Eine Hand hält ein Glas mit Schraubdeckel vor die untergehende Sonne, sodass die Sonne scheinbar im Glas gefangen ist.
Den Geist wieder dienstbar machen. (Foto: Milan Popović/​Unsplash)

Als meinte es die Natur gut mit den deutschen Stromverbrauchern, scheint seit Tagen die Sonne auf das Land. Die Photovoltaik brummt. Gestern um 14 Uhr Tag kostete die Megawattstunde, abzulesen am Fraunhofer-Energiechart, an der Börse acht Cent. Ja, richtig gelesen, acht Cent. Das macht dann 0,008 Cent für die Kilowattstunde.

Am gestrigen Freitag war zum Sonnenstrom der seit Tagen erste gute Wind gekommen – das Angebot an Ökostrom ließ den Preis purzeln.

Fehlt es dagegen an erneuerbarem Strom, geht der Preis steil in die Höhe. In der Spitze kostete die Megawattstunde in den letzten Tagen unglaubliche 700 Euro.

So geht das seit Monaten. Preislich spielt der Strommarkt verrückt und kennt nur einen Trend: nach oben. Börsenstrom ist derzeit im Schnitt fast fünfmal so teuer wie im Vorjahr.

Das schlägt auf die Kundschaft durch. Die Stromversorger heben dieses Jahr über 800 Tarife im Schnitt um mehr als 50 Prozent an. Weil Strom zu teuer wurde, stoppten die Lech-Stahlwerke bei Augsburg die Produktion von Elektrostahl.

 

Es hilft nur begrenzt, wenn Sonne und Wind den Strompreis tagsüber kurzzeitig in den Keller schicken. Den Maßstab setzt nach wie vor die berühmte Merit Order: Das teuerste Kraftwerk, das noch nötig ist, um den Bedarf zu decken, bestimmt den Preis für alle – und am teuersten sind derzeit meist die mit Erdgas auch aus Russland befeuerten Anlagen.

Davon profitieren zwar auch Ökostromerzeuger, am meisten aber – sagen Experten – die Kraftwerke, die die heimische Braunkohle verfeuern. Diese Kraftwerke sind bilanziell abgeschrieben, die Kosten für die CO2-Zertifikate sind erträglich und die Kraftwerkseigner dirigieren auch die Förderung des Brennstoffs – zusammengenommen eine Gelddruckmaschine.

Zahlen über die den Kohlekonzernen in den Schoß fallenden Zusatzgewinne sind nicht zu bekommen, nicht einmal zu Schätzungen wollen sich Marktbeobachter hinreißen lassen. Der Rat geht dahin, sich die kommende Quartalsbilanz beispielsweise von RWE anzusehen. Da werden die Gewinne aus dem Stromgeschäft voraussichtlich explodieren.

Besser Preisdeckel als Steuersenkung

Die EU-Kommission hat von dieser Abzocke am Strommarkt offenbar die Nase voll. Sie will die Strompreise in Europa deckeln. Das soll ein Vortragspapier von Kommissionschefin Ursula von der Leyen nahelegen, das sie in dieser Woche beim EU-Gipfel in Versailles den europäischen Regierungen präsentierte.

Danach prüft die Kommission Sofortmaßnahmen zur Begrenzung der "Ansteckungswirkung der Gaspreise auf die Strompreise", wie beispielsweise vorübergehende Preisobergrenzen.

Das ist mehr als löblich. Her mit dem Preisdeckel, und zwar schnell. Die EU-Kommission will noch wochenlang prüfen lassen.

Jedenfalls ist der Deckel allemal besser als der offen lobbyistische Vorschlag, die Mehrwertsteuer auf Strom zu senken, und zwar "so weit wie möglich" und "zeitlich unbefristet", wie es zum Beispiel der Verband kommunaler Unternehmen fordert.

Die Senkung der Mehrwertsteuer würde nur – das zeigt schon der kommende Wegfall der EEG-Umlage – neue Spielräume für die Erzeuger schaffen, weiter an der Preisschraube zu drehen.

Statt pauschal die Steuern zu senken, wäre es zielführender und sozialer, die Mehreinnahmen des Staates aus den hohen Energiepreisen zu nutzen, um vor allem denjenigen Haushalten massiv bei den Energiekosten zu helfen, die den exorbitanten Preis nicht zahlen oder es sich schlicht nicht leisten können, sich per Eigenheim samt solarer Aufrüstung von der Preisentwicklung abzukoppeln.

Extragewinne auf Kosten des Klimas

Es stellt sich aber auch die Frage, warum die EU-Kommission den Strommarkt nur "vorübergehend" dämpfen will. Dass die Gaspreise die Strompreise "anstecken" könnten, ist letztlich doch weniger dem bösen Willen der gasverbrennenden Erzeuger geschuldet, sondern vor allem dem grundlegenden Design des Strommarktes.

Dieses stammt noch aus Zeiten vor einem Vierteljahrhundert, als von Klimaschutz, Erneuerbaren-Förderung, Emissionshandel, Atom-, Kohle- und nun auch Erdgasausstieg nicht die Rede war. Als in Deutschland noch der Glaube regierte, Energie müsse durch den freien Wettbewerb möglichst billig beschafft werden.

Garzweiler
Dass der Strompreis steigt, hat mit Klimaschutz wenig zu tun. (Foto: Bert Kaufmann/​Flickr)

Diese Energiewelt von gestern funktioniert nicht mehr. Sie ist ja nicht einmal in der Lage, den preissenkenden Effekt der Erneuerbaren an die Verbraucher weiterzugeben. Ein Markt, in dem die klimaschädlichsten Kraftwerke sich gesundstoßen können, gehört schlicht abgeschafft.

In Zeiten, wo es um künftige Klimaneutralität geht, wird Strom ein knappes Produkt sein – und ein freier Wettbewerb um ein knappes Produkt bedeutet eben, den Markt für nahezu beliebig steigende Zusatzgewinne zu öffnen.

Die Branche ahnt schon, was die Stunde geschlagen hat. Unter dem Stichwort "Verantwortung für Versorgungssicherheit" hat der mächtige Energiebranchenverband BDEW dieser Tage schon mal gewarnt: "Die Prinzipien des Strommarkts sollten nicht infrage gestellt werden, um auch weiterhin eine effiziente und sichere Stromproduktion zu gewährleisten."

Diese Prinzipien, wie die Preisbildung per Merit Order und der unsinnige Stromhandel im Sekundentakt, haben sich überlebt. Sie stehen der Energiewende – und einer schnellen ganz besonders – im Weg.

Es wird Zeit, die Lobbyisten des Gestern zu entmachten. Da muss ein Deckel drauf.

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