Angestellte des Übertragungsnetzbetreibers 50 Hertz im Kontrollzentrum in Berlin-Marzahn.
Transmission Control Centre in Berlin: Im Nordosten Deutschlands wird viel Ökostrom produziert und relativ wenig verbraucht. (Bild: 50 Hertz)

Es war ein Paukenschlag, mit dem sich die Betreiber der großen europäischen Strom-Übertragungsnetze zu Wort gemeldet haben. Sie sprechen sich für eine Reform des Strom-Großhandels in Deutschland und Luxemburg aus. Damit wären deutliche wirtschaftliche Vorteile verbunden, ermittelten sie bei einer europaweiten Überprüfung der Preiszonen, englisch Bidding Zone Review.

Konkret geht es darum, dass die große deutsch-luxemburgische Strompreiszone in zwei bis fünf Preiszonen aufgeteilt werden könnte. Damit wären im Jahr 2025 wirtschaftliche Effizienzgewinne von 251 bis 339 Millionen Euro möglich gewesen, ergaben die Untersuchungen. Am besten schnitt dabei die Variante ab, bei der die große Preiszone in fünf kleine Zonen aufgeteilt war.

 

Widerspruch kam von den vier deutschen Übertragungsnetz-Betreibern 50 Hertz, Amprion, Tennet und Transnet BW. Sie waren zwar auch an der Überprüfung beteiligt, bewerten das Ergebnis aber anders als ihre europäischen Partnerunternehmen. In einer eigenen Stellungnahme sprechen sie sich deutlich dagegen aus, die deutsch-luxemburgische Preiszone aufzuteilen.

Sie halten die berechneten Wohlfahrtsgewinne für nicht aussagekräftig. Außerdem würden die Kosten unterschätzt, die bei der Aufteilung der Preiszone entstehen. Die deutschen Netzbetreiber weisen auch darauf hin, dass in der Studie mehrere wichtige Entwicklungen nicht berücksichtigt worden seien.

Regionale Ungleichgewichte und Engpässe

Die europäischen Netzbetreiber hatten in der groß angelegten Studie untersucht, wie die Preiszonen des Strombörsenhandels in Nord- und Mitteleuropa am besten zugeschnitten sein sollten. Eine Preiszone sehen sie als ein geografisches Gebiet, in dem Strom an der Börse gekauft und verkauft werden kann, ohne dass dabei physikalische Netzbeschränkungen berücksichtigt werden müssen.

Idealerweise verfügt eine solche Preiszone – auch Gebotszone genannt – über ein gut ausgebautes Stromnetz und ein weitgehendes Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch. Größere Länder weisen diese Idealbedingungen meist nicht im gesamten Staatsgebiet auf.

Denn oft gibt es Regionen, in denen viel Strom erzeugt, aber relativ wenig verbraucht wird, während es anderswo gerade umgekehrt ist. Um diese Schieflage auszugleichen, muss viel Strom über das Höchstspannungs-Übertragungsnetz aus den Stromüberschuss- in die Strommangel-Regionen transportiert werden.

Dieser Ausgleich ist allerdings nicht immer möglich, weil es Engpässe im Übertragungsnetz gibt. Dann kommt es zu einem knappen Stromangebot in den Verbrauchsregionen und zu einem Überangebot in den Erzeugungsregionen.

Die nordeuropäischen Länder haben auf diese regional unterschiedlichen Marktsituationen reagiert, indem sie innerhalb nationaler Grenzen mehrere Preiszonen für den Stromhandel eingerichtet haben. Hier ermitteln die Strombörsen für jede Preiszone die Preise, die der regionalen Marktsituation entsprechen.

In Strommangel-Regionen entstehen so höhere Preise, die den Verbrauch dämpfen und die Erzeugung anregen. In Stromüberschuss-Regionen entstehen niedrigere Preise, die den Verbrauch von Strom fördern und seine Produktion dämpfen.

Diese nordeuropäische Praxis wurde von den europäischen Netzbetreibern nun bestätigt. Sie hatten in ihrer Studie auch mehrere andere Varianten für Preiszonen in Nordeuropa untersucht, die sich dabei als ungünstiger erwiesen.

Strombörsen-Handel blendet Netzengpässe aus

In Mitteleuropa zeigt sich zumindest für Deutschland und Luxemburg ein deutlich anderes Bild. Hier gibt es zwar ebenfalls zunehmende regionale Ungleichgewichte zwischen den Regionen. Der Umgang damit fällt allerdings vollkommen anders aus.

Der deutsche Strommarkt ist dadurch geprägt, dass im Norden und Osten die Stromproduktion aus Sonne und Wind besonders stark wächst, während sich der Stromverbrauch in Grenzen hält. In den Industriezentren des Südens gibt es dagegen einen hohen Stromverbrauch, der aus der regionalen Stromerzeugung nicht gedeckt werden kann.

Ein Kran legt Kabeltrommeln neben der ausgeschachteten Fläche einer Erdkabelbaustelle ab.
Erdkabelbaustelle im Münsterland: Hochspannungsleitungen unter der Erde vermeiden Konflikte, sind aber teuer. (Bild: Lutz Kampert/​Amprion)

Gleichzeitig verhindern Netzengpässe im Übertragungsnetz, dass der Überschuss-Strom aus Norden und Osten in ausreichender Menge zu den Verbrauchszentren im Süden transportiert werden kann.

Anders als Nordeuropa hat Deutschland es bisher vermieden, unterschiedliche Preiszonen einzurichten. Der finanzielle Strombörsenhandel findet hier weiter in der großen deutsch-luxemburgischen Preiszone statt. Die Netzengpässe werden dabei ausgeblendet. Strom kann gekauft und verkauft werden, als ob er ungehindert durch alle Regionen der Preiszone fließen könnte.

Die reale Situation im Übertragungsnetz ist jedoch eine ganz andere: Große Mengen des verkauften Stroms können nicht über die Engpässe transportiert werden. Die Betreiber der Übertragungsnetze müssen deshalb ein aufwändiges Netzengpass-Management mit komplizierten Kunstgriffen betreiben, um diesen Strom dennoch ausliefern zu können.

Teuer und klimaschädlich

Zu den komplizierten Kunstgriffen gehört der sogenannte Redispatch. Dabei werden Kraftwerke im Norden und Osten, aus denen Strom nach Süden verkauft worden ist, heruntergefahren. Zeitgleich werden Kraftwerke im Süden hochgefahren. Auf diese Weise und durch mehrere andere Maßnahmen kann Strom gewissermaßen virtuell transportiert werden.

Ein Nachteil dieses Netzengpass-Managements ist, dass es sehr viel Geld kostet. Im Jahr 2023 mussten die Übertragungsnetzbetreiber dafür 3,3 Milliarden Euro ausgeben. Im Jahr 2024 waren es nach vorläufigen Zahlen 2,7 Milliarden Euro. Diese Kosten finden sich letzten Endes auf der Stromrechnung wieder.

Als weiterer Nachteil dieser Methode zeigt sich, dass dabei im Norden und Osten oft Wind- und Solarkraftwerke abgeregelt werden. Im Süden und Westen sind es dagegen meist Erdgas- und Steinkohlekraftwerke, die hochgefahren werden. Auf diese Weise werden zusätzliche Treibhausgase freigesetzt.

Zu den Widersprüchen zwischen Netzphysik und Stromhandel gehört auch, dass die Strombörse einheitliche Preissignale für Regionen ermittelt, in denen sehr unterschiedliche Marktsituationen bestehen.

Realistische Preissignale

Wenn die Strombörse die Preise für mehrere kleinere Preiszonen ermitteln würde, könnte sie realistischere Preissignale liefern, die der Marktsituation vor Ort entsprechen. Diese Frage wird zunehmend wichtig, wenn im Norden und Osten immer mehr Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird, aber nicht vor Ort verbraucht oder in die großen Verbrauchszentren abtransportiert werden kann.

Dabei hat die Energieforschung inzwischen sogar schon weitergehende Schritte im Blick. Die Denkfabrik Agora Energiewende hat gerade eine Analyse vorgelegt, in der sie vorschlägt, langfristig sogar deutlich mehr lokale Preiszonen einzurichten. Die Fachleute untersuchten dafür ein System mit 22 Preiszonen und ermittelten überwiegend günstige Ergebnisse.

Dabei gingen sie auch darauf ein, dass für Industrieunternehmen in Süddeutschland höhere Stromkosten entstehen können. Diese Mehrkosten wollen sie durch Kompensationszahlungen ausgleichen.

 

Für regionale Strompreise hatten sich zuvor auch schon zwölf Energieökonominnen und ‑ökonomen eingesetzt. Dagegen warnten 15 Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände gemeinsam vor der Aufteilung der einheitlichen deutschen Strompreiszone.

In der Bundespolitik haben sich die künftigen Regierungsparteien CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag deutlich dafür ausgesprochen, die einheitliche Preiszone zu erhalten.

Ob es dabei bleibt oder nicht, sollen die Mitgliedsländer der Europäischen Union in den nächsten sechs Monaten entscheiden. Wenn sie sich nicht auf eine gemeinsame Position einigen können, übernimmt das die Europäische Kommission.

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