Isländische Ökostromzertifikate können künftig nicht mehr in andere europäische Länder exportiert werden. Das ist das Ergebnis eines Verfahrens, das die Association of Issuing Bodies (AIB) durchgeführt hat.
Island ist in Sachen erneuerbare Energien eigentlich Vorreiter. Schon lange betreibt das Land sein gesamtes Stromnetz mit Strom, der nahezu ausschließlich aus Wasserkraft und Geothermie stammt. Der Strom ist grün – und günstig, was ihn für Industrieunternehmen attraktiv macht.
Besonders viel Strom benötigt die Aluminiumindustrie. Die drei Aluminiumhütten im Land verbrauchen zusammen mehr als die Hälfte des in Island erzeugten Stroms. Alle drei Aluminiumunternehmen – Rio Tinto, Alcoa und Norðurál – werben damit, dass ihr Strom aus erneuerbaren Quellen stammt.
Ökostromeigenschaft in Form von Herkunftsnachweisen exportierbar
Gleichzeitig exportiert Island in großen Mengen Herkunftsnachweise für erneuerbare Energien. Mit diesen Herkunftsnachweisen kann ein Stromanbieter in Deutschland, der hier einen gewöhnlichen Strommix mit entsprechenden Anteilen an fossiler Stromerzeugung bezieht, seinen Kunden Strom aus erneuerbaren Energien verkaufen.
Virtuell wird also ein Teil des Stroms in Deutschland als grün und der entsprechende Strom in Island als fossil deklariert. Geregelt ist das auf EU-Ebene. Island hat dies als Teil des Europäischen Wirtschaftsraums EEA ebenfalls rechtlich umgesetzt – obwohl das isländische Stromnetz nicht mit dem europäischen Kontinent verbunden ist.
Wenn man die Zahlen betrachtet, wird schnell klar, dass isländischer Ökostrom mehrfach angerechnet wird: Die Aluminiumunternehmen, die alle mit grünem Strom werben, verbrauchen etwa zwölf Milliarden Kilowattstunden. 15 Milliarden werden in Form von Herkunftsnachweisen in andere europäische Länder exportiert. Island produziert aber insgesamt nur etwa 19 Milliarden Kilowattstunden.
Über all das hatten wir vor einigen Monaten bereits berichtet. Das hat nun Konsequenzen.
Die AIB ist der europaweite Zusammenschluss der Stellen, die in den jeweiligen Ländern für die Ausstellung und Verwaltung der Herkunftsnachweise zuständig sind. Dort hat man aufgrund unserer Recherchen eine Compliance-Prüfung der isländischen Praxis durchgeführt.
In einer Mitteilung der AIB heißt es dazu, dass sie im November vergangenen Jahres entsprechende Informationen erhielt. Das Ergebnis ist nun, dass die Herkunftsnachweise aus Island nicht mehr exportiert werden dürfen.
"Illegale, falsche und irreführende Informationen"
Am stärksten betroffen von der Entscheidung ist die staatliche Firma Landsvirkjun. Der Stromkonzern produziert mehr als 70 Prozent des isländischen Stroms. Laut den Geschäftsberichten der Firma verdiente Landsvirkjun im vergangenen Jahr umgerechnet etwa elf Millionen Euro durch den Verkauf von Herkunftsnachweisen. 2021 waren es noch sieben Millionen Euro.
Landsvirkjun sieht das Problem bei seinen Kunden, die mit der Nutzung von Ökostrom werben. "Im Wesentlichen handelt es sich um illegale, falsche und irreführende Informationen in Anzeigen und anderen Materialien, und die Regierung hat es versäumt, auf dieses wachsende Problem zu reagieren", teilte Landsvirkjun mit.
Eine bemerkenswerte Äußerung, wenn man bedenkt, dass der Energiekonzern hier seinen wichtigsten Kunden in sehr drastischen Worten illegales Verhalten vorwirft. Landsvirkjun macht auch deutlich, wo der Konzern die Lösung für das Problem sieht: Er fordert die isländische Regierung auf, Gesetze zu erlassen, die ein Werben mit Ökostrom nur dann erlauben, wenn entsprechende Herkunftsnachweise erworben wurden.
Die Aluminiumkonzerne dürften das naturgemäß anders sehen. Bereits für unsere erste Recherche sprachen wir mit Alcoa über das Thema. Dort nutzt man bei der Erstellung seiner Geschäftsberichte eine ortsbasierte Berechnung des Stromverbrauchs. Sprich: Da in Island sämtlicher Strom Ökostrom ist, geht der Konzern auch davon aus, dass seine Fabriken damit betrieben werden.
Island ist gesperrt, Norwegen darf weitermachen
Hier prallen letztlich zwei unterschiedliche Ansichten aufeinander, wie man den Stromverbrauch in der Klimabilanz eines Unternehmens berücksichtigt. Die eine Seite ist der Ansicht, dass man einen marktbasierten Ansatz wählen sollte, bei dem Zertifikate wie die EU-Herkunftsnachweise berücksichtigt werden.
Die andere Seite hält dieses Handeln von Ökostromzertifikaten für unsinnig und kritisiert den marktbasierten Ansatz. Auch in der Fachwelt gibt es für beide Sichtweisen Fürsprecher. Genau diese unterschiedlichen Ansichten führen nun aber zu einer Doppelzählung von Ökostrom, der nur einmal erzeugt wurde.
Zunächst einmal dürfen isländische Stromerzeuger keine weiteren Herkunftsnachweise verkaufen. Doch bei alldem stellt sich eine weitere Frage: Ist das ein Problem, das speziell mit der Situation in Island zu tun hat, oder treten ähnliche fragwürdige Doppelzählungen auch an anderer Stelle auf?
Schon bei unserer ersten Recherche erhielten wir Hinweise, dass in Norwegen ähnliche Probleme mit Doppelzählungen existieren. So teilte uns Alcoa mit, dass man bei den norwegischen Aluminiumfabriken genauso vorgehe wie in Island.
In Deutschland fand kürzlich eine Tagung des Herkunftsnachweisregisters statt, das hierzulande vom Umweltbundesamt in Dessau verwaltet wird. Dort hatte Elke Mohrbach, die Leiterin des deutschen Herkunftsnachweisregisters, die Überprüfung der isländischen Praxis bereits angekündigt. Kurz darauf verkündete die AIB ihre Entscheidung.
Rechtsgutachten sieht ähnliche Probleme in Norwegen
Auf der Konferenz meldete sich ein Vertreter des österreichischen Stromkonzerns Verbund und fragte, warum man hier nur Island prüfe und nicht auch Norwegen. Verbund ließ demnach bereits vor mehreren Jahren ein Rechtsgutachten erstellen, in dem die Situation in Norwegen unter die Lupe genommen wurde. Verbund gehört zu 51 Prozent dem Staat Österreich.
Das Gutachten, das von der auf Energiefragen spezialisierten Anwaltskanzlei Becker Büttner Held erstellt wurde, kam zu dem Schluss, dass in Norwegen Probleme mit Doppelzählungen von Ökostrom bestehen, die ganz ähnlich zu denen in Island sind. Demnach wird auch dort manchmal derselbe Ökostrom in Geschäftsberichten von Unternehmen verrechnet und gleichzeitig in Form von Herkunftsnachweisen exportiert.
Verbund stellte das Gutachten dem Umweltbundesamt zur Verfügung, das daraufhin die Sache prüfte. Dort kam man zu dem Schluss, dass das Problem vor allem im Greenhouse Gas Protocol zu suchen sei.
Dabei handelt es sich um einen weltweit genutzten Standard für die Erfassung von Emissionen von Unternehmen. Das Greenhouse Gas Protocol sieht vor, dass sowohl die marktbasierte als auch die ortsbasierte Erfassung von Emissionen aus der Stromerzeugung durchgeführt werden soll.
Welche der beiden Methoden die Firmen dann allerdings in ihrer Kommunikation verwenden, bleibt ihnen überlassen. Auch Alcoa nutzt das Greenhouse Gas Protocol und beruft sich darauf, dass man die ortsbasierte Methode verwende.
Bisher keine Konsequenzen
Das Umweltbundesamt tauschte sich hierzu mehrfach mit dem für das Greenhouse Gas Protocol zuständigen World Resources Institute in Washington aus, was aber keine unmittelbaren Folgen hatte.
Der entsprechende Teil des Greenhouse Gas Protocol soll demnächst überarbeitet werden, hierzu läuft ein Review-Prozess. Das Ergebnis ist offen, es sind mehr als zweihundert Vorschläge für eine Überarbeitung eingegangen und es ist unklar, in welche Richtung sich das Ganze entwickelt.
Nach wie vor bleibt es bei der Situation, dass in Norwegen Ökostrom doppelt angerechnet wird. Ein entsprechendes Rechtsgutachten liegt zumindest manchen der verantwortlichen Stellen vor. Konsequenzen hatte das bislang keine.
Norwegen ist der mit Abstand wichtigste Exporteur von Herkunftsnachweisen. Im vergangenen Jahr exportierte das Land netto etwa 86 Milliarden Kilowattstunden, mehr als fünfmal so viel wie Island.
Der größte Importeur von Herkunftsnachweisen ist Deutschland. Etwa 40 Prozent der hierzulande genutzten Herkunftsnachweise kommen aus Norwegen. Sprich: Würde man auch norwegische Herkunftsnachweise nicht mehr akzeptieren, hätten viele Anbieter von Ökostromangeboten in Deutschland ein Problem.