Der Weg zur Klimakonferenz auf einem Segelschiff begann mit Entschleunigung. Wann wir die Segel setzen und nach Südwesten aufbrechen würden, entschied allein der Wind – nicht der Terminkalender.
Und so startete die Überfahrt über den Atlantik zunächst im Amsterdamer Hafen mit regnerischen Trockenübungen im Segelsetzen, Sicherheitstraining und etwas, in dem Klimaaktivist:innen nicht so gut sind: Abwarten und Tee trinken.
Doch dann drehte sich der Wind. "Morgen segeln wir los!", rief der Kapitän. Auf Deck begannen eiligst die letzten Vorbereitungen: Ein letztes Mal wurden die Seile geprüft und in der Speisekammer die Kisten mit Gemüse und allerlei Leckerem extra gut verstaut.
In den nächsten Häfen auf unserem Weg übers Meer werden weitere Klimaaktivistinnen an Bord gehen. Weitere Segelboote werden sich der Route anschließen.
Unter dem Slogan "Flotilla 4 Change" wird das Ganze organisiert. Für Aktivist:innen aus besonders vom Klimawandel betroffenen Weltregionen wird Fundraising koordiniert, die Gespräche auf der Klimakonferenz im November vorbereitet. In Belém darf der fossilen Lobby nicht das Feld überlassen werden
Warum das alles?
Wachsender Druck von fossilen Konzernen und Staaten
In den letzten Jahren war ich als Abgeordnete des Bundestages Teil der deutschen Delegation bei den Klimaverhandlungen, die zu Zeiten der Ampel-Regierung von Außenministerin Annalena Baerbock geleitet wurde. Davor habe ich ein Jahrzehnt lang die Verhandlungen als "Observer" begleitet, als zivilgesellschaftliche Akteurin.
Ich habe auf den Klimakonferenzen den von Jahr zu Jahr zunehmenden Druck erlebt – aus der fossilen Industrie sowie von Ländern, die wirtschaftlich stark von der Förderung und Verbrennung fossiler Rohstoffe profitieren.
Gleichzeitig wurde der Raum für zivilgesellschaftlichen Einfluss immer kleiner. Protest wurde auf dem Konferenzgelände erschwert und außerhalb praktisch unmöglich gemacht, vor allem in den Gastgeberländern der letzten drei Konferenzen, in Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Aserbaidschan.
Kathrin Henneberger
ist Klimaaktivistin und ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen und engagiert sich seit vielen Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Als Teil der "Flotilla 4 Change" schreibt sie für Klimareporter° eine Gastbeitrags-Serie auf dem Weg zur Klimakonferenz COP 30 in Brasilien sowie vom Gipfel selbst.
Je mehr Fortschritt erreicht wurde – beispielsweise das nach drei Jahrzehnten Klimaverhandlungen erste klare Bekenntnis zu einem fossilen Ausstieg 2023 in Dubai – desto erbitterter wurde die Gegenwehr.
Auch in Brasilien, auf der COP 30 in Belém, werden Vertreter fossiler Interessen wieder präsent sein. Neben einer US-Regierung, die erneut aus dem Paris-Abkommen ausgestiegen ist und alles tun wird, um zu blockieren, ist nun auch ein europäisches Verhandlungsteam zu erwarten, das die eigenen Klimaziele infrage stellt – und eine Bundesregierung, die fleißig an einem fossilen Rollback arbeitet, das Erschließen neuer Gasfelder und den Bau neuer Gaskraftwerke eingeschlossen.
Zugleich werden im Bundeshaushalt die Mittel für die globale Zusammenarbeit gekürzt, und es ist zu erwarten, dass Deutschland seine aktuelle Zusage – sechs Milliarden Euro für internationale Klimafinanzierung – nicht mehr einhalten wird.
Wir befinden uns in der absurden Situation, dass die Klimakrise Jahr für Jahr grausamer wird, die 1,5-Grad-Grenze erstmals überschritten ist – und zur selben Zeit weltweit neue fossile Lagerstätten erschlossen werden.
Was tun? Überlassen wir das Feld der fossilen Lobby und dem globalen politischen wie gesellschaftlichen Rechtsruck? (Ja, hier gibt es einen Zusammenhang – darüber werde ich in einem weiteren Beitrag schreiben.)
Gegen den globalen Rechtsruck
Nein! Weder habe ich vor, tatenlos zuzusehen, wie Erfolge auf globaler Ebene zunichtegemacht werden, noch werde ich die Menschen im Stich lassen, die in anderen Regionen der Welt gegen fossilen Raubbau kämpfen, wie das in Brasilien indigene Bevölkerungsgruppen und zivilgesellschaftliche Organisationen gegen neue Öl- und Gaslizenzen tun.
Deshalb habe ich, eine Aktivistin und Politikerin aus der rheinischen Braunkohleregion, mich auf den Weg über den Atlantik nach Brasilien gemacht. Am Morgen des 21. September wurden die Segel gesetzt.
Während der Wellengang zunahm, im Wechsel von Schauern und Sonnenschein, schallten übers Deck die Rufe "Ready on the Halyard? Ready on the Sheet?" – das internationale Team verständigt sich auf Englisch –, wurden die Segel erst hoch-, dann strammgezogen und gesichert: zuerst das Focksegel ganz vorn am Bugspriet, dann das Hauptsegel und weitere Focksegel – und mit sieben bis zehn Knoten nahmen wir Fahrt auf.
Bei meiner ersten Wache um 16 Uhr hielten wir Kurs auf 245 Grad Südwest Richtung Ärmelkanal. Windparks zogen an uns vorbei, ein Regenbogen sorgte für die ultimative Segelromantik. Wellengang und Wind ließen es aber nicht zu, die Augen vom Kompass zu nehmen. Beständig musste nachgesteuert werden.
Erst bei meiner zweiten Wache ab vier Uhr früh hatte sich die See beruhigt. Bei vier Knoten zogen wir unter einem leuchtenden Sternenhimmel dahin, nichts war zu hören außer dem Rauschen der Wellen und der Segel. Das Wasser glitzerte schwarz und weitere Windparks blinkten rot am Horizont.
Ans Ruder gelehnt, war das der erste ruhige Moment auf See. Ich erlaubte mir für einen Moment etwas zu spüren, das in den letzten Jahren in der Hektik zwischen politischen Kampagnen gegen den Kohletagebau im Rheinland und der Parlamentsarbeit in Berlin nicht mehr da war – unendliche Dankbarkeit, im Hier und Jetzt zu sein und all das erleben zu dürfen.
Das Glück eines entschleunigten Lebens – wenn auch nur für kurze Zeit – und die Sehnsucht nach einer Welt, in der Reichtum nicht länger ein finanzieller Wert ist, sondern danach bemessen wird, ob alle Menschen ein gutes und freies Leben führen können.
Eine Weltgemeinschaft, die sich dafür entscheidet, das Ruder noch herumzureißen, solidarisch zu handeln, statt in die Klimakatastrophe zu rasen.
Aber der globale politische Rechtsruck arbeitet gegen uns. Um so wichtiger ist es jetzt, dass wir uns weiter global vernetzen, zusammenarbeiten und nicht dabei nachlassen, wirksam für Menschenrechte und Klimagerechtigkeit einzustehen.
An Entschleunigung und Pause ist leider noch lange nicht zu denken. Also: Ready on the Halyard – setzt die Segel!

Schade ist eure professionelle Bigotterie. Sonst könnte ich mich tatsächlich dazu hinreißen lassen euch zu unterstützen.
Liebe Grüße
Daniel Broß