Auf dem Kölnberg
Klima- und Sozialpolitik müssen miteinander verbunden werden, sagt Carolin Schenuit. (Foto: Alexander Sawin/​Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Frau Schenuit, vor gut einem halben Jahr lehnten Sie die dann Anfang 2022 vollzogene Senkung der EEG-Umlage ab: Deutschland habe nicht die höchsten Strompreise und die Industrie sei ohnehin weitgehend von der Zahlung der EEG-Umlage befreit, hieß es damals in einem FÖS-Gutachten. Zudem sei die Absenkung zu teuer und sozial unausgewogen. Gilt die Absage jetzt in der Strompreiskrise noch immer?

Carolin Schenuit: Unsere Studie kritisiert die Senkung der EEG-Umlage zunächst generell als eine wenig zielgerichtete Gießkannen-Maßnahme. Insofern gibt es weiterhin Verbesserungsbedarf bei der Umlage. Den sehen wir aber eingebettet in eine Gesamtreform des Energiemarkts sowie der staatlich verursachten Teile der Energiepreise.

Die EEG-Umlage ist ohnehin gerade dabei, sich selbst abzuschaffen. Die Lage am Strommarkt hat sich komplett gedreht. Wir haben die etwas paradoxe Situation, dass das EEG-Konto aufgrund der Hochpreislage übervoll ist und die Mittel nicht abfließen, weil sich die Erneuerbaren-Anlagenbetreiber ganz ohne Umlage sehr gut am Markt refinanzieren können.

Anfang Februar war das EEG-Konto mit zwölf Milliarden Euro im Plus, jeden Monat kommen schätzungsweise zwei Milliarden dazu. Können die Netzbetreiber das Geld einfach weiter horten oder müssen sie es vorzeitig ausgeben und die EEG-Umlage weiter senken?

Die Höhe der Umlage wird normalerweise im Herbst für das ganze Folgejahr festgelegt. Angesichts des übervollen Kontos braucht es aber keine große politische Intervention, damit die EEG-Umlage zumindest für den Rest des Jahres auf null sinkt. Das kann in großen Teilen aus den Verordnungen heraus passieren, die schon existieren, die Bundesnetzagentur hat da recht weitreichende Befugnisse.

Die von Ihnen angesprochene Gesamtreform des Strommarkts findet sich im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien unter dem Stichwort "Klimaneutrales Stromsystem" wieder.

Es soll eine Plattform geschaffen werden, auf der die Reformoptionen für ein klimaneutrales Stromsystem diskutiert werden. Welche Befugnisse die Plattform hat und wer dort diskutieren wird, ist noch unklar. Ich wünsche mir, dass ein Gremium, das zukunftsfähige Ergebnisse für ein erneuerbares Energiesystem vorlegen soll, weitreichende Spielräume für Reformideen bekommt.

Dabei plädiere ich für deutlich mehr Kreativität, um die Anreize wirklich konsistent auf Klimaneutralität auszurichten.

Für hitzige Debatten sorgen derzeit die Zusatzgewinne, die mit den hohen Strompreisen auch vielen EEG-geförderten Stromerzeugern in den Schoss fallen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat dazu vorgeschlagen, Neuanlagen über sogenannte Contracts of Difference zu fördern. Dann müssten die Erzeuger bei Strompreisen, die über der garantierten EEG-Vergütung liegen, die Differenz ans EEG-Konto zurückzahlen. Was halten Sie davon?

Den EEG-Anlagen garantiert der Staat ja über lange Zeiträume stabile Einnahmen und damit viel Planbarkeit für ihre Finanzierung. Daher ist es berechtigt, eine Deckelung der Profite über Differenzverträge ins Feld zu führen und kritisch darauf zu schauen, wie hoch die Mehrerlöse der Ökostromerzeuger derzeit ausfallen. Wir befürworten es, Contracts of Difference im Rahmen des klimaneutralen Stromsystems zu diskutieren.

Nochmal nachgefragt: Die EEG-Projekte sind doch auf Basis der garantierten Einspeisevergütung kalkuliert – und alles, was darüber hinausgeht, sind eigentlich "Windfall-Profits". Ist das gegenüber den Stromverbrauchern zu rechtfertigen, gerade angesichts der aktuellen Preise?

Man muss auch die Risiken der Erzeuger sehen. Die Zeiten negativer Strompreise an der Börse wirken sich nach den aktuellen Regelungen kritisch auf die Refinanzierung der Erneuerbaren-Projekte aus. Da stellt sich schon die Frage, wie viele Stunden im Jahr in Zukunft – bei deutlich höheren Erneuerbaren-Anteilen – diese negativen Preise auftreten und inwieweit die Erzeuger zum Ausgleich ihrer Einnahmeausfälle in diesen Zeiten Mehrerlöse aus hohen Strompreisen benötigen.

Man muss beide Seiten sehen, die der Verbraucher und die der Erzeuger. Deswegen ist es auch richtig, sich das gesamte Marktdesign anzuschauen.

Jüngst beklagte der Windenergieverband BWE: Wenn erneuerbare Energien 2021 mehr als 75 Prozent der stündlichen Stromlast in Deutschland trugen, war der Strompreis an der Börse negativ, gab es also einen Stromüberschuss, für den die Erneuerbaren nichts bekamen. Gleichzeitig galt laut BWE aber auch: Deckten fossile Stromerzeuger mehr als 75 Prozent, lag der Börsenstrompreis bei über zwölf Cent je Kilowattstunde, also etwa beim Doppelten des 2021 üblichen Preises.

Vereinfacht gesagt: Gab es letztes Jahr sehr viel erneuerbaren Strom, war das gut fürs Klima, viele Ökostromerzeuger verdienten aber nichts. Gab es dagegen sehr wenig erneuerbaren Strom, ging der Strompreis durch die Decke – viele Ökostromerzeuger verdienten dann aber auch nichts. Ist der Strommarkt nicht völlig aus den Fugen?

Im Wesentlichen haben wir noch immer ein Netz und ein Marktdesign, das auf den alten fossilen und atomaren Kraftwerkspark ausgerichtet ist. Daran wurden bisher nur kleinere Veränderungen vorgenommen, die oft nicht einmal das Nötigste reparierten. Auf einen Anteil von 80 Prozent Erneuerbaren am Strommarkt kommen wir damit bis 2030 wohl nicht.

Porträtaufnahme von Carolin Schenuit.
Foto: FÖS

Carolin Schenuit

ist seit Herbst 2020 geschäfts­führende Vorständin des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), eines unabhängigen Thinktanks. Die studierte Wirtschafts­ingenieurin für Umwelt­planung und -technik war in den letzten 15 Jahren sowohl im Bereich Energie­politik als auch in der Erneuerbaren-Branche tätig. Zuletzt leitete sie bei der Deutschen Energie-Agentur (Dena) die Arbeits­gruppe für die Markt- und System­integration von erneuerbaren Energien.

Das Netz ist derzeit ein limitierender Faktor und die Frage, wie wir damit umgehen, ist ganz entscheidend für das künftige klimaneutrale Stromsystem.

Ich denke, die Netzentgelte sind in der Debatte noch viel zu wenig präsent. Würden die Entgelte die Transportknappheiten im Stromnetz viertelstundenscharf abbilden, könnten sie im Marktdesign einen wirksamen Anreiz für mehr Flexibilität geben.

Die Regeln für die Netzentgelte sind derzeit aber viel zu starr. Mit einer unflexiblen Festlegung einmal pro Jahr lässt sich kein dynamisches System steuern.

Die Strompreiskrise lässt auch das Geschäftsmodell der Stromdiscounter ins Leere laufen. Es gab einfach keinen billigen Überschussstrom, den sie kurzfristig einkaufen und mit dem sie ihre Lieferpflichten zum vereinbarten niedrigen Preis erfüllen konnten. Müssen derartige Geschäfte, die auf Strommarkt-Preiswetten hinauslaufen, nicht künftig verhindert werden?

Meine Hypothese ist: Würden die Netzentgelte wirkliche Knappheiten beim Stromtransport abbilden, würde das allein schon den Markt beruhigen und das Maß spekulativer Geschäfte begrenzen.

Es stimmt: Die Discounter-Angebote beruhen auf riskanten Stromgeschäften. Das ermöglicht nach kühler Marktlogik aber auch volkswirtschaftliche Effizienzgewinne. Eine Zeitlang konnten sich so viele Stromverbraucher sehr günstig versorgen. Insofern ist es nicht nur schlecht, dass es auch riskantere Geschäftsmodelle gibt.

Aber sie sind verletzlich, können schneller schiefgehen und zu Insolvenzen führen, wie das aktuell passierte. Dann wird das Discounter-Angebot direkt grundsätzlich infrage gestellt, obwohl die Kundinnen und Kunden daraus lange Zeit auch Nutzen zogen.

Die Vorgänge sind aber ein Zeichen dafür, dass der Markt funktioniert und es auch bestraft, wenn nicht vorausschauend genug gehandelt wird. Statt solche Geschäftsmodelle grundsätzlich zu verbieten, wäre ich eher dafür, klügere Regeln zu schaffen, zum Beispiel dazu, wie viel Spekulationsanteil im Portfolio zulässig ist.

Die EEG-Umlage wurde bisher vor allem von privaten Haushalten und dem Gewerbe mit ihrer Stromrechnung bezahlt. Künftig soll der EEG-Zuschuss allein aus dem Bundeshaushalt kommen, genauer: aus dem Energie- und Klimafonds. Der wiederum speist sich aus den Einnahmen des nationalen Brennstoff-Emissionshandels.

Wer also Benzin und Diesel tankt oder mit Öl und Erdgas heizt, fördert am Ende den Ausbau erneuerbaren Stroms. Kommen dadurch Haushalte und Gewerbe künftig besser weg, als wenn die EEG-Umlage wie bislang auf den Strompreis aufgeschlagen wird?

Wenn die EEG-Kosten aus dem Energie- und Klimafonds bestritten werden, ändert sich an der vorrangigen Belastung vor allem der privaten Haushalte gar nicht so viel.

Der Grund ist: Bei den privaten Haushalten haben fossile Brenn- und Kraftstoffe einen deutlich höheren Anteil an den Energiekosten – verglichen mit dem in der Industrie. Anders gesagt: Der Elektrifizierungsgrad ist bei Unternehmen viel höher als bei den Haushalten.

Auch ist die Lobbypower der Unternehmen und ihrer Verbände ungleich größer, um ihnen nützende Entlastungen beim nationalen Emissionshandel durchzusetzen.

Wenn die EEG-Umlage künftig aus dem nationalen Emissionshandel finanziert wird, sehen wir dadurch eine gewisse Gefahr, dass die Kostenbelastung weiter strukturell in Richtung der Bürgerinnen und Bürger verschoben wird.

Wir denken, dass die Unternehmen einen größeren Anteil an der solidarischen Finanzierung der EEG-Umlage und der anderen Energiewende-Kosten tragen sollten.

Um bei der Energiewende soziale Gerechtigkeit walten zu lassen, gilt ein Klima- oder Energiegeld als das entscheidende Mittel. Das Klimageld hat sich die Ampel-Koalition zwar in den Koalitionsvertrag geschrieben, wann es kommt, ist aber unklar. Brauchen wir so eine Rückgabe der CO2-Einnahmen an die Haushalte nicht deutlich schneller?

Es ist jedenfalls eine gute Idee der Koalition, sich jetzt mit höherer Intensität um die Konzeption und Administration des Energiegeldes zu kümmern.

Ich habe auch die Hoffnung, dass es aufgrund der sich verschärfenden Ukraine-Krise und voraussichtlich weiteren Preisanstiegen bei den Fossilen nun schneller weiter oben auf der politischen Agenda landet. Nur die EEG-Umlage früher abzuschaffen, ohne weitere Maßnahmen, bliebe Symbolpolitik – vor allem mit Blick auf die ärmeren Haushalte.

Doch auch schon vor der Einführung des Energiegelds kann man gegensteuern, um die Ärmsten zu entlasten. Dafür sind in einem ersten Schritt die geplanten Heizkostenzuschüsse gut geeignet.

Ob die derzeit geplante Höhe der Zuschüsse überhaupt ausreicht, um die Probleme für die besonders bedürftigen Haushalte abzumildern, ist allerdings fraglich. Der Anspruch auf den Heizkostenzuschuss sollte nicht zu eng an andere Transferleistungsansprüche gekoppelt werden. Auch andere bestehende sozialpolitische Instrumente kann man nutzen, um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, beispielsweise das Kindergeld.

Des Weiteren sollten Förderprogramme und Direktberatung für Energieeffizienz in Haushalten bereitgestellt werden. Wohnungsbauunternehmen mit hohem Sozialwohnungsanteil sollten bei der energetischen Sanierung besonders unterstützt und verpflichtet werden.

Auch vergünstigte Sozialtickets oder ein Benzinkostenzuschuss für Geringverdienende ohne geeigneten Anschluss an den öffentlichen Verkehr würden helfen.

Am 25. Februar wurden auf Bitte der Interviewten im ersten Antwortsatz zwei Worte eingefügt: "Unsere Studie kritisiert die Senkung der EEG-Umlage zunächst generell als eine wenig zielgerichtete Gießkannen-Maßnahme."

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