Claudia Kemfert. (Bild: Oliver Betke)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat angekündigt, bis zum Jahresende erstmal nur 5.000 bis 10.000 Megawatt neue Gaskraftwerke auszuschreiben statt der im Koalitionsvertrag geplanten 20.000 Megawatt. Ist die geringere Menge der knappen Zeit geschuldet oder zeichnet sich ein Umschwenken bei den Kraftwerksplänen ab?

Claudia Kemfert: Überhaupt nicht. Katherina Reiche setzt sich als Ministerin für einen schnellen Zubau von mindestens 20.000 Megawatt Gaskraftwerken ohne Wasserstoff in Deutschland ein, nicht für eine Reduzierung auf 5.000 bis 10.000 Megawatt. Tatsächlich will sie sogar mehr als ursprünglich geplant.

Die Verwirrung entsteht möglicherweise durch das gescheiterte Kraftwerkssicherheitsgesetz von Robert Habeck, das vorsah, 7.000 Megawatt wasserstofffähige Gaskraftwerke zu schaffen, die acht Jahre nach Inbetriebnahme zu einem festen Termin auf Wasserstoff hätten umsteigen müssen.

Weiter sollten 500 Megawatt sogenannter Wasserstoff-Sprinterkraftwerke sowie 500 Megawatt Langzeitstromspeicher ausgeschrieben werden, plus weitere 5.000 Megawatt fossile Gaskraftwerke.

Hier zeichnet sich also eher ein generelles Umschwenken zu noch mehr fossilen Kraftwerken ab.

Bundeskanzler Merz und das Wirtschaftsministerium haben jetzt ausgeschlossen, die Nord-Stream-Gaspipelines jemals wieder in Betrieb zu nehmen. Die Grünen fordern, die Bundesregierung müsse sich auch für ein rasches europäisches Verbot von Erdgas-Importen aus Russland starkmachen.

Zugleich gibt es Spekulationen, US-Investoren könnten Nord-Stream-Pipelines übernehmen und auf diesem Weg erst Erdgas und später vielleicht Wasserstoff nach Deutschland bringen. Was halten Sie von alldem?

Ich hoffe, es ist eine klare Absage mit europäischer Flankendeckung. CDU-Kanzler Friedrich Merz unterstützt aktiv ein geplantes EU-weites Verbot der Nord-Stream-Pipelines, um einer möglichen Wiederinbetriebnahme durch Russland oder mit US-Unterstützung zuvorzukommen. Die Bundesregierung hat offiziell erklärt, sie wolle verhindern, dass die umstrittenen Nord-Stream-Verbindungen jemals wieder Gas aus Russland in die Bundesrepublik transportieren.

Die Grünen unterstützen die Bundesregierung in ihrer Position zu den Nord-Stream-Pipelines, sie fordern aber zu Recht weitergehende Schritte gegen die Nutzung von russischem Erdgas in Europa und ein rasches europäisches Verbot von Gasimporten aus Russland.

Zu den US-Investoren: Ein Investor aus den USA hatte in diesem Jahr Interesse an der Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG angemeldet, und es wurde auch spekuliert, die US-Regierung unter Donald Trump könne die Wiederaufnahme des Gastransports befürworten.

Merz will hoffentlich diesem Spuk mit der EU-weiten Lösung einen Riegel vorschieben, um innenpolitische Debatten über eine potenzielle Reaktivierung der Pipelines gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Laut einer neuen Analyse des Thinktanks Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) plant die Bundesregierung neue klimaschädliche Subventionen, die in etwa der Summe entsprechen, die aus dem Sondervermögen jedes Jahr zusätzlich für Klimaschutz ausgegeben werden sollen. Ist der Klimaschutz der schwarz-roten Regierung ein Nullsummenspiel?

Leider. Denn die FÖS-Analyse bestätigt, dass die neue Bundesregierung zusätzliche klimaschädliche Subventionen und Anreize von jährlich neun bis 15 Milliarden Euro schaffen will.

Diese Vorhaben entsprechen in etwa den geplanten jährlichen Mitteln aus dem Sondervermögen für den Klima- und Transformationsfonds von zehn Milliarden Euro. Damit ist dem Klimaschutz wenig geholfen.

Das Gros der neuen Subventionen und klimaschädlichen Anreize betrifft den Energiebereich mit rund sechs bis zehn Milliarden Euro und den Verkehr mit knapp zwei Milliarden. Konkret geht es um Maßnahmen wie Erhöhung der Pendlerpauschale, Senkung der Luftverkehrssteuer, Förderung von zusätzlichen Gaskraftwerken oder Subventionierung von Strompreisen.

Der Klimaschutz der schwarz-roten Regierung wird damit tatsächlich weitgehend zu einem Nullsummenspiel, bei dem sich Investitionen und klimaschädliche Subventionen aufheben.

Die Zahl der Tage mit extremer Hitze nimmt auch in Deutschland deutlich zu. Nun fordert ein breites Bündnis von der Ärztekammer über die Klima-Allianz bis zum Pflegerat: Die Politik muss die Gesundheit der Bevölkerung besser schützen.

Sollten dazu neben den üblichen Maßnahmen – Begrünung, Verschattung, besseres Wassermanagement – nicht auch öffentliche Gebäude wie Schulen mit Klimaanlagen ausgerüstet werden?

Es braucht dringend mehr und besseren Hitzeschutz. Hitze ist das größte klimawandelbedingte Gesundheitsrisiko in Deutschland. Die sehr wichtige und gute Initiative zum Hitzeaktionstag wurde von Bundesärztekammer, KLUG, AWO, Krankenhausgesellschaft, Pflegerat, Krankenkassen- und Hausärzteverband ins Leben gerufen.

Je nach Klimaentwicklung könnte sich die Zahl der Hitzewellen bis zum Ende des Jahrhunderts vervierfachen. Neben zahlreichen Maßnahmen zum besseren Hitzeschutz sind auch bauliche Veränderungen essenziell. Kinder sind besonders anfällig für die Folgen extremer Hitze, da ihr Körper Wärme schlechter regulieren kann als der von Erwachsenen.

Statt Innenräume allerdings durch energieintensive Klimaanlagen oder Ventilatoren herunterzukühlen, gibt es durchaus modernere Sonnenschutzlösungen, die etwa bereits im Außenbereich ansetzen und so die Hitzeentwicklung nachhaltig reduzieren können.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Es gibt mehrere "Wow"-Momente der Energiewende: Die Internationale Energieagentur IEA gab bekannt, dass die Investitionen in saubere Energietechnologien in diesem Jahr voraussichtlich ein Rekordhoch von 2,2 Billionen US-Dollar erreichen werden. Das ist doppelt so viel wie die erwarteten Investitionen in fossile Brennstoffe.

Solarenergie wird mit prognostizierten 450 Milliarden Dollar der größte Nutznießer sein, während die Ausgaben für Batteriespeicher auf rund 66 Milliarden Dollar ansteigen sollen.

Gleichzeitig verkündete Australien, dass im Mai zum ersten Mal mehr Batteriesysteme als Photovoltaik-Systeme verkauft wurden. Vorläufige Daten zeigen 1,4 installierte Batteriesysteme pro PV-System – ein außergewöhnlicher Meilenstein, finde ich.

Deutschland sollte sich daran ein Beispiel nehmen und kein fossiles Rollback machen, sondern ein sonniges Upgrade.

Fragen: Jörg Staude

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