Klimareporter°: In Deutschland wird die Situation für die Klimabewegung, aber auch andere soziale Bewegungen immer schwieriger, etwa durch die fossilfreundliche Energiepolitik von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, aber auch durch das starke Wachstum rechter Parteien. Was bedeutet dieser Trend?

Kate Cahoon: Es fühlt sich momentan an, als wären wir in einem permanenten Abwehrkampf. Das ist sehr demotivierend: Klimamaßnahmen, die in den letzten Jahren hart erkämpft wurden, sollen jetzt teilweise wieder rückgängig gemacht werden – nicht nur von der AfD, sondern auch aus der bürgerlichen Mitte heraus.

Können die Klimabewegung und andere soziale Bewegungen etwas dagegensetzen?

Wir können mit unseren Protesten deutlich machen, wer für diese Probleme verantwortlich ist: die Reichen. Sie sind durch ihren Lebensstil, also die Nutzung von Privatjets oder Superjachten, für enorme Emissionen verantwortlich.

Die Folgen davon sind längst spürbar: Hitzesommer, Ernteausfälle, steigende Preise. Wir alle leiden darunter, während die Verursacher profitieren. Und sie zahlen dafür nicht einmal ihren fairen Anteil. Superreiche in Deutschland zahlen prozentual weniger Steuern als normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist absurd.

Bild: Christian Schneider

Kate Cahoon

Die australische Feministin und Klima­aktivistin arbeitet in Berlin als Campaignerin bei der internationalen Klima­schutz­organisation 350.org. Zuvor war sie bei Gender CC – Women for Climate Justice tätig. Sie hat an mehreren UN-Klima­konferenzen teilgenommen.

Und was hat das mit dem Klimawandel zu tun?

Weil so wenig Geld da ist, wird überall gespart – bei Bildung, bei sozialer Infrastruktur. Öffentliche Schwimmbäder schließen, Schulen verfallen. Aber auch beim Klimaschutz fehlt das Geld – für den ÖPNV-Ausbau, die Wärmewende und die Klimaanpassung

Aber das Geld ist ja da – es wird nur falsch eingesetzt. In Deutschland gibt es beispielsweise etwa 3.900 Superreiche, also Menschen mit mehr als 100 Millionen Euro Vermögen. Damit liegt Deutschland weltweit auf Platz drei bei der Dichte an Superreichen. Und ihre Zahl wächst. 

Es geht auch nicht nur darum, dass der Lebensstil der Reichen und ihre Investitionen den Großteil der CO2-Emissionen verursachen. Sie nutzen ihren Reichtum und ihren Einfluss ja auch, um gegen Klimaschutzmaßnahmen zu lobbyieren. Wir müssen diese Machtkonzentration aufdecken und Bewegungen aufbauen, die in der Lage sind, diese Entscheidungsgewalt zurückzuerobern. 

Warum hat die deutsche Klimabewegung das nicht schon vor zehn Jahren thematisiert? 

Große Teile der Klimabewegung haben lange zu sehr auf individuellen Konsum geschaut – CO2-Fußabdruck, Elektroautos und so weiter. Das ist nicht falsch, aber greift zu kurz.

Es geht um systemische Fragen: Wer profitiert? Wer zahlt die Kosten? Ein gerechter Klimaschutz und eine Umverteilung würden allen zugutekommen.

 

Viele Menschen in Deutschland sind von Systemkritik nicht so angetan. 

Ja, genau. Deswegen müssen wir zeigen, dass Klimagerechtigkeit etwas ist, das allen nutzt. Und dafür müssen wir konkrete, gemeinsame Interessen finden und auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

Zum Beispiel bei der sozialen Wärmewende: Wenn Mieter:innen sagen, ihre Fenster sind kaputt und die Heizkosten steigen, kann man gemeinsam überlegen, wie man Häuser sanieren könnte, ohne dass die Mieten steigen. 

Ein weiteres Beispiel: Fridays for Future hat streikende Busfahrer unterstützt. Das zeigte, dass man eigentlich dasselbe Ziel verfolgt: bessere Arbeitsbedingungen, bezahlbaren ÖPNV, Klimaschutz. Solche Allianzen sind wichtig, um dem rechten Kulturkampf gegen Klimaschutz etwas entgegenzusetzen. 

Der jüngste Versuch, derartige Allianzen auf einem globalen Level zu bilden, war "Draw the Line". Wie ist das Bündnis, an dem auch 350.org beteiligt war, entstanden und worum geht es?

Der Aufruf für Draw the Line wurde Anfang des Jahres von indigenen Vertreter:innen aus Lateinamerika und dem Pazifikraum initiiert. Thematisch ging es stark um das Recht auf Land und Mitbestimmung – das ergibt sich aus dem Standort der diesjährigen Weltklimakonferenz in Belém.

Seitdem haben sich weltweit viele Organisationen und Gruppen angeschlossen, auch Fridays for Future in Deutschland. Die Organisationen setzen sich für unterschiedliche Themen ein: Klimaschutz, Frieden, Gerechtigkeit, saubere Energie und eben Umverteilung. 

Die erste Aktion war dann eine Protestwelle über mehrere Wochen. Höhepunkt war der Klimastreik am 20. September. In 83 Ländern haben wir über 600 Aktionen, Demos und Events veranstaltet – manche davon klein, manche sehr groß.

"Draw the Line" in Johannesburg: In Südafrika beteiligten sich am Protesttag auch Gewerkschaften und Wasserrechts-Initiativen. (Bild: Ihsaan Haffejee/Draw the Line)

Warum tun sich gerade jetzt verschiedene soziale Bewegungen zusammen? 

Man merkt einfach, dass das System kaputt ist. Es gibt viele Krisen gleichzeitig – politische Polarisierung, Trump in den USA, Kriege, Genozid in Gaza. Um Kraft zu tanken, ist es da wichtig, zu sehen: Ich bin nicht allein. 

Weil diesmal Gerechtigkeitsfragen im Zentrum standen, haben die Proteste außerdem viele Menschen erreicht, die sonst nicht an Klimaprotesten teilnehmen – in Kanada, Frankreich oder Südafrika zum Beispiel.

Haben sich dem Bündnis auch neue Akteure angeschlossen?

Das variiert je nach Land. Die großen globalen Klimanetzwerke wie das Climate Action Network oder Demand Climate Justice sind dabei, aber auch kirchliche Gruppen. In Asien und Afrika nehmen auch kleinere regionale Netzwerke teil – und natürlich auch große Organisationen wie Greenpeace. 

In manchen Ländern, etwa Südafrika, waren auch Gewerkschaften und soziale Bewegungen beteiligt. Dort haben zum Beispiel Water-Justice-Aktivist:innen und Menschen aus informellen Siedlungen gemeinsam mit Klimagruppen für Zugang zu Wasser und gegen Korruption demonstriert. 

 

Die Protestwelle von Draw the Line war ursprünglich nur bis zum Weltklimagipfel in Brasilien geplant. Wird die Zusammenarbeit weitergehen?

Ich denke, dass Draw the Line weiterlebt. Auch die Allianzen, die in den letzten Wochen entstanden sind und jetzt zum ersten Mal an vielen Orten so eine Breite erreicht haben, werden auf jeden Fall weitergetragen und weiterentwickelt. Die Ungerechtigkeit überall hört ja nicht auf.