Roger Hallam lächelt in die Kamera, hinter ihm das geradlinige Gerichtsgebäude aus Backstein
Roger Hallam im Mai 2019 in London. (Foto: Screenshot/​Real Media/​Youtube)

Genozide sieht Roger Hallam, einer der 15 britischen Gründer der Klimabewegung Extinction Rebellion, als historisch "fast normales Ereignis" – und den Holocaust entsprechend als "nur einen weiteren Scheiß in der Menschheitsgeschichte". Das sagte er in einem Interview mit der Zeit.

Dass Deutschland den Holocaust als einzigartiges Verbrechen betrachtet, verhindere, dass man daraus lernt, so der Klimaaktivist. "Das Ausmaß dieses Traumas kann lähmen", zitiert die Zeit ihn im Interview.

Es ist keine Seltenheit mehr, dass Hallam mit umstrittenen Aussagen auffällt. Im Interview mit dem Spiegel sagte er im September, wenn eine Gesellschaft "so unmoralisch" handele wie im Falle der Klimakrise, werde die Demokratie "irrelevant". Ebenfalls im September erklärte er gegenüber der Zeit, wenn jemand "ein bisschen sexistisch oder rassistisch denkt", dürfe er trotzdem bei Extinction Rebellion mitmachen.

Der Ullstein Verlag, der Ende November Hallams Buch "Common Sense" hätte herausbringen sollen, entschied heute kurzfristig, die Veröffentlichung zu stoppen, wie er auf Twitter mitteilte. "Der Ullstein Verlag distanziert sich in aller Form von aktuellen Äußerungen Roger Hallams", ließ der Verlag wissen.

Die deutsche Sparte von Extinction Rebellion hat sich ebenfalls "entschieden" von Hallam distanziert. "Seine Aussage ist in Diktion wie Inhalt für XR Deutschland nicht tragbar", hieß es dort kurz nach Bekanntwerden der Äußerungen. "Dies gilt ebenso für Hallams Aussagen zur Demokratie, zu Sexismus und Rassismus."

Außerdem verwies die Gruppe auf die dezentrale Struktur der Bewegung. Hallam spreche nicht für Extinction Rebellion Deutschland. "Roger Hallam ist eines von 15 Gründungsmitgliedern und als Autor des Papiers 'Common Sense for the 21st century' entscheidend für die Strategie des zivilen Ungehorsams von Extinction Rebellion gewesen", schreiben die deutschen "Rebellen".

Mittlerweile habe sich seine Rolle aber verändert. "Seit einigen Monaten polarisiert Hallam mit seinen Aussagen auch intern die Bewegung."

Bewegung nach Franchise-Modell

Extinction Rebellion funktioniert gewissermaßen nach einem Franchise-Modell. Wer sich zu drei Kernforderungen und zehn Prinzipien bekennt, darf eine Ortsgruppe gründen – und von da an eigenständig handeln. Mittlerweile gibt es zwar in vielen Ländern Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen, in denen sich die Ortsgruppen organisieren. Das sind allerdings keine Organe, nach deren Beschlüssen sich alle richten müssen.

Der Vorteil ist: Die Organisation ist unkompliziert und führt zu einem schnellen Wachstum der Bewegung. In London beteiligten sich im Herbst Zehntausende an den Aktionen und auch andernorts erlebt die Bewegung Zulauf. In den XR-Sitzblockaden findet man Lehrer, Zahnärztinnen und Elektriker, Philosophinnen, Rentner und Studierende.

Der Nachteil wird offensichtlich, wenn manche Ortsgruppen oder wie jetzt in Hallams Fall auch nur einzelne Aktivisten negativ auffallen, während sie im Namen von Extinction Rebellion unterwegs sind. Ihre Äußerungen und Aktivitäten fallen natürlich auf die ganze Bewegung zurück.

Unabhängig von Hallam hatte Extinction Rebellion mit diesem Problem zuletzt im September zu kämpfen, als Bilder zweier Männer um die Welt gingen, die mit einem Extinction-Rebellion-Transparent eine Londoner U-Bahn blockierten. Sie wurden von wütenden Pendlern an den Füßen von den Wagen gezogen und mussten vom Sicherheitspersonal aus der Menschenmenge befreit werden.

Die Reaktion der U-Bahn-Passagiere wurde in der Folge zwar von manchen kritisiert – allerdings kam auch wenig Verständnis für die beiden Aktivisten auf, die im Namen des Klimaschutzes ausgerechnet den öffentlichen Nahverkehr behinderten.

Der Großteil von Extinction Rebellion lehnt die Blockade des ÖPNV nach einer Umfrage unter rund 3.700 der "Rebellen" ebenfalls ab – aber bisher muss eben niemand in der Bewegung seine Aktionen unbedingt mit den anderen abstimmen.

Ergänzung am 21. November: Hallam bittet um Entschuldigung für Holocaust-Aussagen

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