Biogasanlage mit den typischen runden Gasbehältern und einer Notfackel. Das ist ein rund zwei Meter hoher Metall-Schornstein auf einer quaderförmigen Unterkonstruktion, die etwas abseits steht.
Wenn der Speicher voll ist und kein Biogas entnommen werden darf, muss es über die Notfackel – rechts im Bild – abgebrannt werden. (Foto: Wolfgang Jargstorff/​Shutterstock)

Letzten Donnerstag bekam Biogasanlagen-Betreiber Hans-Dieter Kuhlenkamp eine Benachrichtigung seines Netzbetreibers. Der kategorische Inhalt: Für viereinhalb Stunden muss er die Stromerzeugung seiner Anlage im niedersächsischen Wietzen herunterfahren, die 750 Kilowatt also praktisch vom Netz nehmen.

Am Freitagmorgen ging es mit der erzwungenen Null-Leistung weiter, zunächst für zwei Stunden von sechs bis acht Uhr. Um die Mittagszeit wurde dann noch mal für weitere Stunden abgeregelt – so der Fachbegriff.

Für den Anlagenbetreiber ist das Prozedere nichts Neues. Von Oktober 2021 bis März 2022 hatte er die Stunden, in denen die Anlage vom Netzbetreiber abgeregelt wurde, mal zusammengezählt und kam auf fast 200.

Die längste Abregelung ging über zwei Tage. Da läuft dann auch sein Gasspeicher voll und das weiter anfallende Biogas muss abgefackelt werden.

Besonders fatal für Kuhlenkamp: Wird der Strom voll abgeregelt, muss auch die Wärmebereitstellung eingestellt werden. Die Verpflichtungen zum Wärmeliefern laufen aber weiter. Es bleibt dem Betreiber dann nichts anderes übrig, als ersatzweise fossiles Gas oder Öl einzusetzen.

All das findet der Geschäftsführer ziemlich widersinnig, gerade seitdem der Erdgaspreis durch den Ukrainekrieg in astronomische Höhen geschossen ist. "Das versteht niemand mehr, dass wir Biogas abfackeln und dafür zugleich teilweise sogar Erdgas verbrennen müssen", sagt er.

Dass erneuerbare Energien über den sogenannten Redispatch abgeregelt werden, ist ein altes Problem. Gerade im Norden hält das Stromsystem mit dem Ausbau der Erneuerbaren nicht Schritt, auch verstopft noch jede Menge fossiler Strom die Trassen. Kommt es zu Engpässen im Netz, werden vor dem Engpass Stromerzeuger herunter- und danach wieder hochgefahren.

"Das Problem mit der Abregelung zeigt sich besonders in Nordniedersachsen, Schleswig-Holstein und teilweise auch im Osten Deutschlands, wo relativ viel Windenergie vorhanden ist", erläutert Florian Strippel, beim Biogasverband für Stromnetze und Systemdienstleistungen zuständig.

"Die Fackeln stehen nicht mehr still"

Die Einnahmeverluste bekommen die Erzeuger ersetzt. Das Geld dafür berappen die Stromkunden über die Netzentgelte.

Ums Geld geht es der Biogasbranche bei ihrer Kritik am Abfackeln aber nicht. "Mittlerweile hörten wir schon oft, dass die Fackeln nicht mehr stillstehen, weil die Anlage über mehrere Tage abgeregelt wird oder man gar nicht gesagt bekommt, wie lange das dauert", umreißt Energieexperte Strippel den wachsenden Ärger gegenüber Klimareporter°.

Und wie Kuhlenkamp müssen dann Betreiber mit Wärmeversorgung eine Ersatzwärmebereitstellung organisieren. "Die ist in vielen Fällen fossil, egal, ob dann der Betreiber oder der Wärmekunde selbst dafür sorgen muss", bestätigt Florian Strippel. In der jetzigen politischen Situation sei niemandem vermittelbar, dass man sehr teuer erzeugtes Gas abfackelt und gleichzeitig sagt, wir könnten nicht genug Gas aus dem Ausland holen.

"In der Folge sinkt das Vertrauen in die Biogasenergie, besonders in damit betriebene Nahwärmenetze", beobachtet Strippel. Komme die Biogaswärme wegen des Abregelns nicht zuverlässig, stellten sich die Leute lieber wieder eine Gas- oder Ölheizung in den Keller, sagt er.

Schon im Frühjahr, Putin hatte die Ukraine gerade erst überfallen, sorgten sich niedersächsische CDU-Landtagsabgeordnete über die Folgen der Gasfackeln. Gerade in windreichen Nächten sei zu beobachten, dass Biogas über die Notfackel verbrannt werden, bemerkten die Parlamentarier in einer Anfrage an die niedersächsische Landesregierung und äußerten die Sorge: "In der Öffentlichkeit wird das Verbrennen von Biogas vor allem mit Blick auf die Diskussion über die Verfügbarkeit von Erdgas und die damit verbundene Versorgungssicherheit mit Unverständnis zur Kenntnis genommen."

Beim Redispatch zählt nur Strom, nicht Wärme

Seit Monaten rührt sich bei dem Problem aber offenbar nichts. "Der Fokus der Bundesnetzagentur und der Netzbetreiber liegt ausschließlich auf dem Stromnetz", kritisiert Florian Strippel. In der aktuellen Lage sollte man aber erwarten können, sagt er diplomatisch, dass alle Akteure möglichst weitsichtig handeln und auch die Nahwärmeversorgung bei Entscheidungen eine Rolle spielt, wie Engpässe im Stromnetz behoben werden können.

Tatsächlich gilt die Stromproduktion als das einzige Kriterium beim Abregeln. Ob eine Anlage auch noch Wärme erzeugt, spielt keine Rolle. "Beim Redispatch gibt es derzeit keine Unterscheidung zwischen Erneuerbaren-Anlagen, die Strom und Wärme erzeugen, und solchen, die nur Strom erzeugen", erläutert Strippel. Die Netzbetreiber achteten nicht darauf, ob ein Windrad oder eine Biogasanlage abgeregelt wird.

Über den Umfang des Notfackelns gibt es keine Angaben, weder beim besonders betroffenen Land Niedersachsen noch bundesweit. Es gebe keine energierechtliche Meldepflicht für Biogasbetreiber zum Umfang möglicher Abfackelungen, räumt das niedersächsische Energieministerium auf Nachfrage ein.

Die Bundesnetzagentur erhebt lediglich, welche Strommengen durch das Abregeln nicht erzeugt wurden. Nach ihren Angaben betrug im Jahr 2021 diese "Ausfallarbeit" bei Strom aus Biomasse, Biogas eingeschlossen, bundesweit 77 Millionen Kilowattstunden.

2022 erreichte die Ausfallarbeit dieselbe Höhe allerdings schon zur Jahresmitte: Von Januar bis Juni wurden 77 Millionen Kilowattstunden aus Biomasse abgeregelt. Damit hätten rechnerisch mehr als 50.000 Haushalte in der gleichen Zeit mit Strom versorgt werden können.

Die Zahl vom ersten Halbjahr legt nahe, dass auch die Menge des abgefackelten Biogases gestiegen ist. Aus dem abgeregelten Strom lässt sich das aber nicht genau ablesen: Wann abgefackelt werden muss, hängt davon ab, wann der jeweilige Speicher vollläuft.

Wärmeerzeuger vom Abregeln ausnehmen

Die Bundesnetzagentur ziehe sich auf die Position zurück, dass die abgeregelten Betreiber ja entschädigt werden, kritisiert Biogasexperte Strippel. "Uns geht es an der Stelle aber nicht um die Entschädigung, sondern darum, dass es dem Verbraucher nicht vermittelbar ist, wenn er zuschauen kann, wie die Fackel brennt, und in den Nachrichten zugleich hört, dass er nur noch fünf Minuten duschen soll, um Gas zu sparen."

Um wenigstens einen Teil des Problems zu lösen, schlägt Strippel namens der Branche vor, die Abschaltreihenfolge zu verschieben und zwischen erneuerbaren Anlagen, die nur Strom erzeugen, und solchen zu unterscheiden, die Strom und Wärme erzeugen, die also zur Kraft-Wärme-Kopplung fähig sind.

Denn dass wegen des abgefackelten Biogases mitunter auch noch ersatzweise Erdgas verfeuert werden muss, versteht nun wirklich niemand.

Anzeige