
Klimareporter°: Herr Ofenheusle, an sonnenscheinreichen Tagen droht in Deutschland mittags ein Überangebot an Solarstrom. Um diese sogenannte Solarspitze abzubauen, starteten Fachleute der HTW Berlin eine Initiative "Dein Heimspeicher kann mehr".
Dabei empfehlen sie, den heimischen Stromspeicher nicht schon vormittags mit eigenem Solarstrom zu laden, sondern erst ab der Mittagszeit. Dann flösse weniger überschüssiger Solarstrom ins Netz. Was halten Sie von der Initiative?
Christian Ofenheusle: Genau richtig. Eine netzdienliche Nutzung, die die Mittagsüberschüsse in den Abend und die Nacht holt, ist die Lösung.
Sie weisen selbst darauf hin, dass Millionen kleiner Heimspeicher noch auf die Versorgung des eigenen Haushalts und nicht auf Netzdienlichkeit getrimmt sind. Wie lässt sich das ändern?
Dazu braucht es Bürokratieabbau und eine einfache und volkswirtschaftlich sinnvolle Anreizstruktur. Das Werkzeug dazu ist das Netzentgelt, denn es bildet den Aufwand ab, den das Netz verursacht. Wer diesen Aufwand verringert, der sollte auch weniger Netzentgelt bezahlen.
Voraussetzung dafür ist, dass auch Kleinspeicher variable Netzentgelte nutzen dürfen und dass diese Entgelte und bestenfalls auch dynamische Stromtarife zentral und transparent zur Verfügung gestellt werden.
Derzeit sind mehr als 1,8 Millionen Heimspeicher in Betrieb, die marktrelevante 15 Gigawattstunden Strom speichern könnten – so viel, wie Deutschlands Haushalte in einer Stunde verbrauchen. Allerdings sind diese Speicher nie ganz leer. Wie viel von den 15 Gigawattstunden steht im realen Betrieb überhaupt zur Verfügung?
Berechnungen gehen von bis zu 70 Prozent Leerstand in den Stromspeichern aus. Das wird sich von Jahreszeit zu Jahreszeit sicher unterscheiden, aber es ist auf jeden Fall genügend Kapazität da, um eine netzrelevante Pufferung zu ermöglichen.
Und das ist ja nur der Status quo. Die richtigen Anreizsysteme könnten sowohl die Anzahl als auch die Kapazität der Heimspeicher stark erhöhen.
Damit Haushalte auf ein Laden um die Mittagszeit umsteigen, hält die Fachwelt auch einen Mentalitätswechsel für nötig. Derzeit erwarten die Nutzer, dass der Speicher Strom lädt, sobald der erste Sonnenstrahl aufs Solarmodul fällt. Wie sind Ihre Erfahrungen?
In den Haushalten wird der Strom gespeichert, wenn es sich lohnt. Aktuell lässt der Gesetzgeber aber nur die Optimierung des Eigenverbrauchs zu und daher stimmt diese Aussage zum aktuellen Ladeverhalten am Vormittag noch. Mit entsprechenden Anreizen und einem smarten Strommanagement, das bereits Teil vieler Speichersysteme ist, würde sich das im Handumdrehen ändern.
Um die Netzdienlichkeit der Heimspeicher zu erhöhen, sprechen Sie sich dafür aus, den Einsatz preiswerterer "Smart Meter light" zu ermöglichen. Wie funktionieren diese "leichten" Messgeräte?
Sie verzichten auf einen Rückkanal, der beim klassischen Smart Meter vom Netzbetreiber genutzt wird, um die Anlage aus der Ferne zu steuern. Das ist bei den kleinen Speichern aber unnötig.
Lediglich die Verbrauchsdaten des Haushalts müssen gegenüber dem Versorger kommuniziert werden. Dazu lassen sich bereits existierende Technologien wie die in modernen Zählern bereits enthaltene optische Schnittstelle oder die HAN-Schnittstelle sowie Sicherheitsprotokolle zur Datenübertragung über das Internet nutzen. Man muss das Rad hier also nicht neu erfinden.
Auch die Angst vor möglichen Cyberangriffen, die bei der Einführung des herkömmlichen Smart Meters zu enormen Verzögerungen durch hohe Sicherheitsauflagen geführt hat, spielt bei einem Smart Meter light eine untergeordnete Rolle. Das liegt daran, dass einerseits ohnehin kein Kanal zur Steuerung vorhanden ist und andererseits die Nutzung freiwillig bleibt.
Die Heimspeicher-Initiative der HTW baut nicht auf den Einsatz von Smart Metern, sondern darauf, die Speicher auf eine sogenannte prognosebasierte Fahrweise umzustellen. Das ist bei vielen Heimspeichern mit wenigen Klicks möglich. Können sich die Haushalte nicht auch die Kosten für die "leichten" Smart Meter sparen?
Die Digitalisierung des Stromnetzes bietet weit mehr Möglichkeiten als den sinnvollen Einsatz von Heimspeichern, daher haben Smart Meter und Smart Meter light auch unabhängig davon einen Mehrwert.
Christian Ofenheusle
ist Gründer und Geschäftsführer der Agentur Empowersource sowie Vorsitzender des Bundesverbands Steckersolar (BVSS). Mit Machdeinenstrom.de und Pluginsolar.info betreibt er Nutzerplattformen für Balkonkraftwerke und gibt zudem einen Branchen-Newsletter heraus. Ofenheusle hat Soziologie an der Universität Freiburg studiert und war in der Kundenbetreuung für Medienbeobachtungsdienste tätig.
Ein Smart Meter light, wie wir ihn fordern, bringt schon bei Einsatz eines zweistelligen Betrags nicht nur einen dauerhaften Zugang zu den eigenen Verbrauchsdaten – die wiederum zur Optimierung des eigenen Verbrauchs genutzt werden können –, sondern eben auch die Möglichkeit, Abrechnungsdaten an den Netzbetreiber zu senden.
Zudem ist die "prognosebasierte" Fahrweise nicht für alle Speicher verfügbar und bietet – außer einer leicht erhöhten Lebensdauer des Akkus – auch kaum Anreize.
Letztlich wendet sich die HTW aber auch an eine andere Zielgruppe. Dort geht es eher um Nutzer mit großen Photovoltaikanlagen und entsprechenden Speichern und einem bereits vorhandenen Energiemanagement.
"Leichte" Smart Meter hingegen lassen sich auch in Miet- und Eigentumswohnungen mit kleinen Stecker- oder Heimspeichern nutzen, die bei den bisherigen Vorschlägen immer ausgeschlossen werden. Das Potenzial, das deren Aktivierung für die dezentrale Unterstützung des Stromnetzes entfalten kann, ist riesig.
Die HTW-Leute weisen darauf hin, dass bei einigen Herstellern die prognosebasierte Fahrweise nicht nur ohne Smart Meter und ohne Smart Meter Gateway möglich ist, sondern auch ohne Internetverbindung.
Laut den Tests soll das Laden zur Mittagszeit die Lebensdauer der Heimspeicher sogar um bis zu zwei Jahre verlängern – und auch bessere Erlöse bringen, weil der Strom zu Zeiten vermarktet werden kann, wenn die Netze gerade nicht mit Solarstrom geflutet sind. Sollte das nicht Anreiz genug sein für eine netzdienliche Fahrweise?
Für kleine Haushalte mit Stecker-Speichern lohnt sich die angesprochene Direktvermarktung des Solarstroms nicht. Und die längere Lebensdauer ist ein Argument, das nicht wirklich spürbar ist.
Ob ein Speicher nun 15 oder 20 Jahre hält, ist von so vielen Faktoren abhängig und unterscheidet sich von Modell zu Modell, dass diese von der HTW angeführten hypothetischen zwei zusätzlichen Jahre bei der Nutzungsentscheidung der Haushalte voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen.
Die direkte Ersparnis über vermiedene Netzentgelte, die sich über die netzdienliche Nutzung – also das Laden zu Zeiten niedriger Netzentgelte und das Entladen zu Zeiten hoher Netzentgelte – erzielen lassen, hat hingegen schon Gewicht.
Bisher genügte der Einbau eines Balkonkraftwerks, damit Haushalte ihre eigene Energiewende vollziehen können. Dafür ist jetzt, glaubt man der Solarbranche, noch ein Heimspeicher unbedingt nötig. Reicht ein einfaches Steckersolargerät nicht mehr aus, um ein Energiewende-Akteur zu werden?
Nein. Dass der Einbau eines Balkonkraftwerks ausreicht, damit Haushalte die "eigene Energiewende vollziehen können", hat noch nie jemand behauptet. Das Balkonkraftwerk war schon immer nur ein Türöffner.
Es geht auch nicht um den Speicher an sich, sondern um die Einbeziehung aller Bürger in den notwendigen Wandel. Vor allem sollen sie auch davon profitieren können und nicht wie bisher hauptsächlich dessen Kosten tragen.
Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung im Erneuerbare-Energien-Gesetz sowie die Vorgaben auf EU-Ebene mit Energy Sharing, mit dem Peer-to-Peer-Stromhandel – also dem Kauf und Verkauf von selbst erzeugtem Strom zwischen Privatpersonen –, mit Energiegemeinschaften et cetera gehen hier noch wesentlich weiter.
Die Zukunft der Energieversorgung ist dezentral und die Stecker-Technologie ist der Schlüssel dazu, dies direkt erleb- und nutzbar zu machen.