Das Stromsystem arbeitet noch nicht für die Energiewende. (Bild: Martin Vorel/​Libreshot)

Das Stromnetz in der EU ist 11,3 Millionen Kilometer lang und versorgt 266 Millionen Haushalte und Unternehmen in den 27 Mitgliedsländern. Die Kabellänge würde ausreichen, um die Erde 282-mal zu umrunden. Doch das Netz muss dringend ausgebaut und modernisiert werden, wie eine Analyse des Europäischen Rechnungshofs zeigt.

Die Gründe: Die Stromnachfrage dürfte sich wegen E‑Autos, Wärmepumpen und mehr Elektrifizierung in der Industrie bis 2050 mehr als verdoppeln. Gleichzeitig ist das Netz fit zu machen für die steigende Einspeisung von Ökostrom. Dafür müssen die Netzbetreiber mehr Investitionen einplanen als derzeit vorgesehen.

Die Grundstruktur des Stromnetzes in der EU stammt noch aus dem 20. Jahrhundert, als es auf Großkraftwerke ausgerichtet wurde und die eher dezentral ausgerichteten erneuerbaren Energien praktisch noch keine Rolle spielten. Fast die Hälfte der Leitungen ist über 40 Jahre alt. Das Netz muss also dringend modernisiert werden.

"Um die Wettbewerbsfähigkeit und Unabhängigkeit der EU sicherzustellen, brauchen wir eine moderne Infrastruktur, die unserer Industrie nutzt und die Preise im Rahmen halten kann", sagte Keit Pentus-Rosimannus, die als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs für den Bericht zuständig war. Erhebliche Investitionen ins Stromnetz seien unbedingt erforderlich, so die frühere estnische Finanzministerin.

Geplante 1,9 Billionen Euro bis 2050 reichen nicht aus

Die EU-Kommission schätzt den Investitionsbedarf für die Netze bis 2050 auf zwei bis 2,3 Billionen Euro. Die derzeitigen Planungen der Netzbetreiber liegen lauf Rechnungshof mit knapp 1,9 Billionen Euro noch darunter.

Außerdem werde die nötige Modernisierung durch schlechte Netzplanung, langwierige Genehmigungsverfahren, Probleme mit der öffentlichen Akzeptanz sowie einen Mangel an Ausrüstung, Material und qualifizierten Arbeitskräften gebremst. Die Rechnungshof-Prüfer schlagen daher unter anderem eine bessere Koordinierung von Netzplanungsverfahren und die Straffung von Genehmigungsverfahren vor.

Großen Wert legen die Prüfer auch auf mehr Flexibilisierung im Netz durch Anpassung an das fluktuierende Ökostrom-Angebot und mehr Stromspeicher. Dies könne dazu beitragen, den Investitionsbedarf zu senken. Dann sei es auch nicht mehr unbedingt erforderlich, das Netz in großem Stil auszubauen, argumentiert der Rechnungshof.

Instrumente wie intelligente Zähler könnten helfen, Nachfragespitzen zu entschärfen – hierbei werden Verbraucher wie Wärmepumpen und E‑Autos, wenn ohne Komfortverlust möglich, zeitweise vom Netz genommen. Die Prüfer monieren hier, dass die Umrüstung auf die Smart Meter in einigen EU-Staaten "nach wie vor nur schleppend" vorangehe. Das trifft gerade auch auf Deutschland zu. Hier sind erst rund 15 Prozent der Haushalte und Unternehmen mit den intelligenten Zählern ausgestattet.

Der Rechnungshof plädiert zudem dafür, die dezentrale Stromproduktion und ‑nutzung besonders voranzutreiben, um das Netz zu entlasten – etwa durch Haushalte und Energiegemeinschaften, die gemeinsam Strom erzeugen und vor Ort verbrauchen.

Stark ausgebautes Verbundnetz gegen Dunkelflauten

Rechnungshof-Expertin Pentus-Rosimannus betonte: "Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um den Investitionsbedarf so gering wie möglich zu halten. Neue Technologien, Speichermöglichkeiten und flexiblere Netze können dazu beitragen, die Kosten zu senken."

Ins Auge gefasst muss laut den Prüfern allerdings auch ein stärkerer Ausbau der Verbundnetze zwischen den EU-Ländern. Dies könnte nach Ansicht von Fachleuten die fluktuierende Einspeisung der Erneuerbaren zum Teil ausgleichen.

Ein Beispiel dafür erbrachte unlängst eine Analyse der "Dunkelflauten" in Deutschland durch den Deutschen Wetterdienst (DWD). Die Erneuerbaren-Stromproduktion war danach im November und Dezember aufgrund schwacher Windverhältnisse und wenig Sonne während der damals herrschenden Großwetterlage "Hoch Mitteleuropa" zeitweise sehr niedrig.

Da zeitgleich aber unter anderem im Norden Skandinaviens überdurchschnittliche Windverhältnisse herrschten, habe zumindest aus meteorologischer Sicht die Möglichkeit eines innereuropäischen Ausgleichs bestanden, folgerte der DWD.

 

Die EU hat die Finanzmittel bereits deutlich erhöht, die sie für Investitionen in die Stromnetze zur Verfügung stellt. Sie betrugen im Haushaltszeitraum 2014 bis 2020 rund 5,3 Milliarden Euro, für die Periode 2021 bis 2027 sind es bereits 29,1 Milliarden Euro. Ein Hauptgrund für den Aufwuchs war Russlands Angriff auf die Ukraine, der die Notwendigkeit erhöhte, Alternativen zum Erdgas zu finden. Dazu gehört auch die Elektrifizierung der EU-Wirtschaft.

Der Großteil der Kosten für den Netzausbau muss allerdings von den Netzbetreibern aufgebracht werden, die sie dann auf die Kundschaft umlegen. Eine Voraussage dazu, wie stark die Einbindung der Erneuerbaren und die Netzinvestitionen die Stromrechnungen erhöhen wird, traf der Rechnungshof nicht.

Der Hof verweist aber auf eine Kalkulation der EU-Kommission. Diese gehe davon aus, dass die Strompreise trotz steigender Netzkosten langfristig relativ stabil bleiben werden, da fossile Brennstoffe zunehmend durch immer günstigere erneuerbare Energien ersetzt werden.

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