Windrad-Baustelle mit halb errichtetem Turm von schräg oben betrachtet.
Neue Windparks ohne Förderung – geben die Rahmenbedingungen auch in Zeiten verpasster Klimaziele nicht her. (Foto: Naturstrom)

Rund 260 Kilometer liegen zwischen der 1,5-Megawatt-Anlage von Johannes Bentfeld im Windpark Paderborn-Dahl und der 600-Kilowatt-Anlage von Dedo Behrends nahe dem Küstenort Carolinensiel bei Wittmund in Ostfriesland. In Betrieb sind die beiden Windräder seit 1999 beziehungsweise 1996 – und daraus folgt: Ab Ende 2020 fallen sie aus der Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), wie bundesweit mindestens weitere 4.000 Megawatt.

Den Strom müssten die Betreiber dann selbst verkaufen – an der Börse oder direkt an Abnehmer aus Industrie, Gewerbe oder an Energieversorger. Dafür fehlen gerade Windkraftpionieren oft die Zeit und das Know-how.

Bei den beiden erwähnten Anlagen ist der Weiterbetrieb vorerst gesichert. Mit beiden Eignern hat das Ökoenergieunternehmen Naturstrom jetzt einen Langfrist-Stromliefervertrag geschlossen, ein sogenanntes Power Purchase Agreement (PPA). Damit schaffe man Sicherheit fürs Post-EEG-Zeitalter, heißt es bei Naturstrom, auch wenn das Unternehmen sich bei der genauen Laufzeit bedeckt hält.

Gerade den älteren Post-EEG-Anlagen sollen die Langfristverträge mit dem Kürzel PPA sichere Erlöse für bis zu fünf Jahren gewährleisten, vor allem, um die nötigen Investitionen in eine verlängerte Laufzeit zu finanzieren, schreiben Nils May und Karsten Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin in einer aktuellen Analyse.

Den Wind-Ausbau können PPA allein nicht stemmen

Aber, so fragen die DIW-Forscher weiter, könnten PPA nicht auch bisherige Vergütungsmodelle wie das EEG ersetzen, um ebenfalls massenhaft neue Windkraft-Anlagen zu bauen? Daran hapert es ja gerade in Deutschland.

Das sei keineswegs der Fall, sagen May und Neuhoff. Übernehme ein Versorger mittels langfristiger PPA das Strompreisrisiko, könne er dieses nicht immer weitergeben. Der Grund: Stromverträge mit privaten Haushalten liefen maximal zwei Jahre und solche mit Industriekunden drei bis fünf Jahre. Mehr Risiken ließen aber die Kapitalkosten steigen, was gerade bei den kapitalintensiven erneuerbaren Energien die Gesamtkosten deutlich erhöhe, so die DIW-Experten.

Auch für energieintensive Industrien, die sich gern direkt mit grünem Strom versorgen lassen wollen, sind PPA wenig brauchbar, heißt es in der DIW-Analyse. Setzten große deutsche Stahlunternehmen oder Versorger wie EnBW, RWE, Eon und Uniper allein auf privat abgesicherte PPA, um auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzusteigen, würde das ihre Finanzkraft weit übersteigen.

Alles in allem veranschlagt das DIW die Mehrkosten bei den privat abgesicherten langfristigen Stromverträgen auf etwa 29 Prozent gegenüber sicheren Vergütungen für Ökostrom wie durch das EEG. Für 2030 entspreche das einer Summe von rund drei Milliarden Euro pro Jahr.

Nach Ansicht von May und Neuhoff ist das Potenzial von PPA zu begrenzt, um den Ausbau der Erneuerbaren darauf aufzubauen. Sie berufen sich dabei auch auf die Berater von Aurora Energy Research, die kürzlich ausgerechnet haben, dass private PPA nur ein Zehntel des bis 2030 vorgesehenen Öko-Zubaus ermöglichen.

"Daumen drücken für stabile Börsenstrompreise"

Auch nach Ansicht von Naturstrom-Vorstand Oliver Hummel können PPA für Neuanlagen das EEG-System zwar ergänzen, es aber mittelfristig nicht ersetzen. "Das gilt besonders für kleinere Anlagen. Aber auch bei Wind- und großen Solarparks werden PPA das EEG nicht im Handstreich ablösen", schaut Hummel voraus.

Entscheidender ist für ihn, dass der Strompreis an der Börse langfristig nach oben zeigt. "Nur dann ist es für Unternehmen attraktiv, zumindest einen Teil ihres Strombedarfs durch langfristige Verträge mit Ökostromanlagen abzudecken", erklärt Hummel. Aber auch die Finanzierer von Ökostromprojekten müssten sich auf PPA einstellen und damit umgehen, dass sich die Risiken gegenüber dem EEG-System erhöhten.

Anders liegen die Dinge für den Naturstrom-Vorstand bei den PPA für Altanlagen. Diese Windräder müssten ihre Investitionen nicht mehr einspielen, außerdem sei mit einer deutlich kürzeren Vertragslaufzeit zu rechnen als bei Neuanlagen. Es gebe zudem noch keine Erfahrungen, wie lange Ökostromanlagen nach mehr als 20 Jahren Betriebsdauer noch weiterlaufen können.

Für den Weiterbetrieb auch der Altanlagen bleibe aber der Strompreis entscheidend, erklärt Oliver Hummel. Falle dieser, bestehe ein erhebliches Risiko, dass ein großer Teil der Altanlagen nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden könnte. Deutschland würde sich dann noch weiter von seinen Klimazielen entfernen.

"Die Bundesregierung geht in dieser Sache voll auf Risiko, indem sie allein dem Markt vertraut und keinerlei Plan B entwickelt", meint der Naturstrom-Vorstand. "Im Sinne der Energiewende heißt es daher: Daumen drücken für stabile Börsenstrompreise."

Ab 2021 gibt es "echten" Grünstrom

Naturstrom wie auch andere Anbieter hoffen allerdings auch, mit dem Weiterbetrieb der Altanlagen endlich genügend frei verfügbaren Ökostrom zu bekommen.

"Ab 2021 wird endlich Windstrom für die Belieferung von Endverbrauchern zur Verfügung stehen. Bislang finden die Ökostromerzeugung in Deutschland und die Energiebeschaffung für Ökostromtarife in Parallelwelten statt", bedauert Hummel.

Er spielt damit darauf an, dass der allergrößte Teil des in Deutschlands verkauften Grünstroms über Herkunftsnachweise "erzeugt" wird und sich viele Anbieter nur dadurch unterscheiden, ob sie sich die Nachweise europaweit oder wenigstens aus inländischen Quellen besorgen.

Das könnte bald wenigstens teilweise überflüssig sein – wenn denn genug alte Windkraft auch ohne das EEG weiterläuft.

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