Oliver Hummel. (Bild: Naturstrom AG)

Immer sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Hummel, der Neubau von Gaskraftwerken in Deutschland droht an EU-Vorgaben zu scheitern, berichten zwei Wochen nach Klimareporter° jetzt auch weitere Medien. Inzwischen soll das Wirtschaftsministerium von Katherina Reiche (CDU) in Brüssel nur noch über neue Kapazitäten von 12.000 bis 12.500 Megawatt verhandeln, zuvor waren mindestens 20.000 Megawatt geplant. Brauchen wir überhaupt neue Gaskraftwerke?

Oliver Hummel: Jedenfalls brauchen wir nicht die von Frau Reiche angestrebten 20.000 Megawatt – und das ist auch keine Überraschung.

Zu Ampel-Zeiten war sich das Wirtschaftsministerium ja bereits mit der EU-Kommission über einen Zubau von Gaskraftwerken mit insgesamt 12.500 Megawatt Leistung weitgehend einig geworden. Daran hätte Frau Reiche eigentlich anknüpfen können. Aber aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen wollte sie mehr – und hat sich damit anscheinend verzockt.

Wie viele Gaskraftwerke es letztlich braucht, um den Zeitplan des Kohleausstiegs abzusichern, wäre eine müßige Frage, wenn das Wirtschaftsministerium die häufig beschworene Technologieoffenheit ernst nähme. Gaskraftwerke sollten nicht automatisch gesetzt sein, sondern sich dem Wettbewerb mit flexibilisierten Biogasanlagen, Geothermie, Speichern und anderen Technologien stellen.

Drei von vier Deutschen wollen laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom einen intelligenten Stromzähler. Doch der Hochlauf verläuft weiter schleppend. Inzwischen werden überhöhte Kosten für den Einbau von Smart Metern schon vor Gericht verhandelt. Haben Sie eine Idee, wie wir intelligenter zum Smart-Meter-Rollout kommen?

Smart Meter sind in Deutschland leider noch eine Rarität, während ihr Anteil in vielen Nachbarländern schon länger bei fast hundert Prozent liegt. Deutschland hinkt also erheblich hinterher.

Die letzte Regierung hat endlich den jahrelangen Stillstand beendet, einen konkreten Ausbaupfad festgelegt und dabei auch die technischen Anforderungen an die Zähler reduziert.

Ende dieses Jahres sollen 20 Prozent der Kunden mit einem Jahresverbrauch zwischen 6.000 und 100.000 Kilowattstunden, also größere Verbraucher, einen intelligenten Zähler haben. Auch Haushalte mit einer Solaranlage oder einem steuerbaren Großverbraucher wie einer Wärmepumpe oder einer Wallbox fürs Elektroauto fallen in diese Phase des Pflichtrollouts.

Grund für das trotzdem langsame Ausbautempo ist die zersplitterte Landschaft der Verteilnetzbetreiber, die in ihrer Rolle als grundzuständige Messstellenbetreiber den Rollout bisher primär verantworten. Rund 880 Netzbetreiber wurschteln vor sich hin, die vielen kleineren sind mit den Anforderungen an die Digitalisierung des Stromsystems überfordert und bremsen dadurch die Umsetzung.

Ist diese Vielzahl von Kleinstfürstentümern einem landesweiten, flächendeckenden Modernisierungsprogramm zuträglich? Ich bezweifle es.

Politisch gibt es zurzeit auch Stimmen, die fordern, den Smart-Meter-Ausbau komplett in die Hand der Netzbetreiber zu geben und damit die Rolle der unabhängigen Messstellenbetreiber abzuschaffen. Damit würde man aber den Bock zum Gärtner machen, das wäre genau die falsche Richtung.

Zunehmend entstehen die genannten neuen Marktakteure und bringen endlich Wettbewerb in diesen bisher meist monopolistischen Markt. Das sollte die Regierung fördern und für gleiche Bedingungen unter den Wettbewerbern sorgen, dann geht es hoffentlich auch mit dem Ausbau schneller.

Zukunftsbranchen wie die Erneuerbaren sollten spätestens, wenn konkrete Gesetzesinitiativen der Bundesregierung auf dem Tisch liegen, öffentlich sichtbar reagieren, fordert die Vizechefin der Grünen im Bundestag, Julia Verlinden, im Interview mit Klimareporter°. Sind Sie auch der Meinung, dass die Erneuerbaren-Branche noch zu sehr stillhält?

Die Branche bringt ihre Argumente auf den verschiedensten Wegen deutlich ein, ist mein Eindruck. Der entscheidende Punkt ist am Ende ohnehin nicht Lautstärke, sondern Überzeugungskraft.

In einigen klassischen Industriebranchen, bei den dort beschäftigten Menschen und in der Politik, stehen derzeit massive wirtschaftliche Probleme im Mittelpunkt. Wer einen ambitionierten Kurs beim Klimaschutz verteidigen will, muss diese Sorgen im Blick behalten und darf nicht mit der rhetorischen Brechstange kommen, also mit der Moralkeule oder dem erhobenen Zeigefinger.

Die Erneuerbaren-Branche hat in den letzten Jahren die wirtschaftlichen Vorteile der Energiewende und ihr Potenzial als umfassendes Modernisierungsprogramm für unser Land zunehmend in den Mittelpunkt ihrer Kommunikation gerückt, das finde ich richtig.

Wenn wir als Branche im Wirtschaftsministerium und im Kanzleramt durchdringen wollen, sind wir heute mehr denn je gefordert, diese Perspektive mit neuen Argumenten und Fakten zu unterfüttern.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Eine unschöne Überraschung hatte diese Woche die Bundesnetzagentur parat: Bis zur Jahresmitte hatten die schon erwähnten grundzuständigen Messstellenbetreiber erst 16,4 Prozent der Pflichteinbaufälle für den Smart-Meter-Rollout erledigt.

Geht es im bisherigen Tempo weiter, wird die gesetzlich vorgegebene Zielmarke von 20 Prozent zum Jahresende verfehlt werden. Besonders peinlich: Über 240 Messstellenbetreiber hatten bis zum Stichtag 30. Juni noch nicht einmal mit dem Rollout begonnen.

Bezogen auf alle Messstellen – also auch jene, die nicht unter die erste Phase des Pflichtrollouts fallen – sind gerade einmal drei Prozent mit einem Smart Meter ausgestattet.

Das ist nicht nur für die Energiewende ärgerlich, sondern auch für die Verbraucher. Denn ein Smart Meter ist die Voraussetzung, um einen dynamischen Stromtarif wählen zu können. Mit einem solchen Tarif können Haushalte deutlich sparen, wenn sie ihren Stromverbrauch in Zeiten günstiger Börsenstrompreise verlagern.

Wie viel genau sich mit welchen Verbrauchsprofilen in den letzten zwölf Monaten sparen ließ, haben wir gerade untersuchen lassen. Die Ergebnisse werden wir demnächst veröffentlichen.

Fragen: Jörg Staude