Gero Lücking. (Foto: Amac Garbe)

Immer wieder sonntags: Unsere Herausgeber erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Gero Lücking, Geschäftsführer für Energiewirtschaft beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Lücking, schon ein Vierteljahr ächzen Deutschland und andere europäische Länder unter einer Hitzewelle ohnegleichen – jetzt brennen Wälder, die Ernte verdorrt praktisch auf dem Halm und der Wetterdienst gibt eine Hitzewarnung nach der anderen heraus. Erleben wir gerade den Klimawandel in einer ganz neuen Dynamik?

Gero Lücking: Wir erleben den Klimawandel. In Ansätzen können wir uns schon mal darauf einstellen, was uns alles erwarten wird. Der heißeste Tag im Jahr, der heißeste Mai seit 129 Jahren, Temperaturen bis zu 30 Grad Celsius am Nordkap, Waldbrände in Regionen in Schweden, in denen bisher kein Mensch daran dachte, Feuerwehren und Infrastrukturen zur Brandbekämpfung vorhalten zu müssen.

Vieh findet kein Futter mehr, Futtermittel müssen aus ganz anderen Regionen Europas herbeigeschafft werden, damit es nicht verhungert, oder es muss tatsächlich deutlich früher geschlachtet werden. Man kann sich vorstellen, wie früher zu Zeiten, in denen eine Vernetzung und Logistik über Ländergrenzen hinweg nicht zur Verfügung stand, Hungersnöte durch Extremwetterlagen entstanden sind.

Ein Rekord, eine Hiobsbotschaft jagt die nächste. Dieses Jahr scheint es Europa im besonderen Maße zu treffen. Aber auch in Japan fordern Starkregenfälle und Überschwemmungen Tote. Letztes Jahr brannten die Wälder in Nordamerika. Meldungen über wetter- oder klimabedingte Katastrophen gehören leider inzwischen zur Tagesordnung.

Den Klimawandel kann keiner mehr leugnen. Wenn das endlich zum Handeln führen würde, wäre wenigstens etwas erreicht. Ich denke hier beispielsweise an die Kohlekommission in Deutschland.

Das Umweltbundesamt stellte in dieser Woche ohne jeden Kommentar eine Studie zu den Arbeitsplätzen in der Braunkohlewirtschaft ins Netz. Fazit: Ein Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030 wäre möglich, ohne dass es zu betriebsbedingten Kündigungen kommen muss. Werden die Beschäftigungsprobleme durch den Kohlausstieg mit dem Bild vom "Strukturbruch" überzeichnet?

Der Klimawandel, die nationalen Klimaschutzziele, der sozialverträgliche Abschied aus der Kohleverstromung sind alles Herausforderungen der Gegenwart, das ist unstrittig. Aber keiner wagt sich vor, keiner will sich offenbar die Finger verbrennen. Deswegen werden Studien unkommentiert und offenbar klammheimlich veröffentlicht. Okay, jetzt kennt jeder die Zahlen, aber offiziell will es scheinbar keiner machen. Keiner traut sich, keiner hat den Mut Entscheidungen zu treffen. Alle verstecken sich.

Wahrscheinlich ist die Bevölkerung viel weiter als die Politik. Sie weiß, dass etwas gegen den Klimawandel getan werden muss. Sie versteht, dass der Ausstieg aus der Kohle notwendig ist, will dafür – verständlicherweise – sozial verträgliche Lösungen. Nur die Politiker wissen nicht, wie sie Entscheidungsfreudigkeit und Handlungsfähigkeit in Erfolg umwandeln können.

Die lang erwartete Transparenz-Studie zu den Stromnetzen dämpfte in dieser Woche die Hoffnungen, sich durch eine dezentrale Energiewende den Ausbau der Stromtrassen leichter Hand sparen zu können: Wer zum Beispiel auf die Nord-Süd-Stromautobahnen verzichtet, muss in der Nähe von Städten und Industrie die Windkraft ausbauen. Wie sehen Sie die Zukunft des Netzausbaus?

Erst den Kohleausstieg klarmachen, dann den Ausbau der Erneuerbaren mit dem Blick auf das Erreichen der Klimaziele überarbeiten und daraus den Netzausbaubedarf ermitteln. Das wäre aus meiner Sicht die richtige Reihenfolge.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die EU-Kommission verklagt die Bundesregierung, weil sie das dritte Energiepaket der EU nicht oder nur unzureichend umsetzt. Ein breites Bündnis an Verbänden kritisiert die Bundesregierung, weil das genau vor einem Jahr verabschiedete Mieterstromgesetz praktisch wirkungslos geblieben ist. Das sind Nachrichten, die die deutsche Energiepolitik in einem besonderen Licht erscheinen lassen.

Hinzu kommen eine völlige Untätigkeit und ein offenkundiges Desinteresse des zuständigen Ministers an allen energiepolitischen Fragen. Das ist kein Problem von Hitze, Urlaubszeit und Sommerloch. Man fragt sich, ob das jetzt bis zur nächsten Bundestagswahl so weitergehen soll.

Fragen: Jörg Staude

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