Die "Letzte Generation" will ins EU-Parlament – das haben die Aktivist:innen im Februar angekündigt. Nun steht diesem Vorhaben zumindest rechtlich nichts mehr im Weg.
Vergangenen Freitag hat der Bundeswahlausschuss die Gruppe zur Teilnahme an den Wahlen zugelassen. Auf dem Wahlzettel wird sie unter dem vollen Namen "Parlament aufmischen – Stimme der Letzten Generation" vertreten sein.
2022 wurde im Europawahlgesetz das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt, wovon die Gruppe profitieren dürfte. Wählen dürfen nach dieser Änderung nicht nur Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die das Mindestalter erfüllen, sondern auch Angehörige anderer EU-Staaten, die sich in Deutschland aufhalten.
Die nötigen Unterschriften für die Zulassung aufzutreiben, war für die Letzte Generation ein Leichtes. Nach wenigen Wochen reichte sie 8.800 Unterschriften ein, mehr als doppelt so viele wie nötig.
Grundsätzlich sind die Hürden der Zulassung zur Europawahl sowie auch für ein Mandat im Parlament niedriger als bei Bundestags- oder Landtagswahlen. Nicht nur Parteien, sondern auch "sonstige politische Vereinigungen" können sich aufstellen lassen – sofern sie Unterschriften von mindestens 0,1 Prozent der Wahlberechtigten vorlegen können.
Außerdem gilt bei der Europawahl keine Sperrklausel. Die Letzte Generation muss also keine Fünf-Prozent-Hürde überwinden, um ein Mandat im Parlament zu ergattern. Die Aktivist:innen hoffen auf mindestens 250.000 Stimmen. Einer von den 96 Parlamentsplätzen, die Deutschland zustehen, wäre ihnen damit sicher.
Nun wollen die Aktivist:innen bis zu den Wahlen am 9. Juni mit einem etwas unkonventionellen Wahlkampf auf sich aufmerksam machen. Statt auf Podiumsdiskussionen und Wahlstände setzen sie auf Widerstand. Geplant seien "Störaktionen, unkonventionelle, mit geretteten Lebensmitteln einhergehende Wahlkampagnen und ein kreativer Umgang mit Wahlplakaten", teilte die Bewegung mit.
"Keine klassische Politikerin"
"Wir wollen nicht ins Europaparlament, weil wir jetzt auf einmal brav geworden sind. Sondern wir wollen das Parlament aufmischen und dort laut werden, wo falsche Versprechungen gemacht und lebensgefährliche Märchen erzählt werden", erklärte Theodor Schnarr.
Der Chemiker ist seit einiger Zeit Aktivist bei der Letzten Generation und auf Platz zwei der Kandidat:innenliste für die EU-Wahlen. Demokratie brauche Ehrlichkeit, und für die werde man sorgen, sagte er weiter.
Ganz oben auf der Liste steht Lina Johnsen, eine der Sprecher:innen der Bewegung. In einem Gespräch mit der Wochenzeitung Die Zeit sagte Johnsen: "Ich werde keine klassische Politikerin." Stattdessen würde sich mit dem Einzug ins Parlament eine weitere Bühne für den Protest eröffnen.
Tatsächlich drängt sich die Frage auf, was die Letzte Generation mit dem Einzug ins EU-Parlament zu erreichen hofft. So kann die Bewegung etwa nicht mit einem detaillierten politischen Programm aufwarten.
Bereits im Januar hatte die Gruppe einen Strategiewechsel eingeleitet. Wie genau die angekündigte "neue Ära des friedlichen Widerstandes" aussehen soll, blieb allerdings offen.
Auf jeden Fall soll Schluss mit den Straßenblockaden sein, dafür soll der Fokus auf direkter Konfrontation mit Verantwortlichen und sogenannten "ungehorsamen Versammlungen" liegen. Von einer Teilnahme an Wahlen war damals noch keine Rede.
Öffentlichkeitswirksamer Protest gegen Anti-Klima-Trend in der EU
Auch für die Bewegung scheint der parlamentspolitische Vorstoß mehr ein Experiment als von langer Hand geplant zu sein. Die Kernforderung, die die Letzte Generation bei ihrem Strategiewechsel genannt hat, findet sich aber auch im Wahlkampf wieder: "Ehrlichkeit".
Zusammen mit der Ankündigung des Strategiewechsels forderte die Gruppe einen "Appell der Ehrlichkeit" von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Und auch die Ankündigung zum Wahlkampf dreht sich kaum um konkrete klimapolitische Ziele, sondern die eigene Agenda wird mit dem Satz zusammengefasst: "Wir brauchen Ehrlichkeit."
Es ist womöglich die letzte Chance, den Einzug ins EU-Parlament so einfach zu schaffen. Seit Jahren wird die Einführung einer Sperrklausel diskutiert und in vielen EU‑Ländern existiert sie bereits. Damit hätten es Kleinparteien und politische Bewegungen deutlich schwerer, ein Mandat zu erringen.
Viele Beobachter:innen erwarten einen Rechtsruck bei der Europawahl. Das ist auch für den Klimaschutz keine gute Nachricht, da sich die meisten rechten Parteien – trotz vieler politischer Differenzen – in ihrer Ablehnung von progressiver Klimapolitik einig sind.
In den letzten Monaten sind außerdem zahlreiche lange verhandelte Klima- und Umweltgesetze am Widerstand des Parlaments oder der Mitgliedsstaaten gescheitert oder wurden stark verwässert. Eine Kraft, die diesem Trend zumindest öffentlichkeitswirksam etwas entgegensetzt, kann da nicht schaden.