Strommast vor Wolkenhimmel
Auch wenn mehr Grünstrom vor Ort verbraucht wird, hält der Netzbetreiber 50 Hertz an seinen Ausbauplänen fest. (Foto: Coco Parisienne/​Pixabay)

Wo in den Jahren zuvor vor allem über teure Netzentgelte und hohe Strompreise gesprochen wurde, sorgte dieses Mal das Thema Tesla für Entspannung.

Wenn die E-Autofabrik bis in die Endstufe ausgebaut ist, rechnet der zuständige Netzbetreiber 50 Hertz mit einem zusätzlichen Strombedarf, der etwa dem der Stadt Leipzig entspricht, wie Geschäftsführer Stefan Kapferer am Montag in Berlin erklärte.

Auch die Aussichten, Tesla könnte seinen grünen Strom selbst erzeugen oder sich ein Gaskraftwerk leisten, konnten Kapferer nicht beirren. Am Bezug grünen Stroms aus der Region werde der Autobauer nicht vorbeikommen, sagte er bei er Vorstellung der Unternehmensbilanz 2019.

Jedenfalls sieht 50 Hertz sein Kern-Netzgebiet, die nordostdeutsche Region, für einen steigenden Bedarf an Ökostrom gut gerüstet und bezeichnet sie gern als das "grüne Kraftwerk" Deutschlands: Im Schnitt stammten in den sieben 50-Hertz-Bundesländern – Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – im letzten Jahr 60 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen, fünf Prozentpunkte mehr als 2018.

Der Netzbetreiber rechnet damit, dass im Nordosten immer mehr Strom "übrig bleibt" und in die Nachbarstaaten oder den Süden Deutschlands geschickt werden kann. Von 2016 bis 2030 könnte sich laut 50 Hertz allein in den drei Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt die überschüssige Strommenge von 56 Milliarden Kilowattstunden auf rund 65 Milliarden erhöhen, allerdings ist hier die fossile Erzeugung eingerechnet.

Weniger Strom abgeregelt

Wegen des regionalen Überangebots hält 50 Hertz nach wie vor am Bau großer Stromtrassen, besonders des Südostlinks nach Bayern, fest. Die Tesla-Investition wie auch die geplante große Batteriefabrik im Lausitzer BASF-Werk in Schwarzheide könnten die Verhältnisse aber drehen – und dann ist da ja auch noch Berlin, das sich auf keinen Fall selbst mit Ökostrom versorgen könne, wie Kapferer anmerkte.

Das früher so sehr beklagte Problem, dass zu viel erzeugter Grünstrom aufwendig abgeregelt und die Kraftwerke dafür entschädigt werden müssen, hat sich bei 50 Hertz im letzten Jahr entspannt: Musste der Netzbetreiber 2018 noch vier Milliarden Kilowattstunden aus dem Markt nehmen und 134 Millionen Euro Entschädigung an die Kraftwerksbetreiber zahlen, so ging 2019 die Strommenge auf 2,5 Milliarden Kilowattstunden zurück und die Entschädigungen sanken auf 84 Millionen Euro.

Einen "wesentlichen Beitrag" dazu leisteten Kapferer zufolge auch die Braunkohlekraftwerke. Inzwischen hätten diese bei negativen Preisen an der Strombörse kein Interesse mehr, mit voller Kraft weiterzulaufen, sondern würden heruntergefahren.

Das Thema Kohleausstieg ist übrigens für den 50-Hertz-Chef mit dem Ausstiegsgesetz der Bundesregierung keineswegs erledigt. Entwickle sich das Angebot an erneuerbaren Energien weiter so, werde sich das noch stärker auf die betriebswirtschaftliche Situation der Kohlekraftwerke auswirken, prophezeite Kapferer. Aus Sicht von 50 Hertz ist der Kohleausstieg derzeit "nicht planbar", da gebe es noch keine betriebswirtschaftliche Klarheit.

Weichenstellung in der Industrie

Im Unterschied zur Bundesregierung rechnet 50 Hertz auch damit, dass der deutsche Stromverbrauch bis 2030 deutlich zunehmen wird – um mindestens zehn Prozent verglichen mit heute. Möglich sei aber auch ein Verbrauchsanstieg auf jährlich 700 Milliarden Kilowattstunden, so Kapferer. Das würde um fast ein Viertel über der derzeit gültigen Prognose der Bundesregierung liegen.

Als entscheidend für den künftigen Strombedarf sieht Kapferer an, für welchen Weg der Dekarbonisierung sich die Industrie entscheidet. Hat künftig der direkte Einsatz von Ökostrom den Vorrang, dann werde die Nachfrage nach erneuerbarem Strom deutlich zulegen.

Bevorzugt die Industrie aber den Einsatz von Wasserstoff, dann werde weniger Strom benötigt – weil, so ist hinzufügen, der Wasserstoff dann offenbar in großem Umfang importiert werden soll. Dann benötigt man weniger Ökostrom im Lande selbst, und umso mehr wird in Nordafrika oder anderswo für Deutschland produziert.

Anzeige