Der klimapolitische Druck auf die Braunkohle im Osten steigt weiter. Eine heute veröffentlichte Studie der Beratungsfirma Energy Brainpool im Auftrag des Umweltverbandes BUND Sachsen hält einen regionalen Kohleausstieg bis 2030 für möglich – bei zugleich sinkenden Strompreisen und gleichbleibender Versorgungssicherheit.
In Rahmen des von Energy Brainpool vorgelegten Ausstiegskonzepts könnten alle noch laufenden Braunkohle-Blöcke in der Lausitz deutlich früher abgeschaltet werden, heißt es in der Untersuchung mit dem Titel "Kohleausstieg in der Lausitz bei linearer Emissionsminderung".
Konkret hieße dies für die vom Energiekonzern Leag betriebenen Kraftwerke: Am Standort Jänschwalde würde die Stromerzeugung bereits 2025 enden und nicht erst Ende 2028, wie im geltenden Ausstiegsgesetz festgelegt.
Die anderen beiden Lausitzer Leag-Standorte Boxberg und Schwarze Pumpe würden laut dem Konzept schon im Zeitraum 2026/2027 beziehungsweise 2028/2029 stillgelegt. Bisher ist das für beide Kraftwerke erst Ende 2038 geplant und könnte von der Politik ohne Gesetzesänderung nur auf 2035 vorgezogen werden.
Ein Verzicht auf das Vorziehen des Kohleausstiegs führt in der Energiewirtschaft zu Treibhausgas-Emissionen oberhalb des CO2-Budgets aus dem Klimaschutzgesetz, stellt Energy Brainpool fest. Das sei "planerisch nicht gesetzeskonform", wird betont.
Nach den Prognosen der Studie droht 2023 zu einem Desasterjahr fürs Klima zu werden. So sollen in diesem Jahr die Emissionen der Energiewirtschaft gegenüber dem Vorjahr nochmals um elf Millionen Tonnen CO2 steigen. Sie würden dann um 30 Millionen Tonnen oder zwölf Prozent über dem Pfad liegen, der zum vorgegebenen Klimaziel für die Energiewirtschaft von 108 Millionen Tonnen im Jahr 2030 führt. Erst für dieses Zieljahr hat der Sektor wieder eine konkrete Vorgabe im Klimagesetz.
Als Gründe für das Emissionsplus nennen die Gutachter "krisenbedingte Mehremissionen der Energiewirtschaft". Damit ist vor allem die Wiederinbetriebnahme alter Kohlemeiler gemeint.
Weitere zusätzliche Emissionen stammen laut Studie aus dem Einsatz von LNG- statt Pipelinegas sowie aus dem Redispatch süddeutscher Kohlekraftwerke. Letzteres beschreibt den Umstand, dass große Unternehmen im Süden Deutschlands im Norden billigen Windstrom einkaufen, dieser aber wegen fehlender Stromtrassen nicht zu den Käufern kommt und abgeregelt werden muss. Um die Lieferpflichten zu erfüllen, müssen dann ersatzweise in der Südregion fossile Kraftwerke angeworfen werden.
"Je später das Abschalten beginnt, desto disruptiver wird der Wandel"
Mit den Angaben in der Studie untermauert Energy Brainpool die auch in der Politik kursierende Ansicht, dass sich ohne einen früheren "Kohleausstieg Ost" das deutsche Klimaziel bis 2030 nicht erfüllen lässt.
Wenn die reaktivierten Kohlemeiler 2024 wieder vom Netz gehen und auch der Erneuerbaren-Anteil im Strommix deutlich zulegt, rechnet die Studie zwar damit, dass die Energiewirtschaft im kommenden Jahr zunächst wieder auf den Pfad zum 2030er Klimaziel zurückkehrt.
Längerfristig jedoch wird die Energiewirtschaft ohne einen auch im Osten vorgezogenen Kohleausstieg ihr Sektorziel von 108 Millionen Tonnen 2030 verfehlen – und zwar deutlich, nach den Angaben von Energy Brainpool um 26 Millionen Tonnen CO2, also um ein Viertel.
Gehen die Lausitzer Kraftwerke aber wie vorgeschlagen vorfristig vom Netz, kann die Energiewirtschaft 2030 ihr Klimaziel sogar um zehn Millionen Tonnen unterbieten.
"Es besteht dringender klimapolitischer Handlungsbedarf, denn je später die ersten Kohlekraftwerke beschleunigt abgeschaltet werden, desto disruptiver muss der anschließende Wandel sein", stellen die Autoren abschließend fest.
Der Kohleausstieg bis 2030 sei die Mindestforderung des Umweltverbandes, kommentierte der sächsische BUND-Vorsitzende Felix Ekardt die Studie. Gemessen an den Grundrechten und dem Paris-Abkommen seien die derzeitigen Ziele des Klimaschutzgesetzes weiterhin zu schwach und damit verfassungs- und völkerrechtswidrig.
"Wir werden also eher noch mehr tun müssen", betonte Ekardt. Besser als neue Gaskraftwerke zu bauen sei es deswegen, noch konsequenter auf Energieeffizienz und Energiesparen zu setzen.
Wird Braunkohle schnell unrentabel, zahlen die Stromverbraucher
Die Realisierbarkeit eines vorzeitigen Kohleausstiegs, auch das macht die Studie klar, hängt von einer Vielzahl derzeit schwer vorhersehbarer Bedingungen ab. Dazu gehört zum einen, dass der im EEG 2023, dem aktuellen Erneuerbare-Energien-Gesetz, vorgesehene Ausbau der Wind- und Solarenergie gelingt.
Zum anderen, so die Studie, müssen bereits Ende 2025 um die 7.000 Megawatt neuer Gaskraftwerke fertig installiert sein. Das sei etwa das Doppelte des bisher öffentlich bekannten Ausbaus. "Ein frühzeitiger Zubau ist wichtig, weil nur so die beschleunigte Stilllegung von Kohlekraftwerken möglich wird", betonen die Energy-Brainpool-Experten ausdrücklich.
Eine weitere Randbedingung ist ein Anstieg des CO2-Zertifikatepreises im EU-Emissionshandel von derzeit 80 auf 100 Euro im Jahr 2028 sowie auf 120 Euro bis 2033. Dieser wirkt sich aber nur dann wirtschaftlich nachteilig auf den Braunkohlestrom aus, wenn zugleich der Strompreis wieder sinkt und Gaskraftwerke so preiswert Strom erzeugen, dass die Kohleanlagen in der sogenannten Merit Order hinter das Gas an die letzte Stelle rücken, der Kohlestrom also zuletzt und am wenigsten abgerufen wird.
Laut den Voraussagen von Energy Brainpool kann das allerdings in den kommenden Jahren eintreten. So geben die Energieberater an, dass sich der Gaspreis im Laufe der 2020er Jahre gegenüber dem jetzigen Niveau in etwa halbieren wird. Ebenso halbiert sich in dem Szenario der Strompreis von heute 120 Euro je Megawattstunde auf 60 Euro.
Wegen der Unsicherheiten bei der Preisentwicklung lässt sich derzeit aber offenbar nicht genau bestimmen, wann der Braunkohlestrom im Osten unrentabel wird. Das kann, so ist zu hören, schon 2026 der Fall sein, aber auch erst um 2030.
Sollte die Braunkohle dabei schon in den nächsten Jahren in die Verlustzone geraten, könnte das Worst-Case-Szenario eintreten, dass der Braunkohleverstromer Leag die Kraftwerke stilllegen will, die Bundesnetzagentur dies aber aus Gründen der Netzstabilität untersagt. In solchen Fällen wird der verlangte Reservebetrieb des Kraftwerks dann in der Regel von den Stromkunden über die Netzentgelte finanziert.