Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Sebastian Sladek, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).
Klimareporter°: Herr Sladek, über Klima und Energie verhandelt die künftige schwarz-rote Koalition derzeit in der Arbeitsgruppe 15 unter Leitung des CDU-Umweltpolitikers Andreas Jung und des niedersächsischen Wirtschaftsministers Olaf Lies von der SPD. Haben Sie den beiden schon Ihren Wunschkatalog geschickt?
Sebastian Sladek: Wir verfolgen die Koalitionsverhandlungen sehr eng. Selbstverständlich sind wir besonders interessiert an den Aktivitäten der Arbeitsgruppe Klima und Energie. Aber nicht nur.
Wir gehen davon aus, dass auch andere Arbeitsgruppen mitreden, wenn es zum Beispiel um die Weiterentwicklung der für die Wärmewende eminent wichtigen Förderprogramme geht. Wir sind vor allem aufs Gesamtprodukt gespannt.
Auf jeden Fall stehen mit Andreas Jung und Olaf Lies der AG Klima und Energie zwei anerkannte Energiewende-Experten vor. Ich werte das als positives Signal.
Unsere Empfehlungen für die neue Bundesregierung haben wir bereits vor den Wahlen in einem Zehn-Punkte-Plan klar formuliert. Darin betonen wir die Notwendigkeit einer dezentralen, bürgergetragenen Energiewende. Natürlich gingen die Vorschläge auch den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern bei CDU, CSU und SPD zu.
Jetzt haben wir gemeinsam mit anderen Ökoenergieunternehmen noch einmal nachgegriffen und uns in einem offenen Brief gezielt an die Mitglieder der Arbeitsgruppe gewandt. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass diese unter enormem Zeitdruck arbeiten. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten und ich zolle dieser Arbeit auch Anerkennung.
Wir stehen auf jeden Fall bereit, um gemeinsam echte Lösungen zu entwickeln – Lösungen, die nicht nur auf dem Papier gut aussehen, sondern in der Praxis funktionieren. Unser dringlichster Appell an die neue Bundesregierung lautet: Schaffen Sie Verlässlichkeit!
Unternehmen, Bürger:innen, Kommunen und die gesamte Energiebranche brauchen stabile Rahmenbedingungen, die Investitionen in Erneuerbare-Energien-Anlagen, klimaneutrale Infrastruktur sowie eine bezahlbare und bürgernahe Energiewende ermöglichen.
Es braucht jetzt keinen "Neustart der Energiewende", wie dieser Tage vermehrt zu lesen ist, sondern ein entschlossenes Durchstarten. Denn Erneuerbare sind nicht nur wichtig für den Klimaschutz, sondern auch zentraler Treiber für Wachstum und Energieunabhängigkeit.
Von den 500 Milliarden Euro des in dieser Woche beschlossenen Sondervermögens sollen nunmehr 100 Milliarden in den nächsten zwölf Jahren für Investitionen in die Klimaneutralität bis 2045 ausgegeben werden. Das sind pro Jahr nur etwas mehr als acht Milliarden. Kann mit der Summe überhaupt Entscheidendes bewegt werden?
Ich würde sagen: Ja, aber. Zunächst sendet die Politik ein Signal aus, dass sie es mit der Klimaneutralität ernst meint und langfristig den finanziellen Spielraum im Klima- und Transformationsfonds dafür schafft. Aber wir müssen diese Summe auch ins Verhältnis setzen, und es kommt auf die Verteilung der Mittel an.
Die acht Milliarden jährlich reichen gerade aus, um die voraussichtliche Finanzierungslücke im Klimafonds zu stopfen. Das bedeutet, wir müssen sehr genau hinsehen, welchen Plan die neue Bundesregierung für die Nutzung der Gelder vorlegt.
Im besten Fall gelingt es ihr, mit dem neu gewonnen Spielraum nicht nur Investitionen in die Klimaneutralität zu stemmen, sondern auch den Wandel gerecht zu gestalten. Dazu gehört beispielsweise ein sozial gestaffeltes Klimageld, um steigende CO2-Preise auszugleichen. Das kostet etwa acht bis zehn Milliarden jährlich, ließe sich aber laut Expert:innen auf eine kürzere Anfangszeit beschränken.
Noch entscheidender finde ich es, dass die Breite der Gesellschaft zum Klimaschutz befähigt wird. Ich denke da an Sicherheiten für kleine Akteure wie Bürgerenergie-Genossenschaften. Hier kann vergleichsweise wenig öffentliches Geld eine große Hebelwirkung für private Investitionen in die Energie- und Wärmewende entfalten.
Auch die gezielte Ertüchtigung von Haushalten mit kleineren Einkommen, klimafreundlich zu investieren, ist wichtig. Wirklich Entscheidendes bewegen wir aber erst dann, wenn wir endlich teure fossile Subventionen abschaffen und auch diese Gelder in unsere Zukunft investieren.
Zweifel, ob Klimaneutralität bis 2045 machbar ist, haben gerade die Stadtwerke. Mehr als zwei Drittel der kommunalen Unternehmen halten das deutsche Zieljahr unter den geltenden Rahmenbedingungen für unrealistisch, ergab kürzlich eine Umfrage ihres Verbandes VKU. Verabschieden sich die Stadtwerke vom Klimaschutz?
Ich sehe das nicht als eine Abkehr vom Klimaschutz, sondern als Bekräftigung dieses Ziels. Die Versorgungsunternehmen sind sich bewusst, dass an der klimafreundlichen Transformation kein Weg vorbeiführt. Nun geht es darum, diese Aufgabe zu lösen. Dafür sind höhere Investitionen notwendig als bislang – und Klimaanpassung kommt noch hinzu.
Mit diesen Kosten wollen die kommunalen Versorger nicht alleingelassen werden und sie nicht an ihre Kund:innen abwälzen. Darum brauchen sie verlässliche politische Rahmenbedingungen und Unterstützung für die notwendigen Investitionen in eine zukunftsfähige Infrastruktur. Und dass Genehmigungsverfahren für neue Projekte vereinfacht werden müssen, ist nun auch keine neue Forderung.
Das Signal, das von dieser Umfrage ausgeht, lese ich also nicht als Absage an die Klimaneutralität, sondern als Auftrag an Politik und Gesellschaft, diese Aufgabe entschlossen anzupacken.
Sie beklagen schon lange, dass gerade Baden-Württemberg trotz seines großen Energiebedarfs beim Ausbau der Windkraft hinterherhinkt. 2024 hat sich das kaum geändert. Nur zehn Prozent des bundesweiten Windkraft-Ausbaus fand im Süden Deutschlands statt. Woran liegt das?
Es stimmt, hier in Baden-Württemberg ist beim Ausbau der Windenergie noch Luft nach oben. Laut Landes-Klimaschutzgesetz sollen die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken und schon 2040 soll Netto-Neutralität erreicht sein.
Der Ausbau der Windenergie ist dafür wichtig. Eine Studie des Öko-Instituts im Auftrag der EWS hat kürzlich verdeutlicht, dass für die Klimaziele des Landes der reale Windenergie-Zuwachs von jährlich 80 Megawatt im Schnitt der letzten 20 Jahre auf 400 bis 650 Megawatt angehoben werden müsste. Es gibt also noch viel zu tun.
Die Studie skizziert aber auch positive Trends. Zum Beispiel konnte die Dauer von Genehmigungsverfahren stark reduziert werden. Diese positive Entwicklung können wir in der Praxis bestätigen. So steht ein mehrere Jahre in der Genehmigungsphase befindlicher Windenergiepark nach längerer Durststrecke nun kurz vor der Genehmigung. Das spürbare Engagement der Kolleginnen und Kollegen in den zuständigen Behörden stimmt uns daher auch zuversichtlich.
Sehr dringenden Handlungsbedarf sehen wir bei der Flächenauktionierung. Uns schmerzt in Baden-Württemberg besonders das ungeeignete Auktionsverfahren für öffentliche Flächen durch den verantwortlichen Landesbetrieb Forst BW, der den Staatswald bewirtschaftet. Hier werden zum Teil schwindelerregend hohe Pachtsummen aufgerufen, bei denen es unrealistisch ist, dass die Windkraftprojekte auf diesen Flächen am Ende auch realisiert werden.
Zudem treffen hohe Pachtpreise Bürgerenergie und Mittelständler besonders hart, weil sie in der sogenannten Pachtrallye gegenüber internationalen Großkonzernen zwangsläufig den Kürzeren ziehen. Hier muss dringend nachjustiert werden, um mehr Windenergie auf öffentlichen Flächen zu ermöglichen und die Akteursvielfalt zu erhalten.
Zur Wahrheit gehört auch, dass der Ausbau der Windenergie nicht allein von landespolitischen Faktoren abhängt. Ein zentraler Faktor für den Wind-Ausbau ist nach wie vor die Attraktivität der Ausschreibungen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Die Studie spricht hier die Sorge an, dass der aktuelle Trend steigender Beteiligung an den Wind-Ausschreibungen zu sinkenden Zuschlagswerten führt, bei denen Projekte in Baden-Württemberg aufgrund allgemein höherer Projektkosten nicht mehr konkurrenzfähig wären. Hier sollte eine Evaluierung kommender Windkraft-Auktionen in Bezug auf die erzielten Zuschläge in Süddeutschland erfolgen.
Schlussendlich ist ein verlässlicher Finanzierungsrahmen die Grundvoraussetzung für die Beibehaltung eines hohen Ausbautempos. Wir sehen hier vor allem die künftige Bundesregierung in der Pflicht.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Die Woche zeigte, dass sachliche politische Arbeit über Fraktionen hinweg noch möglich ist, wenn es darauf ankommt. Mit einer Zweidrittelmehrheit wurde in Bundestag und Bundesrat die Reform der Schuldenbremse beschlossen, die dringend notwendige Investitionen in die Zukunft so lange gehemmt hat.
Das ist grundsätzlich ein positives Signal. CDU und CSU haben nach der Bundestagswahl zwar noch ein paar Tage gebraucht, um aus dem Wahlkampfmodus herauszukommen, aber spätestens als die Stimmen der Grünen notwendig wurden, um die künftige schwarz-rote Koalition mit dem notwendigen finanziellen Spielraum auszustatten, konnte man doch wieder miteinander reden.
In der Zusammenarbeit ist sogar – gerade aus klimapolitischer Sicht – ein besseres Ergebnis dabei rausgekommen, als das Sondierungspapier es vermuten ließ.
Der Weg zu diesem Ergebnis bleibt trotzdem beschämend, denn dass ihnen der hohe Finanzbedarf erst nach dem desaströsen Treffen von Selenskyj und Trump klar geworden sein soll, können die Unions-Spitzen wirklich niemandem erzählen. So bleibt der Eindruck der gezielten Täuschung bei den Wahlen bestehen, der auf der neuen Regierung als schwere Starthypothek lastet – und der mit mehr Ehrlichkeit komplett vermeidbar gewesen wäre.
Die resultierende Politikverdrossenheit ist gerade in Zeiten des grassierenden Populismus ein sehr schlechtes Signal. Die neue Regierung muss also nicht nur gute Ergebnisse liefern, sondern diese auch klar und offen kommunizieren – ab jetzt ohne Nebelkerzen, ohne Fingerzeigen und mit einem klaren Fokus auf die Zukunft.
Fragen: Jörg Staude