Der immer schnellere Ausbau der Solar- und Windenergie erzeugt den Eindruck, die Transformation zur emissionsfreien Energieversorgung sei nur noch eine Frage der Zeit. Dabei unternimmt die fossile Lobby gerade alle Anstrengungen, um die Fortschritte anzugreifen.

Unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Übergangstechnologie drängt sich ihr nächster Hoffnungsträger – fossiles Gas – in politische Kraftwerksstrategien und blockiert den Ausbau lokaler Wärmenetze.

 

Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD vereinbart: "Wir ermöglichen und flankieren langfristige, diversifizierte, günstige Gaslieferverträge mit internationalen Gasanbietern. Die Klimaziele bleiben davon unberührt. Wir wollen Potenziale konventioneller Gasförderung im Inland nutzen."

Über diese Sätze kann man viel sagen, vor allem aber wohl eins: Wer nach Gas bohren will und meint, das tangiere die Klimaziele nicht, lebt in einem klimaphysikalischen Märchenschloss.

Mit dem weiteren Plan, 20.000 Megawatt Gaskraftwerksleistung – sprich: etwa 30 neue Kraftwerke – zu bauen, gießen die Koalitionäre nur noch mehr Öl ins längst nicht mehr nur sprichwörtliche Klimakrisenfeuer.

Als Krönung wollen sie das Heizungsgesetz – also das Gesetz, das Klarheit darüber schafft, dass man ab 2025 im Prinzip keine neue fossile Heizung mehr einbauen kann – abschaffen und "technologieoffener" und "flexibler" neu schreiben.

Schwarz-Rot holt beim Erdgas alles raus

Anders gesagt: Union und SPD holen in puncto Gas wirklich alles raus. Nicht nur halten sie an alten Plänen zur Gasexpansion fest, sondern greifen auch noch erste Bestrebungen in Richtung Gas-Unabhängigkeit an.

Die künftigen Regierungsparteien (und mit ihnen weite Teile von Gesellschaft und Industrie) sind in einem neuen Gasrausch. Und ganz ähnlich wie beim Goldrausch im Kalifornien des 18. Jahrhunderts lockt vor allem eins: die Geschichte vom guten Leben – die aber für die allermeisten lediglich mit großen Enttäuschungen und gebrochenen Versprechen endet.

Bild: privat

Nele Evers

studiert Germanistik und Politik­wissen­schaften. Die Braun­schweigerin ist seit fünf Jahren bei Fridays for Future aktiv und beschäftigt sich dort derzeit mit Gas­bohrungen in Deutsch­land und der Energie­wende. Sie hat die Klima­proteste auf und um Borkum mit­organisiert.

Gas wird gern als ein vermeintlicher Alleskönner dargestellt: Es hat ein sauberes Image – anders als seine fossilen Verwandten Kohle und Öl ist es schließlich farb- und geruchlos – und verspricht wahlweise bald "grün" oder sogar Wasserstoff zu sein.

Es hält Häuser warm und Fabriken am Laufen und war jahrzehntelang – günstig vor allem durch Pipelines aus Russland importiert – der Motor deutscher energieintensiver Exportindustrie. Diesen bequemen Zustand soll der Energieträger nach Meinung mancher Wirtschaftsvertreter bestenfalls bis ans Ende aller Tage garantieren.

Doch keines der Wunderversprechen über Erdgas hält. Stattdessen ist der fossile Energieträger teuer, klima-, umwelt- und gesundheitsschädlich, meist ein Exportschlager verschiedenster Autokraten und ein Bremsklotz für die Transformation.

Nicht nur entsteht bei seiner Verbrennung klimaschädliches CO2, es ist sogar ein doppelter Klimakiller: Wenn Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas, bei der Förderung oder beim Transport in die Atmosphäre entweicht, heizt es die Klimakrise noch stärker an als Braunkohle.

Neue fossile Infrastruktur stellt Weichen für Jahrzehnte

Schon 2021 hat die Internationale Energieagentur klargestellt: Gas ist keine Zukunftstechnologie. Um die 1,5-Grad-Grenze aus dem Pariser Klimaabkommen einzuhalten, darf es weltweit kein einziges neues Kohle-, Öl- oder Gasprojekt mehr geben.

Trotzdem werden überall fröhlich weiter neue Gasprojekte geplant. Dabei führen neue fossile Infrastruktur und langfristige Lieferungsverträge zu Lock-in-Effekten, die den Ausstieg aus den fossilen Energien blockieren. Denn stehen Bohrtürme, Pipelines oder Kraftwerke erst einmal, werden sie über Jahrzehnte genutzt.

In einem System mitten in der Transformation gibt es keine Übergangstechnologien: Wer jetzt neue fossile Infrastruktur schafft, stellt die Weichen für eine Zukunft voller Gas, eine Zukunft voller Klimakrise. Ein voller Erfolg für die Gaslobby.

Bild: privat

Carla Reemtsma

ist Mit­begründerin von Fridays for Future und Presse­sprecherin der Berliner Gruppe der Klima­gerechtigkeits­bewegung. Durch Auftritte in Talkshows, Interviews und Reden zählt die Studentin der Wirtschafts- und Politik­wissen­schaften zu den bekannten Gesichtern der deutschen Klima­bewegung.

In den vergangenen Jahren hat die Klimabewegung den Kampf um den Kohleausstieg zumindest teilweise gewonnen. Um Klimaschutz und Energiewende aber Wirklichkeit werden zu lassen, reicht das aber nicht.

Anders als in den letzten Jahren der Anti-Kohle-Bewegung ist der Kampf gegen den unscheinbaren Klimakiller Gas noch längst nicht groß angekommen. Neue Projekte boomen und drohen zu wegweisenden Entscheidungen in Richtung eines neuen fossilen Zeitalters zu werden. Diesen Gasrausch zu brechen, Gasprojekte zu stoppen und den Gasausstieg Realität werden zu lassen, wird die zentrale Aufgabe der klimabewegten Zivilgesellschaft sein.

Konkret heißt das, bei den Plänen zur "Nutzung der Potenziale konventioneller Gasförderung im Inland" genau hinzuschauen, zur Nordseeinsel Borkum zum Beispiel oder zum oberbayerischen Ammersee.

Vor Borkum möchte der niederländische Konzern One‑Dyas nach Gas bohren. Es wäre die erste Gasbohrung in der Nordsee, aber zu denken, dass es bei dieser einen Bohrung bleiben wird, wäre naiv. Das nächste Gasfeld hat One‑Dyas schon beantragt.

Am Ammersee in Reichling ist es der kanadische Konzern Genexco, der mitten in der oberbayerischen Idylle Erdgas fördern will.

Sich von Autokraten abhängig zu machen ist immer eine schlechte Idee

An anderen Orten wie auf Rügen, in Wilhelmshaven oder Stade soll LNG – kurz für liquified natural gas, Flüssigerdgas – importiert werden. LNG ist meist auch Fracking-Gas und damit extrem umweltschädlich. Bei der Förderung werden Chemikalien in die Böden gepumpt, wo sie das Trinkwasser verunreinigen, Erdbeben auslösen und Krebsfälle stark steigen lassen.

In der Energiekrise hat Deutschland massiv in Terminals für den LNG-Import investiert, um unabhängig vom russischen Pipeline-Gas zu werden. Stand heute ist der Großteil dieser Anlagen nicht im Ansatz ausgelastet und kostet stattdessen täglich Hunderttausende Euro Steuergeld.

Gas aus Autokratien zu importieren, sich damit von ihnen abhängig zu machen und obendrein noch die Autokraten zu finanzieren, ist immer eine schlechte Idee.

Man könnte denken, die Lektion aus Nord Stream hätte klarer kaum sein können. Und doch schließen Union und SPD sogar die Wiederinbetriebnahme von Putins Lieblingspipeline nicht konsequent aus. Auch einen klaren Plan für die Unabhängigkeit von LNG-Importen aus Trumps USA sucht man in der neuen Regierung vergeblich.

 

Während Union und SPD also kein Geheimnis daraus machen, dass sie ihre komplette Infrastruktur auf Gas ausrichten wollen, statt günstige und saubere Erneuerbare zu fördern, fragen sich Stadtwerke und kommunale Wärmeanbieter überall, wie ihre Zukunft inmitten der Transformation aussehen soll.

In Augsburg und Mannheim kündigten die kommunalen Versorger mit jahrelangem Vorlauf ein Ende des städtischen Gasnetzes an – und standen direkt im Schussfeuer von Springer- und Lokalpresse. Nicht nur sie, alle über 700 deutschen Stadtwerke müssen für die Zukunft ihrer Gasnetze und -kraftwerke planen und brauchen dafür schnell klare politische Vorgaben und Regelungen in Richtung Klimaneutralität.

Klar ist: Der Erneuerbaren-Ausbau ist schneller denn je. Und klar ist auch: Wir müssen den Gasrausch beenden. Wenn Schwarz-Rot im Zusammenschluss mit Lobbyvertretern die Gasexpansion massiv auf unsere Kosten vorantreibt, braucht es eine Zivilgesellschaft, die sich dem überall entgegenstellt.

Auf Borkum, am Ammersee und in Wilhelmshaven, bei neuen Gaskraftwerken und bei Gasnetzen: Überall hat sich schon Protest formiert. Auf den Kohleausstieg muss der Gasausstieg folgen. Eine fossilfreie, klimagerechte Zukunft gibt es nur ohne Gas.

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