Woche für Woche gehen Zehntausende Schülerinnen und Schüler und auch Studierende auf die Straße und streiken für eine konsequente Klimapolitik.
Sie lenken damit den Blick auf die entscheidende Frage: Wie muss Politik heute aussehen, damit sie auch den künftigen Generationen gerecht wird?
Niemand kann den jungen Menschen ihre Motivation und Legitimation absprechen. Sie sprechen unmittelbar und hervorragend für sich selbst.
Die Schülerinnen und Schüler fordern zum Beispiel: "Sagt endlich die Wahrheit über die Klimakrise!" Ihre Aufforderung richten sie in erster Linie an die Regierenden.
Doch gerade auch Umwelt-Aktive müssen sich diesem Appell stellen: Spricht die Umweltbewegung Klartext? Oder ist sie nach Jahrzehnten des Engagements zu sehr zerrieben? Klammert sie sich an jeden Strohhalm, an jedes Trippelschrittchen in die richtige Richtung?
Nachdem Generationen Umweltbewegter zuerst eindringlich vor der Katastrophe gewarnt hatten, dann Hoffnung in individuelle und pädagogische Ansätze gelegt haben, wurde schließlich für einen Schulterschluss mit Akteuren aus der Wirtschaft geworben, besonders mit Win-win-Erzählungen.
Doch mit keiner der drei Strategien ist es bisher geglückt, schnell genug die nötigen politischen Veränderungen zu erreichen.
Zur Person
Julia Verlinden ist Bundestagsabgeordnete der Grünen und energiepolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Die studierte Umweltwissenschaftlerin aus Lüneburg ist auch ökologische Netzwerkerin und Radfahrerin.
Die Aktiven von Fridays for Future wecken bei vielen in der Umweltbewegung zu Recht Hoffnung auf Veränderung. Gleichzeitig zwingen sie alle, das eigene Vorgehen zu reflektieren und neu auszurichten:
Was ist jetzt der notwendige Job der "etablierten" Umwelt-Akteure aus Zivilgesellschaft und in den Parlamenten? Welchen Part müssen und können Graswurzel-Initiativen ausfüllen? Was können Einzelne tun, um Verantwortung zu übernehmen?
Wir haben aus diesen Fragen fünf Anregungen abgeleitet, wie wir alle gemeinsam in diesem Jahr mehr für den Klimaschutz erreichen können:
Sagt die Wahrheit über die Klimakrise
Orientiert euch bei euren Forderungen einfach am Pariser Klimaschutzabkommen. Denn das bedeutet ganz klar, die bisherigen Klimaschutzziele der Bundesregierung für 2030 nachzuschärfen. Spätestens bis 2050 muss eine Treibhausgasminderung von 95 Prozent erreicht sein.
Es gibt hinreichend wissenschaftliche Belege, warum dieses Ziel notwendig ist und wie wir es mit vorhandener Technik und gesellschaftlichen Innovationen schaffen können. In der Kohlekommission und danach haben die beteiligten Umweltakteure dies öffentlich festgestellt.
Entscheidend ist, jetzt auch das Handeln daran auszurichten. Dass unsere Generation immer noch massiv auf Kosten des globalen Südens und der zukünftigen Generationen lebt, ist durch nichts zu rechtfertigen.
Habt keine Angst vor "radikalen" Forderungen
Andere Länder, auch um uns herum, beweisen beeindruckend die Kraft, weitreichende Maßnahmen zu beschließen. Nehmt also nicht zu viel Rücksicht auf die "Anschlussfähigkeit" zu denjenigen in Deutschland, die vieles als "Ideologie" abtun wollen und eigentlich das Rad der Energiewende wieder zurückdrehen möchten.
Vielleicht ist unsere Sprache mit der Zeit zu vorsichtig geworden. Radikale Forderungen sind aber nötig. Nicht zuletzt verschieben sie auch den realpolitischen Diskursraum in Richtung notwendiger Lösungen.
Gerade auch die organisierten Umwelt-Akteure tragen Verantwortung für klare Forderungen.
Seid solidarisch mit zivilem Ungehorsam
Es gibt gute Gründe, warum junge Leute freitags streiken, Straßenkreuzungen blockieren oder Kohlebagger besetzen. Dieser provozierende Protest ist nötig, um das Recht der Umwelt und zukünftiger Generationen gegen allzu mächtige Konzerninteressen zu vertreten und um die Dringlichkeit des Anliegens in unserer medial fixierten Gesellschaft deutlich zu machen.
Zur Person
Matthias Weyland ist Mitbegründer und Vorstand der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt. Beruflich ist der Energiespar- und Effizienz-Experte beim Umweltbundesamt tätig. Er war haupt- und ehrenamtlich für verschiedene Umweltverbände und -initiativen aktiv.
Historisch waren derlei friedliche, aber entschlossene Aktionen über die letzten Jahrhunderte wiederholt nötig, um gesellschaftliche Veränderungen wie das Frauenwahlrecht oder die Bürgerrechte in den USA durchzusetzen.
Zur damaligen Zeit war die Weigerung von Rosa Parks, im Bus den Platz für einen Weißen frei zu machen, ähnlich provokativ wie heute das Hereinspazieren von "Ende Gelände" in einen Braunkohletagebau.
Dieser bewusste Regelverstoß mit all seinen Konsequenzen ist auch und besonders 2019 noch nötig, um den Druck für eine ambitionierte Klimaschutzpolitik zu erhöhen. Zu Recht haben in der Umweltbewegung und der Klimaforschung alle betont, dass der Kompromiss der Kohlekommission nicht ausreicht, um das Paris-Abkommen zu erfüllen.
Stellt klare Bedingungen für die Mitarbeit in Dialogprozessen
Solche von der Regierung initiierten "Beteiligungsprozesse" können je nach Situation geeignet sein, um Klimaschutz-Interessen in die Debatte einzuspeisen. Sie können aber auch ein Mittel sein, um Zeit zu schinden und die Ressourcen der Teilnehmenden zu binden. Und am Ende bleibt vieles beim Alten.
Daher gilt es sowohl intern als auch gemeinsam mit anderen Umwelt-Akteuren sorgsam abzuwägen, wann eine Mitarbeit zielführend ist und welche Bedingungen dafür im Vorfeld festgelegt werden müssen.
Der Druck, politisch endlich zu handeln, muss vor allem auf Regierung und Parlament ausgeübt werden. "Ersatz-Parlamente" in Form von Kommissionen dürfen keine demokratisch legitimierten Parlamente ersetzen.
Entsprechend ist die Rolle beispielsweise von Umweltverbänden im Grunde nicht das politische Aushandeln von Kompromissen, sondern das klare Benennen und Erkämpfen von Notwendigkeiten.
Unterstützt die Vernetzung der Bewegungen
Die Bewegung für mehr Klimaschutz ist breit und unterschiedlich, sowohl in ihren Inhalten als auch in der Ressourcenausstattung. Auch gibt es Schnittmengen zu anderen Gerechtigkeits-Themen, etwa bei Initiativen für bezahlbares Wohnen.
Oder bei denjenigen, die sich für mehr Sicherheit und mehr Platz für Radfahrerinnen und Fußgänger einsetzen, sowie denen, die für saubere Luft in Städten kämpfen.
Oft gibt es bereits einen guten Austausch untereinander. Doch je besser vernetzt die unterschiedlichen Gruppen agieren, desto stärker können sie auftreten und desto mehr Wirkung kann die Klimabewegung als Ganzes entfalten. Gerade für neue oder kleine Initiativen kann niedrigschwellige Unterstützung Gold wert sein.
Dazu gehört beispielsweise das Bereitstellen von Besprechungs- oder Veranstaltungsräumen oder das Initiieren von Vernetzungstreffen. Auch können neue Bündnisse das Thema Klimaschutz an neue Multiplikatoren herantragen.
Die Fridays-for-Future-Bewegung hat viele aufgerüttelt und bietet die Chance, eine neue Dynamik in die Klimadebatte zu tragen. Wenn die Umweltbewegung sie als Anstoß zur Reflexion und Neuausrichtung versteht, kann das zum wirksamen Beschleuniger für einen konsequenteren Klimaschutz werden.
Es bleibt viel zu tun – auf gehts, ab gehts, Ende für Fossile!