purer Überzeugung sogar unwirtschaftlich weiterbetreiben wollen. Es gibt zwar einige überkomplexe Regelungsvorschläge, so aus der Bundesnetzagentur, aber nichts Greifbares aus dem Ministerium.

Doch bei allem Frust: Der Umgang mit Corona zeigt, dass die Politik tatkräftig handeln kann. Der wesentliche Unterschied ist vermutlich, dass hier zwischen Ursache und Wirkung, Entscheidung und sichtbarem Ergebnis nur Tage oder Wochen liegen.

Beim Klimaschutz sind es Jahre und Jahrzehnte. Da ist der Druck nicht so spürbar. Es gibt eben nichts Drängendes, was man durch Abwarten nicht noch drängender machen könnte. Es bleibt also unsere Aufgabe, mit aller Kraft zu drängen.

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