Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Gründer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.
Klimareporter°: Herr Willenbacher, auf dem jüngsten Extremwetterkongress wiesen Fachleute auf eine drastische Beschleunigung des Klimawandels hin. Drei Grad Erwärmung gegenüber vorindustriellem Niveau schon zur Mitte des Jahrhunderts seien nicht mehr auszuschließen, warnte der Kongress. Ist die Gefahr real oder übertrieben?
Matthias Willenbacher: Die Gefahr ist absolut real und keineswegs übertrieben. Wir sehen schon heute, wie Extremwetter mit zunehmender Häufigkeit und Wucht auftritt. Ob Jahrhundertfluten im Abstand weniger Jahre, Dürreperioden, Waldbrände oder Hitzewellen weltweit: Das sind keine Zufälle, das ist die neue Realität.
Die Wissenschaft warnt seit Langem davor, dass Kipppunkte im Klimasystem schneller erreicht werden könnten. Wenn wir nicht sofort und entschlossenen handeln, ist ein Szenario mit drei Grad Erwärmung bis 2050 leider nicht ausgeschlossen – mit verheerenden Folgen für unsere Lebensgrundlagen, unsere Ernährungssicherheit und unsere Wirtschaft.
Technisch und ökonomisch könnten wir bereits heute 100 Prozent erneuerbare Energien nutzen, und das sogar kostengünstiger, als wenn wir weiter fossile Brennstoffe verfeuern. Es fehlt einzig der politische Wille, konsequent auf diese saubere Lösung zu setzen. Das heißt: Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.
Wer jetzt noch von Übertreibung bei Klimaforschern spricht, verharmlost die Realität und verspielt unsere Zukunft. Drei Grad sind ein Albtraum, den wir nur verhindern können, wenn wir sofort radikal umsteuern.
Bei der gegenwärtigen Bundesregierung besteht zum ersten Mal die Gefahr klimapolitischer Rückschritte, warnt das frühere Klimarats-Mitglied Brigitte Knopf im Klimareporter°-Interview. Umwelt- und Klimaverbände sehen sogar eine fossile Rolle rückwärts im Kommen. Lässt sich das nach einem halben Jahr Regierungszeit schon sagen?
Man kann durchaus von einer klimapolitischen Bremsspur sprechen. Dafür liefert der Zehn-Punkte-Plan von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche leider die Steilvorlage. Dabei deckt der Monitoringbericht – der ja Grundlage für das politische Handeln der Bundesregierung sein soll – die Vorstellungen der Ministerin in weiten Teilen gar nicht ab.
Beispielsweise betrachtet sie die Klimaneutralität nur noch als eines von drei Zielen des energiewirtschaftlichen Zieldreiecks, während der Monitoringbericht Klimaneutralität als übergeordnetes Ziel definiert.
Katherina Reiche möchte außerdem, dass in den kommenden fünf Jahren 20.000 Megawatt Gaskraftwerke errichtet werden. Das entspricht 40 bis 60 Kraftwerken mit einer "Wasserstoffperspektive". Die CO2-Abscheidung und ‑Speicherung soll sogar bei Gaskraftwerken eingesetzt werden – was den Strom noch teurer macht. Und das, obwohl CCS weder Teil des Monitoringberichts noch des erteilten Auftrags war.
Die feste Einspeisevergütung für kleine Dach-Solaranlagen soll nach dem Willen von Reiche abgeschafft werden, ebenso die Vergütung bei negativen Strompreisen. Stattdessen verweist man auf Direktvermarktung und neue Modelle wie CfD oder PPA, also Differenzverträge oder zweiseitige Stromabnahmeverträge, deren Ausgestaltung völlig offen ist.
Damit wird die Wirtschaftlichkeit von Solarstrom unsicher, und der ohnehin rückläufige Ausbau von Dach-Photovoltaik dürfte noch weiter einbrechen. Ein zentraler Bereich für aktiven Klimaschutz wird so unnötig gefährdet.
Zudem will das Bundeswirtschaftsministerium die Ziele beim Wasserstoff-Ausbau streichen, weil sie nicht zu erreichen sind, und deshalb auch die weitere Förderung reduzieren. Damit wird für wichtige Industriesektoren wie Stahl, Chemie und Zement die bisherige Aussicht auf eine klimaneutrale Produktion in eine ungewisse Zukunft verschoben – und auch die "Wasserstoffperspektive" für die Gaskraftwerke.
Vollständig ausgeblendet wurde im Monitoringbericht das Thema Batterien. Hier wird es eine rasante Entwicklung geben. Die Preise sind in den letzten Jahren bereits extrem gefallen und werden durch die Massenproduktion in Asien weiter sinken.
Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten. Denn je günstiger Batterien werden, desto mehr lohnt es sich, mehr Energie zu speichern, um damit Dunkelflauten zu überbrücken. Damit sind weder Gaskraftwerke noch ein massiver Netzausbau nötig. Deren Kosten tragen am Ende wieder die Energieverbraucher.
Ich hoffe inständig, dass die SPD-Minister und die Koalitionsabgeordneten im Bundestag diesen Rückschritt nicht mittragen.
In Ostdeutschland boomen gerade energiewirtschaftliche Geschäftsmodelle, die die derzeit stark schwankenden Preise am Strommarkt ausnutzen wollen, zeigte sich auf dem Ostdeutschen Energieforum. Zeiten mit gewinnbringenden "negativen" Strompreisen werden künftig aber wieder abnehmen. Wie nachhaltig sind dann solche Geschäftsmodelle?
Bauen wir die erneuerbaren Energien weiter konsequent aus, werden wir künftig eine immer stärker schwankende Stromerzeugung erleben. Das führt dazu, dass sich die Strompreise entsprechend dem Wind- und Sonnendargebot im Tages- und Wochenverlauf ändern.
Geschäftsmodelle, die mit diesen schwankenden Preisen beziehungsweise mit den Strom-Überschüssen Geld verdienen, werden dann der Standard sein. Gibt es zusätzlich noch Preissignale, die auf Netzengpässe reagieren, wird es noch dynamischer.
Wenn das Marktdesign entsprechend angepasst ist, wird es vielleicht am Ende weniger negative Strompreise geben, die Schwankungsbreite der Preise wird aber auf jeden Fall zu nehmen. In der Folge werden Geschäftsmodelle, die damit umgehen können, lukrativer.
Insofern können diese Geschäftsmodelle schon nachhaltig sein. Wir müssen nur dafür sorgen, dass die Preise die Wahrheit sagen und der Wettbewerb der Flexibilitäten nicht unnötig eingeschränkt wird, zum Beispiel durch staatlich subventionierte Gaskraftwerke, die am normalen Strommarkt teilnehmen dürfen.
Insofern können Modelle, die gezielt diese Überschüsse nutzen, einen realen Mehrwert bringen und zusätzliche Einnahmequellen schaffen.
Zum "Climate Ambition Summit" vor einer Woche in New York hatten erst 47 der 197 Vertragsstaaten des Pariser Klimaabkommens ihre neuen Klimapläne, die sogenannten NDCs, vorgelegt. Ein Lichtblick unter den großen Emittenten ist China. Das Land will bis 2035 seine CO2-Emissionen um sieben bis zehn Prozent senken. Manche sprechen schon euphorisch von einer Wende in der globalen Klimapolitik. Ist das gerechtfertigt?
Die Erfahrung zeigt, dass die chinesische Regierung nur klimapolitische Ziele beschließt, die sie auf jeden Fall erreichen wird. Oft wurden die Ziele sogar schneller erreicht oder übertroffen. Insofern ist es ein gutes Zeichen, dass China nun erstmals ein Reduktionsziel für die Treibhausgasemissionen offiziell verkündet hat.
Ob das eine Wende in der globalen Klimaschutzpolitik bedeutet, bleibt abzuwarten. Immerhin sind die USA, Platz zwei auf der weltweiten Emittentenliste, wieder aus dem Klimaabkommen ausgetreten und die US-Regierung versucht mit allen Mitteln den Ausbau der Erneuerbaren zu verhindern und fossile Energieträger wieder zu fördern.
Die Signale sind also eher zwiespältig. Trotzdem bin ich optimistisch, denn die Lösungen sind vorhanden. Wir müssen sie nur nutzen.
Und was ist Ihre Überraschung der Woche?
Ich finde es nach wie vor erstaunlich, wie wenig über den zweifelhaften Umgang von Bundeswirtschaftsministerin Reiche mit wissenschaftlichen Fakten diskutiert wird.
Vor gut zwei Wochen hat sie den von ihr selbst bestellten Monitoringbericht präsentieren lassen. In derselben Pressekonferenz erläuterte sie ihren Zehn-Punkte-Plan für die Energiewende, der in weiten Teilen nichts mit den Inhalten des Berichts zu tun hat. Mittlerweile haben diverse Untersuchungen die Diskrepanzen belegt, ebenso die erkennbare Übereinstimmung mit Positionspapieren von Eon und RWE.
Bei US-Präsident Donald Trump oder bei AfD-Funktionären ist die hemmungslose Verbreitung von Fake News und offensichtlichen Lügen leider der Normalfall. Dass sich jedoch eine deutsche Ministerin auf offener Bühne nicht um wissenschaftliche Fakten kümmert, ist schon sehr dreist. Dass sich Bundeskanzler Friedrich Merz in der Haushaltsdebatte auch noch hinter sie stellt, macht es nicht besser.
Der eigentliche Skandal ist aber, dass Reiches Strategie die Strompreise erhöhen wird. Die Behauptung, Gaskraftwerke würden den Strom günstiger machen, ist schlicht falsch. Allein die Produktion von Strom aus Gaskraftwerken liegt bei über sieben Cent pro Kilowattstunde, mit CO2-Zertifikaten und Investitionskosten sprechen wir schnell über zehn bis 20 Cent.
Demgegenüber liegt Strom aus Wind, Sonne und Batterien heute schon bei fünf bis neun Cent. Es ist also offensichtlich, was die bessere und günstigere Alternative wäre. Doch am Ende profitieren wenige große Industrieunternehmen von Subventionen, während die Verbraucher die Zeche zahlen.
Etwas mehr Empörung wäre angemessen. Immerhin geht es um die Energie- und Klimapolitik der entscheidenden nächsten Jahre.
Fragen: Jörg Staude
