Jens Mühlhaus. (Foto: Dominik Parzinger)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Jens Mühlhaus, Vorstand beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Green City AG.

Klimareporter°: Herr Mühlhaus, den Solardeckel von 52.000 Megawatt will die Bundesregierung abschaffen, aber zugleich soll es für Windräder einen Mindestabstand von 1.000 Metern zu Wohngebäuden geben. Von verweigertem Umweltschutz sprechen die Umweltverbände, die das Klimapaket ablehnen. Können Sie dem Paket etwas Gutes abgewinnen?

Jens Mühlhaus: Seit einem Jahr streikt Greta Thunberg, auch meine 17-jährige Tochter ist seit den ersten Streiks Ende letzten Jahres in München jeden Freitag auf der Straße. Eine ganze Generation ist aufgestanden und protestiert sehr eindringlich und aufwühlend gegen den Stillstand in der Politik und der Gesellschaft, gerade bei den älteren Generationen.

Ich selbst beobachte das aus der Perspektive eines politisch aktiven Erwachsenen, der schon bei den Demos 1992 rund um die Rio-Konferenz im Grunde auf dem gleichen Kenntnisstand um die gleichen Dinge gerungen hat. Seit dieser Zeit engagiere ich mich auch beim Umweltverband Green City, seit vielen Jahren auch als Vorstand bei der Ökostromtochter Green City AG. Wir versuchen durch einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, durch die Macht des Faktischen, die dringend notwendige Transformation zu weniger CO2-Ausstoß voranzutreiben.

Und ich weiß seit letztem Dezember, als ich das Leuchten in den Augen meiner Tochter sah und die ersten Videos von Greta Thunberg vor die Nase gehalten bekam: Das ist die wahrscheinlich letzte Chance für meine Kinder auf eine Zukunft mit einer halbwegs intakten Natur, wie wir sie noch kennengelernt haben. Eine echte Chance, weil die Kinder und Jugendlichen kapiert haben, dass es jetzt schnell gehen muss und dass sie selber massiv betroffen sein werden.

Monatelang hatten die jungen Aktivsten den Großstreik am 20. September vorbereitet, es gab kein anderes Thema mehr an unserem Tisch – wenn unsere Tochter mal zu Hause war und nicht auf einem der vielen Vorbereitungsplena. Und dann kommen da weit über 60.000 Menschen in München zur größten Demo seit Jahrzehnten – organisiert von zwei Dutzend Schülern und Studenten – und geben der Fridays-for-Future-Bewegung eine riesige Rückendeckung. Wahnsinn, das macht wirklich Mut.

Und dann am Nachmittag die Nachricht aus Berlin: ein Klimapaket, bestehend aus Milliarden an neuen Subventionen für lauter Maßnahmen, die am Wesentlichen völlig vorbeigehen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Vor 20 oder meinetwegen auch noch vor zehn Jahren wäre das sensationell gewesen. Aber am 20. September 2019 ist das Klimapaket ein absoluter Offenbarungseid.

Alle hatten auf den Befreiungsschlag gewartet, und alle wussten, der Schlüssel ist der CO2-Preis. Und dann: nur zehn Euro! Die Fridays-Aktivisten fordern 180 Euro, also den realen Preis, es lagen Konzepte vor mit 60, 80 Euro und einem ausgearbeiteten sozialen Ausgleich – alles wurde vom Tisch gewischt, das ist wirklich krass.

Auf der Demo, es war am Nachmittag, mehrere zehntausend Leute waren noch auf dem Königsplatz in München, konnten wir dann empörte Sprecherinnen erleben, die – obwohl sie gerade einen riesigen Erfolg organisiert hatten – wegen des gerade vorgestellten Klimapakets völlig niedergeschlagen und erschüttert waren, die empörte, traurige und auch trotzige Reden gehalten haben. Große Reden, bewegend, Chapeau! Wir sind alle verstört nach Hause gegangen.

Nein, ich kann dem Klimapaket nichts abgewinnen. Es hat die falsche Flughöhe. Falsches Jahrzehnt, Frau Merkel, Sie sind von gestern, alle Beteiligten sind von gestern. Die jungen Leute werden nicht aufgeben, die Wut und die Empörung des Freitagnachmittags am 20. September werden ein Antreiber sein.

Auch bei Green City werden wir uns nicht aus dem Konzept bringen lassen. Seit über 20 Jahren bauen wir, wie viele andere, den Energiemarkt auch gegen den Widerstand der vielen Bundesregierungen um. Wir machen weiter, wir machen's einfach. Jeder kann sich beteiligen, zum Beispiel durch Umstieg auf Ökostrom oder nachhaltige Beteiligungen. Sofort, nicht morgen.

Die ungewöhnliche Rede von Greta Thunberg diese Woche vor der UN-Versammlung hat das Gefühl dieser Generation auf den Punkt gebracht, sie hat sehr genau die Emotionen der neuen kraftvollen Bewegung widergespiegelt: How dare you! Wie könnt ihr nur?

Auf den Feldern und in den Wäldern hat auch bei uns die Klimakrise schon begonnen. Mit einer Finanzspritze von 800 Millionen Euro will nun Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) den Waldbesitzern helfen. Reicht das?

Ich würde eher fragen: Ist das jetzt Aktionismus oder doch eine echte Strategie? Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Meldungen zum deutschen Wald sind absolut erschreckend. 180.000 Hektar geschädigte Fläche – das sind rund 250.000 Fußballfelder.

Dass wir handeln müssen, steht außer Frage, aber das Wie ist noch nicht abschließend geklärt. Hilft es dem Wald – und damit auch uns – wirklich, wenn wir in einer Hauruck-Aktion massenhaft Schadholz entfernen und eine Milliarde neue Setzlinge pflanzen?

Ich bin kein Experte auf dem Gebiet und drücke beim Klimaschutz auch gerne aufs Gas, aber ich glaube, dass uns hier ein bisschen mehr Achtsamkeit nicht schadet. Es handelt sich um ein so komplexes und für uns lebenswichtiges Ökosystem – der Wald ist Sauerstoffproduzent, CO2-Speicher und Naherholungsgebiet in einem –, da kann ein blindes Losrennen nicht zum Erfolg führen.

Außerdem darf man nicht vergessen, welche Interessen im Hintergrund eine Rolle spielen. Wird der Wald hier wirklich als Naturgut wahrgenommen oder doch eher als Rohstofflieferant? Wenn es darum geht, nach dem massiven Preiseinbruch möglichst schnell wieder viel Holz zu guten Preisen zu verkaufen, dann ist das Motto "Aufräumen und Aufforsten" wohl folgerichtig. Ob das auch langfristig zielführend ist, sei dahingestellt.

Für mich bleiben auch bei dieser Maßnahme der Bundesregierung wieder zu viele Fragen offen. Woher sollen beispielsweise plötzlich die geforderten zusätzlichen 11.000 Forstbeamten kommen? Und ist die Finanzspritze am Ende wirklich so hoch wie angekündigt? Bisher sind die Fördergelder ja noch gar nicht fest verbucht, sondern beim Finanzministerium lediglich beantragt.

Immerhin ließ sich dank dieser Finanzspritze der Waldgipfel deutlich positiver und medienwirksamer inszenieren als das Klimapäckchen in der Vorwoche. Ob die Investitionssumme reichen wird, werden wir am Ende sehen. Klimaschutz gibt es nun mal nicht zum Nulltarif.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Dieses Mal war es eher etwas, das mich zum Nachdenken angeregt hat. In München ist ja gerade wieder Oktoberfestzeit und das bedeutet für die Stadt jedes Mal Ausnahmezustand. Leider auch in der Klimabilanz.

Natürlich kann auch ich mir München ohne die Wiesn nicht vorstellen. Aber wie wollen wir etwas verändern, wenn wir nicht bei uns selbst anfangen? Nur ein Beispiel, damit man mal die Größenordnung einschätzen kann: Im letzten Jahr lag der Stromverbrauch auf dem Oktoberfest bei drei Millionen Kilowattstunden – das entspricht einem Jahresbedarf von 1.200 Haushalten – in nur 16 Tagen! Dazu tonnenweise Abfall, zigtausende gebratene Ochsen, Haxn und Hendl.

Ich will keinem den Spaß am Volksfest verderben und als Wirtschaftsfaktor hat das Ganze eine immense Bedeutung für die Stadt. Aber es reicht leider nicht, freitags demonstrieren zu gehen und am Samstag dann zu feiern, als wäre nichts gewesen. Ich denke, auch beim größten Volksfest der Welt muss es Veränderungen geben. Die Oide Wiesen macht es vor, mit Bio-Hendln, mehr Tradition und weniger Faschingstamtam.

Fragen: Sandra Kirchner

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