Klimareporter°: Frau Takit, vor Ihrem Wechsel zum Bündnis Bürgerenergie waren Sie lange in einflussreicher Position in der als hip geltenden Start‑up-Szene tätig. Warum sind Sie in eine als eher traditionell geltende Organisation gewechselt?
Lydia Takit: Im Start‑up-Umfeld habe ich seit 2008 gearbeitet. Das ist zum einen schon eine ganze Weile, zum anderen empfinde ich die Unterschiede als gar nicht so groß. Die Leute sind hier wie dort engagiert bei der Sache, wollen etwas bewegen und gestalten.
Der Unterschied ist eher: Auch wenn sich die Start‑ups zunehmend darum bemühen, so erscheint mir die Bürgerenergie-Szene doch inklusiver. Die Hürden, um bei Start‑ups einzusteigen, sind höher. Auch wird diese Szene ihrem Anspruch nicht immer ganz gerecht, die gesellschaftlichen Bedingungen zu verbessern.
Bei der Bürgerenergie kann eigentlich jeder und jede mitmachen. Nötig sind nur ein wenig Zeit und ein Anteil an einer Genossenschaft, der nicht viel kostet. Das gefällt mir.
Das hat Sie überzeugt?
Ein persönlicher Grund kam hinzu: Ich komme ursprünglich aus der Region westlich von Potsdam und bin vor einigen Jahren dorthin zurück ins ländliche Brandenburg gezogen. Das lokale Umfeld stand den erneuerbaren Energien aber nicht besonders freundlich gegenüber.
Ich arbeitete mich dann selbst ein in Photovoltaik, Wärmepumpe, dynamische Stromtarife und Netzentgelte. Mit der Zeit wurde das Thema für mich immer spannender und ich dachte, da geht richtig etwas voran. Als das Bündnis Bürgerenergie dann die Stelle als Vorstand und Geschäftsstellenleitung ausschrieb, bewarb ich mich.
Wer in Brandenburg die Debatten um die Windkraft und auch um die Freiflächen-Photovoltaik verfolgt, wäre froh, wenn es da nur um "Unfreundlichkeiten" ginge.
Auch in unserer Gegend hatten wir große Debatten um ein Windkraftprojekt im Wald. Der Protest und der Widerstand waren massiv. Das beschreibt hier das Klima gegenüber den Erneuerbaren in einem Teil der Gesellschaft.
Wenn mir ein auswärtiger Investor einen Windpark vor die Tür setzt, kann ich zwar protestieren, aber am Ende entscheide ich doch nichts. Bürgerenergie kann genau das beheben: Ich entscheide, ich bin nicht machtlos.
Für so eine Energiegenossenschaft brauchen Sie mindestens 50 Leute. In Brandenburg sind das in vielen Orten schon zehn Prozent der Einwohner. Dann kommen noch die Familienmitglieder hinzu – und dann lösen sie das Problem selbst und haben günstigen Strom.
Da wird einem dann nicht nur etwas vor die Tür gestellt, sondern die Leute haben mitentschieden, sie wissen, warum sie es tun, und haben einen Vorteil.
Das ist eine ganze andere Sichtweise, als wenn vor allem die Befürchtung herrscht, wegen der Windkraft sinke möglicherweise der Wert des eigenen Hauses.
Angesichts der Potenziale, die Erneuerbare bieten, ist es erstaunlich, dass gegen ihren Ausbau gerade im Osten so große Widerstände vorhanden sind. Diese werden von Rechtspopulisten ausgenutzt und angefeuert zugleich. Woher kommt diese Skepsis und Ablehnung?
Für mich kommen mehrere Dinge zusammen. Die Menschen im Osten sehen sich mit mehreren Krisen konfrontiert. Wer sich fragen muss, ob er überhaupt die Heizkosten noch bezahlen und genug zum Leben einkaufen kann und wie er zur Arbeit kommt, für den treten Dinge wie Klimawandel und Energiewende in den Hintergrund. Diese Ideen sind deswegen hier nicht immer positiv konnotiert.
Kämen wir zu einem echten Energy Sharing, gäbe es auch bessere Chancen, dass die Energiewende im Portemonnaie ankommt. Darum geht es im Osten. Er ist einfach nicht auf demselben Wohlstandslevel wie der Westen. Hier ist weniger zu erben, früher wurde kollektiv gewirtschaftet, der Einzelne hat weniger.
Es war immer schwer, die Häuser instand zu halten – und jetzt soll man sich eine teure Wärmepumpe kaufen? Das ist die Thematik des Ostens. Bietet man da keine Lösungen an, verweigern sich die Leute.
Und dann leben wir alle natürlich auch mit der kognitiven Dissonanz. Fast alle fahren wir Auto, müssen heizen und vieles andere mehr. Das hat bisher alles funktioniert. Warum sollen wir uns sagen, wir haben bisher allesamt das Falsche getan? Wer stellt sich selbst schon gern infrage?
In ihren Anfangsjahren haben Bürgerenergiegemeinschaften auch größere Windkraftprojekte realisiert. Das ist wegen hoher Investitionskosten und dem Genehmigungsaufwand heute eher die Ausnahme. Der Stellenwert der Bürgerenergie ist über die Jahre gesunken. Müssen Sie sich damit abfinden, künftig kleinere Brötchen zu backen?
Die Antwort auf die Frage hat einen quantitativen und einen qualitativen Aspekt.
Dass der Anteil der Bürgerenergie sinkt, ergibt sich nahezu logisch daraus, dass der Erneuerbaren-Markt so schnell wächst. Das wollen wir ja auch.
Auch wenn die Bürgerenergie nicht entsprechend mitwächst, gibt es bundesweit immer noch um die 2.000 Bürgerenergiegesellschaften mit einer halben Million Mitglieder. Das ist nach wie vor enorm.
Lydia Takit
ist seit Anfang Juni Vorständin beim Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Zuvor war sie leitend in mehereren Start‑ups im Bereich Softwareentwicklung sowie im Bundesverband Deutsche Startups tätig. Sie hat Wirtschaftskommunikation an der HTW Berlin studiert.
Und was die Qualität betrifft: Ich finde es nicht überraschend, dass die Bürgerenergie nicht der einzige Weg zur Energiewende ist. Das anzunehmen, wäre vermessen.
Irgendwann haben auch die großen Player am Energiemarkt verstanden, dass mit Erneuerbaren Geld zu verdienen ist und ihr fossiles Geschäftsmodell nicht mehr ewig laufen wird.
Aber wir müssen schon sehen, dass die Bürgerenergie nicht an den Rand gedrängt wird. Die Bürgerenergie bringt noch immer den ökologischen, dezentralen und demokratischen Ansatz in die Energiewende ein.
Was die Qualität betrifft: Bürgerenergie ist inzwischen mehr als Strom und Wärme.
Als ich begann, mich mit Bürgerenergie zu beschäftigen, habe ich über die Vielzahl der komplexen Geschäftsmodelle gestaunt, die mittlerweile entwickelt worden sind.
Am stärksten ist immer noch die Stromerzeugung vertreten, dann folgen aber schon Stromlieferung, Wärmenetze, Energieberatung, E‑Mobilität, der Betrieb von Energiespeichern, Biomasse und Energieeffizienz.
Die Erzeugung von Strom bleibt wichtig. Aber im Zuge der Dekarbonisierung von Wirtschaft und Verkehr werden Wärme und E‑Mobilität eine immer größere Rolle spielen. Dafür Geschäftsmodelle zu schaffen, scheint für die Bürgerenergie kein Problem zu sein. Innovation gibt es eben nicht nur bei Start‑ups.
Sie erwähnten schon das Energy Sharing – ein Modell, das Ihr Bündnis seit Jahren gegenüber der Politik durchsetzen will. Dabei geht es nicht um Überschuss-Strom von der Dachanlage, der an den Nachbarn abgegeben wird, sondern vor allem darum, gemeinschaftlich Energie zu erzeugen und zu verbrauchen: Die "Steckdose" wird, bildlich gesprochen, von der Wohnung an die Hauswand oder die Quartiersgrenze verlegt.
Der deutsche Gesetzgeber hätte das EU-Gesetzespaket zum Energy Sharing schon seit 2019 umsetzen müssen. Das ist aber bisher leider nicht passiert.
Energy Sharing war von Anfang an ein Konzept für Bürgerenergiegemeinschaften, was wir sehr begrüßen. Aber überschüssigen Strom von der Dachanlage an Nachbarn abzugeben ist übrigens auch Energy Sharing.
Nach unserem Dafürhalten soll sich eine Energiegemeinschaft in einem Umkreis von bis zu 50 Kilometern zusammenfinden können, damit auch Leute in ländlichen Gebieten die Chance dazu haben.
Energy Sharing muss sowohl als Teilversorgung als auch als Vollversorgung über mehrere Netzgebiete hinweg möglich sein. Bei dem Teilversorgungsmodell muss die Bürgerenergiegenossenschaft also nicht den ganzen Energiebedarf zu jeder Zeit decken, es gibt keine Lieferantenverpflichtung für eine Vollversorgung. Man hat noch einen zweiten Stromvertrag, der einem den "fehlenden Rest" an Strom liefert.
Um die Wirtschaftlichkeit von Energy Sharing zu sichern, fordern wir eine Prämie von zwei Cent für die Kilowattstunde. Diese soll den zusätzlichen Aufwand ausgleichen, den die Genossenschaften mit dem Einrichten und Bilanzieren des Modells haben.
Wir sind seit Jahren an dem Thema dran und haben Energy Sharing auf die politische Agenda gesetzt. Wir sind im intensiven Austausch mit den Zuständigen im Bundeswirtschaftsministerium und im Bundestag und hoffen, dass es in Kürze einen ersten Entwurf dazu geben wird.
Anfang des Monats verkündete das Bündnis Bürgerenergie, mithilfe eines Datipilot-Projekts eine "Bürgerenergie-Innovationscommunity" aufzubauen. Das klingt jetzt doch sehr Start‑up-mäßig. Was hat es mit der neuen Community auf sich?
Das ist wirklich eine tolle Sache. Unser Vorschlag wurde unter fast 500 Vorhaben mit 19 anderen ausgewählt. Darauf sind wir schon sehr stolz.
Wir haben nun insgesamt fünf Millionen Euro zur Verfügung, um Innovationsförderung und Innovationstransfer in der Bürgerenergie zu fördern. Gemeinsam mit der 100-Prozent-Erneuerbar-Stiftung und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung werden wir im Januar 2025 starten und neben eigenen Projekten wie dem Management der Innovations-Community auch einen Teil der Gelder für innovative Anträge aus der Bürgerenergie-Szene ausschreiben.
Wer also jetzt schon eine Idee für soziale oder technische Innovation in der Bürgerenergie hat, kann sich gern bei uns melden.