Der erste "Tag X": Es war der Auftakt für regelmäßige Proteste, Blockaden und Straßenschlachten wegen der Castor-Fuhren nach Gorleben, die die Republik regelmäßig im Herbst im Atem hielten. Vor fast genau 40 Jahren erreichte der erste Atommüll-Transport das Zwischenlager im damals geplanten "nationalen Entsorgungszentrum" im niedersächsischen Wendland, nahe der Grenze zur DDR.

Auf den Jahrestag macht jetzt die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg aufmerksam. Die BI erinnert auch daran, dass die Castor-Transporte zwar inzwischen gestoppt sind, die dauerhafte Entsorgung des bundesweit auch an 16 AKW-Standorten lagernden Atommülls aber längst nicht gelöst ist.

 

Beim ersten Gorleben-Transport ging es um schwach und mittelradioaktive Abfälle, die in Fässern aus dem 160 Kilometer entfernten AKW Stade westlich von Hamburg ins Wendland gefahren wurden. Später kam stark strahlendes Material hinzu, das in Castor-Behältern über weit größere Entfernungen herangeschafft wurde, vor allem die Reststoffe aus der Wiederaufarbeitung im französischen La Hague.

Heute stehen 113 Castoren in dem Zwischenlager. Der letzte Transport fand 2011 statt. Danach wurden die noch anfallenden Behälter an den AKW-Standorten eingelagert.

Zwischenlager werden zu Langzeitlagern  

Am 8. und 9. Oktober 1984 kamen in Gorleben Fuhren aus Stade an. "Dirigiert von Helikoptern, eskortiert von 2.000 Polizisten raste der Konvoi durch die Dörfer. Straßen wurden abgeriegelt, Menschen, die sich querstellten, kurzerhand festgenommen", so die Bürgerinitiative.

Es habe erstmals Ausnahmezustand in der Region geherrscht. Flankiert worden sei der martialische Auftritt noch durch ein Bundeswehrmanöver mit schwerem Gerät.

Bauer und Bäuerin sitzen als lebensgroße Strohpuppen auf einem Lastwagen-Anhänger, neben ihnen zwei als Atommüll angemalte Fässer, ein gelbes X aus Holz und mehrere Schilder: Atomkraft? Todsicher! – Demokratie ade. – Wir stellen uns quer!
2011: Kreativer Protest der Bevölkerung im Wendland gegen die "Castor"-Transporte nach Gorleben. (Bild: Christian Fischer/​Wikimedia Commons)

Dem ersten "Tag X" waren eine Wendland-Blockade und eine Menschenkette in der Region vorausgegangen. Das sei ein "Vorspiel" gewesen für die Mobilisierung und das, was Mitte der neunziger Jahre dann mit dem ersten Castortransport nach Gorleben bis 2011 den Alltag im Wendland bestimmte.

Gorleben war 1977 vom damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) als nationales Entsorgungszentrum bekanntgegeben worden. Dort sollten nach den damaligen Plänen neben Zwischenlagern auch eine "Atomfabrik", also eine Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Atombrennstäbe, und ein unterirdisches Endlager entstehen. Beides wurde später aufgegeben.

Die Bürgerinitiative kommentiert: "Vierzig Jahre nach dem Einlagerungsbeginn sehen wir, dass die Frage, wohin mit dem Atommüll, noch lange nicht gelöst ist."

Das Fasslager in Gorleben mit schwach und mittelaktiven Abfällen werde unbefristet betrieben, da unsicher sei, ob das dafür als Einlagerungsort geplante ehemalige Erzbergwerk Schacht Konrad geeignet sei. Und in der Castorhalle stünden 113 Behälter mit hoch radioaktiven Abfällen, deren Aufbewahrungsgenehmigung 2034 ende.

Da ein Endlager-Standort nach jüngsten Planungen wohl erst 2060er oder 2070er Jahren feststeht und noch später eingerichtet wird, mutierten die "Zwischenlager" zu Langzeitlagern – "mit allen Risiken einer oberirdischen Lagerung dieser brisanten Abfälle", so die BI.

Bayerische Landräte wollen Atommüll loswerden

Die sich abzeichnende Langzeit-Lagerung sorgt auch an den AKW-Standorten zwischen Schleswig-Holstein und Bayern immer wieder für Unmut.

Unlängst meldeten sich dazu zwei bayerische Landräte, Peter Dreier (Freie Wähler) aus Landshut und Hans Reichhart (CSU) aus Günzburg, zu Wort. Sie schlugen vor, alle in Deutschland gelagerten Castorbehälter nach Gorleben zu transportieren, um sie dort bis zur Endlagerung unterzubringen.

In Reichharts Landkreis liegt das AKW Gundremmingen, im dortigen Zwischenlager stehen 127 Castor-Behälter, die Genehmigung läuft 2046 aus. In Dreiers Region befindet sich das AKW Isar mit 88 Castoren, die Genehmigung dort gilt bis 2047.

Die beiden Politiker argumentierten, die Überwachung und Sicherung eines einzelnen Lagers in Gorleben sei wesentlich einfacher und effektiver als die gegenwärtige Verteilung auf 16 AKW-Standorte.

 

Aus Niedersachsen kam sofort heftige Kritik an dem Vorschlag. "Die Forderung aus Bayern ist an Dreistigkeit und Unverschämtheit nicht zu überbieten", sagte der dortige Umweltminister Christian Meyer (Grüne).

Meyer nannte es "heuchlerisch und unverantwortlich", Bayern als Atomendlager auszuschließen, gleichzeitig neue Atomkraftwerke bauen zu wollen und zu meinen, der gesamte bayerische Atommüll könne in Niedersachsen abgeladen werden.

Auch die Gorleben-BI wies den Vorstoß zurück. Der Atommüll solle nicht quer durch die Republik gefahren werden, um Transportrisiken auszuschließen. Nötig seien aber deutlich höhere Sicherheitsstandards bei den Zwischenlagern.

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