Großen Erfolg hatte der schwedische Vattenfall-Konzern in Deutschland in den letzten Jahren wirklich nicht. Zuletzt musste das Unternehmen das relativ neue Hamburger Steinkohlekraftwerk Moorburg in die anlaufenden Auktionen zum Kohleausstieg geben. Ein Grund dafür ist, dass die Stadt 2019 das Hamburger Wärmenetz von Vattenfall zurückkaufte – da wird auch die Fernwärme aus Moorburg absehbar bald nicht mehr gebraucht.
Vattenfall machte zumindest in Deutschland aus der Not eine Tugend und profilierte sich zuletzt nach außen als erneuerbar und grün. Weil man zum Pariser Klimaabkommen beitragen wolle, verabschiede sich Vattenfall von der Kohle, erzählte der Ende Oktober von seinem Posten zurückgetretene Vattenfall-Chef Magnus Hall jüngst der Süddeutschen Zeitung. Hall sagte dabei auch, dass er für die Kernkraft noch eine Zukunft sehe, im Moment seien neue Atomkraftwerke nur "schlicht zu teuer".
Nun – für die deutschen Steuerzahler werden die früheren Vattenfall-AKW Krümmel und Brunsbüttel jetzt noch teurer. Hall und seine Nachfolger an der Vattenfall-Spitze werden das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg sicher mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Es passiert nicht jeden Tag, dass ein Unternehmen für Altanlagen wie Brunsbüttel (1977 bis 2007 in Betrieb) und Krümmel (1987 bis 2007) viele Klagejahre später noch einen Aufschlag bei ohnehin zu zahlenden Entschädigungen herausholt.
Dass so etwas möglich ist, liegt an einer Fehlkonstruktion des deutschen Atomrechts. Die AKW waren, auch wenn die Wissenschaft das für wenig verantwortbar hielt, im Besitz unbefristeter Betriebsgenehmigungen. Damit war stets klar: Bei einem Atomausstieg würden Entschädigungen fällig werden.
Beim Atomkonsens Anfang der 2000er Jahre wurde den Betreibern denn auch zugestanden: Jedes AKW kann rechnerisch im Schnitt 32 Jahre laufen, und geht ein Kraftwerk eher vom Netz, können die nicht erzeugten Strommengen von diesem auf andere AKW des Betreibers umverteilt werden.
Diese Regelung stand auch Pate, als die Bundesregierung Ende 2010 eine atomare Schleife drehte und die Laufzeit der deutschen AKW um mehrere Jahre verlängerte. In der Praxis wurden einfach die sogenannten Reststrommengen erhöht. Dumm nur, dass es im März 2011 zur Fukushima-Katastrophe kam und die Stimmung in der Öffentlichkeit endgültig in Richtung schneller Atomausstieg kippte.
Mit diesem Ausstieg bis Ende 2022 fanden sich die Betreiber nie so richtig ab und klagten wegen zu geringer Entschädigungen. Schließlich waren und sind die AKW – betriebswirtschaftlich gesehen – Gelddruckmaschinen. Mit dieser Haltung hat sich Vattenfall jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht durchgesetzt.
Nachlässige Arbeit des Gesetzgebers
Der Umstand, dass die beiden Vattenfall-Kraftwerke Brunsbüttel und Krümmel schon weit vor 2010 aus Sicherheitsgründen von Netz gegangen sind, spielte dabei keine Rolle. Entscheidend ist, dass Vattenfall vom Gesetzgeber bisher keine ausreichende Möglichkeit eingeräumt bekam, Reststrommengen umzuverteilen.
Ein Grund für das Urteil des Verfassungsgerichts ist auch eine nachlässige Arbeit des Gesetzgebers. So interpretierte das Bundesumweltministerium ein Schreiben der EU-Kommission zu den Entschädigungszahlungen – diese mussten auf ihre beihilferechtliche Zulässigkeit geprüft werden – als rechtlich gültige Zustimmung, obwohl es sich nur um eine Art Vorauskunft handelte. Deshalb hat nach Ansicht der Verfassungsrichter auch eine 2018 erlassene Novelle des Atomgesetzes, die ebenjene Verteilung der Reststrommengen neu regeln sollte, gar nicht erst Gesetzeskraft erlangt.
Das Urteil lege die Unfähigkeit der Bundesregierung "schonungslos offen", meint die Vorsitzende des Bundestags-Umweltausschusses, Sylvia Kotting-Uhl (Grüne). Nach der schwarz-gelben Regierung 2011 scheitere nun auch die heutige große Koalition daran, den Atomausstieg auf rechtssichere Füße zu stellen. "Am Ende werden wieder die Steuerzahler für die Fehlschläge der Bundesregierung geradestehen müssen."
Die vom Verfassungsgericht jetzt verlangte Nachbesserung des Atomgesetzes läuft im Kern auf höhere Entschädigungen für die AKW-Betreiber hinaus. Der Atomausstieg selbst, hatte Karlsruhe schon 2016 geurteilt, ist aber im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar. Er steht nicht zur Debatte. Fällig werden die Entschädigungen übrigens erst im Jahr 2023, wenn der letzte Reaktor vom Netz gegangen ist.
Wegen des Atomausstiegs klagt Vattenfall noch beim internationalen Schiedsgericht der Weltbank in Washington. Hier geht es um Forderungen in Höhe von mehreren Milliarden Euro wegen der dauerhaften Stilllegung von Krümmel und Brunsbüttel.
Wann dieser Fall entschieden wird, darüber wird seit Jahr und Tag gerätselt. Auch Ex-Vattenfall-Chef Magnus Hall wollte dazu keine Prognose abgeben. Sollte Vattenfall aber auch hier Recht bekommen, gehören die beiden Uralt-Anlagen sicher zu den Kraftwerken, die pro Kilowattstunde die höchsten Entschädigungen erstritten haben.
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