Lichterketten tauchen die Bretterbude in ein warmes Licht, zwei Schlafsäcke liegen auf Europaletten. Sogar einen eigenen W‑Lan-Hotspot gibt es hier am Rand einer Straße in der Hamburger Innenstadt, wo Fridays for Future, wie an einigen anderen Orten auch, ein kleines Klimacamp aufgebaut hat.
Um einen improvisierten Tisch aus Holz und Getränkekisten sitzen Marlene Wieder und Maia Stimming. "Mir ist kalt", beschwert sich Maia. Ihre Jeans sind an den Knien aufgerissen. An die Kälte hat sie sich anscheinend noch nicht gewöhnt, obwohl sie schon seit sieben Monaten immer wieder im Camp übernachtet. Sie seien inzwischen öfter hier als zu Hause, sagen die beiden.
Maia sitzt mit einer Taschenlampe in der Ecke, sie liest ein französisches Buch aus der Schule. Literatur für die 10. Klasse. Maia ist erst 15. Zu Hause erlauben ihre Eltern nicht, dass sie lange am Handy ist. Aber hier gelten andere Regeln. Die Eltern würden ihr vertrauen, dass sie auf sich selbst aufpassen könne, erzählt Maia stolz.
Marlene ist 21 und studiert Physik und Spanisch auf Lehramt. Auch sie versucht ihre Uni-Aufgaben zu machen, sitzt am Laptop. Sie kocht an diesem Abend. Vegan, versteht sich. Nudeln mit Chili sin Carne.
Noch vor zwei Jahren standen Maia und Marlene nicht weit entfernt am Rathausmarkt mit Tausenden anderen jungen Leuten. Der ganze Platz war voller Menschen. Dicht an dicht gedrängt. Über die ganze Innenstadt verteilt. "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut."
"Klimacamps stärken die innere Struktur"
Fridays for Future, 2018 entstanden, sorgte mit Schulstreiks und Großdemonstrationen immer freitags für Aufmerksamkeit, bis zur Corona-Pandemie. Deutschlandweit treffen sich wöchentlich Freiwillige von FFF in Ortsgruppen, um zu diskutieren und zu planen, wie sie ihr Ziel erreichen können, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Die Gruppe um Maia und Marlene, Fridays for Future Hamburg, ist eine der größten in Deutschland.
Die letzte Aktion der Hamburger hatte medial für Aufsehen gesorgt. Am 19. März dieses Jahres hatten sie einen 60 Meter langen und fünf Meter breiten Schriftzug auf die Haupteinkaufsstraße Hamburgs gemalt. Die weißen Buchstaben auf grünem Untergrund "Wir alle für 1,5 Grad" erinnern nun dauerhaft an das Hauptziel der Klimabewegung.
Im Klimacamp geht es jetzt nicht um laute Proteste, sondern um ruhige Gespräche mit Interessierten. Morgens kommen innerhalb einer Stunde zwei Leute vorbei und wollen von den beiden wissen, was sie machen. Ein Mann fragt nach Plakaten.
Keine Großdemos, keine Schulstreiks, nur ein sehr kleines Publikum: Für den Politikwissenschaftler Piotr Kocyba von der TU Chemnitz ist das Klimacamp von Fridays for Future trotzdem nicht unwichtig. "Eine Bewegung muss strukturell wachsen", sagt er.
Der Austausch und die dauerhafte Teilnahme seien ausschlaggebend für den Erfolg eines Protests, erläutert er. Bei Demonstration seien immer wieder andere Personen dabei, die sich nicht dauerhaft in der Bewegung engagierten. Ein stetiges Engagement brauche es aber, um Proteste und Aktionen zu organisieren und so die Forderungen durchzusetzen.
Kocyba forscht über Protest- und Demonstrationsbewegungen, darunter auch Fridays for Future. Seine Beobachtung: Demonstrationen sind das effizientere Mittel, wenn es darum geht, die Politik unter Druck zu setzten. Das funktioniert aber nur, wenn die innere Struktur einer Bewegung stabil ist. Um sich das zu erarbeiten, eigneten sich solche Camps. "Nach der Pandemie wird es sicherlich wieder Demos geben", ist sich Kocyba sicher.
"Meine Mitschüler:innen finden das schon cool"
Nachts beschränken sich die Besucher im Camp auf Polizisten – und Corona-Leugner. Zwei Männer stehen auf dem Platz und fragen offen heraus, was die zwei Mädchen von Corona halten. Die antworten, merken aber schnell, dass eine Diskussion wenig bringt. Auf Provokationen gehen sie nicht ein. "Die Mainstream-Medien waschen uns nur den Kopf", müssen sie sich anhören. "Corona ist nur 'ne Grippe, die jungen Leuten nichts ausmacht."
Maia antwortet mit dem Grundsatz der gesamten Fridays-for-Future-Bewegung: "Wir sind auf der Seite der Wissenschaft." Ruhig und bestimmt tritt sie den zwei Männern gegenüber, von denen einer mindestens dreimal so alt ist wie sie.
Beim Essen berichtet sie, dass bisher nur ganz selten mal "was passiert" sei. Obdachlose hätten sie einmal mit Eiern beworfen, andere Leute hätten mal mit Glas nach ihnen geschmissen.
Vor dem Schlafengehen packen die beiden ihre Wertsachen wie Laptop, Handy und Portemonnaie in den Schlafsack. Die Lichterkette lassen sie in der Nacht an. Öfter wurden schon Sachen gestohlen, sagen sie. Unsicher fühlten sie sich trotzdem nicht. "In der Corona-Pandemie ist es außerdem die einzige Möglichkeit, mal rauszukommen und noch andere Menschen zu treffen", meint Marlene.
Einiges ist trotzdem weniger berauschend: die laute Plane, die bei Wind raschelt, die Kirchenglocken nebenan, die alle 15 Minuten ein lautes "Dong" von sich geben. Bei Regen werden die Schlafsachen manchmal nass. Oft rasen Krankenwagen vorbei. Sich vor dem Mikrofon darüber beklagen will Maia nicht.
Am nächsten Morgen rollen sie ihre Schlafsäcke zusammen, bevor es nach Hause geht – und zurück in den Alltag. Maia ist die Einzige aus ihrer Klasse, die in so einem Camp übernachtet. "Meine Mitschüler:innen finden das schon cool", sagt sie und spricht den Gender-Gap mit. "Die sagen dann immer: Du warst heute Nacht im Camp und kommst jetzt trotzdem zur Schule. Krass."