Erst im April hatte die "Extinction Rebellion" (XR) innerhalb einer Blockadeaktion den Londoner Autoverkehr an zentralen Straßen und Brücken für zehn Tage lahmgelegt, um Klimaschutz einzufordern – nun nimmt sie den Luftverkehr in den Fokus. Im Juli will die Gruppe den Flughafen Heathrow blockieren.
Dessen Erweiterung um eine dritte Startbahn ist neben dem AKW-Neubau Hinkley Point C das umstrittenste Infrastrukturprojekt in Großbritannien. Heathrow ist schon heute der größte Flughafen Europas, über 80 Millionen Passagiere werden pro Jahr abgefertigt. Durch die neue Startbahn soll ihre Zahl auf über 130 Millionen steigen.
Dem Vorhaben steht kaum noch etwas entgegen. Das britische Unterhaus ist dafür und Anfang Mai entschied das Oberste Gericht, dass die dritte Startbahn rechtens ist. Die letzte offene Frage ist, ob sich die Erweiterung immer noch rechtfertigen lässt, nachdem das britische Unterhaus im Mai einen Klima- und Umweltnotstand ausgerufen hat.
Für "Extinction Rebellion" ist das nicht der Fall. Der "Aufstand gegen das Aussterben", wie man den Namen der Gruppe ins Deutsche übersetzen kann, schreibt in einem internen Planungsdokument: "Die Regierung betrügt uns." Trotz des Klimanotstands wolle sie "die größte britische Quelle von Treibhausgasen" erweitern.
Blockade-Pläne für bis zu elf Tage
Um die Regierung doch noch zum Umdenken zu bewegen, prüft XR daher einen radikalen Plan: In einem ersten Schritt soll der Flughafen für einen Tag lahmgelegt werden, nämlich für den 18. Juni. Sollte die Regierung anschließend immer noch an der Erweiterung festhalten, will XR den Betrieb von Heathrow vom 1. Juli an für "bis zu zehn Tage" verhindern.
Die Folgen wären immens. Während der insgesamt elf Tage nutzen knapp 2,5 Millionen Menschen den Flughafen. Zum Vergleich: Als im Dezember der britische Flughafen Gatwick für anderthalb Tage wegen einer Drohne geschlossen wurde, waren 150.000 Passagiere betroffen und den Fluggesellschaften entstand ein Schaden von 58 Millionen Euro. Die XR-Aktion könnte die Fluggesellschaften daher bis knapp eine Milliarde Euro kosten.
Aus Sicht von XR wäre die Aktion dennoch gerechtfertigt, denn das Fliegen habe "völkermordähnliche Konsequenzen für kommende Generationen und die Natur". Aus Sicht von XR leitet sich daraus das Recht auf Widerstand oder auf Rebellion ab: "In diesem Land gibt es ein gesetzliches Notstandsrecht, Störmaßnahmen zu ergreifen, wenn damit ein viel größerer Schaden verhindert werden kann."
Diese Sicht wurde vor zwei Wochen von einem britischen Geschworenengericht bestätigt. Dieses entschied auf "nicht schuldig" in einem Fall von Sachbeschädigung. Der XR-Vordenker Roger Hallam hatte vor zwei Jahren mit kreidebasierter Sprayfarbe Wände des Londoner King’s College besprüht, damit das Universitätsvermögen nicht länger in Kohle- und Ölkonzerne investiert wird. Der Schaden lag damals allerdings nur bei 8.000 Euro.
Umstrittener Drohnen-Einsatz
Nach dem Gatwick-Vorbild zieht XR zudem den Einsatz von Drohnen in Betracht. Angedacht ist ein Picknick in Flughafen-Nähe, zu dem die Teilnehmer Drohnen mitbringen. XR unterscheidet zwischen vier Möglichkeiten der Teilnahme mit unterschiedlichem Risiko:
- Picknicken auf öffentlichem Grund, ohne Gefahr verhaftet zu werden.
- Picknicken auf Privatgrund mit geringem Verhaftungsrisiko.
- Das Mitbringen einer Drohne ohne Batterien. Dabei bestehe die "Möglichkeit einer Verhaftung mit anschließender Freilassung" und eine "sehr geringe Wahrscheinlichkeit von Untersuchungshaft".
- Das Fliegenlassen einer Drohne mit der Gefahr von "Verhaftung und Untersuchungshaft oder Gefängnis". Wie hart die Strafe für Drohnenpiloten wäre, hängt davon ab, ob Flugzeuge in der Luft sind. XR plant daher, nachts mit den Drohnenflügen zu beginnen, damit am nächsten Morgen der Flugbetrieb gar nicht erst aufgenommen wird.
XR hat auch ausgerechnet, wie viele Aktivisten erforderlich sind: Für wenige Tage reichten bereits 200 Menschen und um die vollen zehn Tage durchzuhalten, würden ein- bis zweitausend Rebellen "auf Rotationsbasis" gebraucht.
Ob die Aktion tatsächlich in dieser Form durchgeführt wird, ist aber noch nicht entschieden. Derzeit sammelt XR noch Feedback: "Die Meinungen zum Drohnen-Picknick scheinen gespalten zu sein", schreibt XR in einem internen Rundbrief. Daher ist es auch möglich, dass es letztlich nur zu einer symbolischen Aktion kommt.
Schon im April wurde eine Heathrow-Blockade angekündigt. Schließlich kam es aber nur zu einem Protest von zwei Dutzend Jugendlichen auf einer Verkehrsinsel vor dem Flughafen.
Seine Einschätzung zur Legitimität der Heathrow-Erweiterung teilt XR mit den gemäßigter auftretenden Umweltorganisationen. Der Chef des britischen Ablegers der Umweltorganisation Greenpeace sagte nach der Gerichtsentscheidung: Der Verkehrsminister habe "einen Gerichtsfall gewonnen, ob die dritte Startbahn rechtlich zulässig ist. Aber er hat die Debatte verloren, ob sie auch moralisch vertretbar ist."
Deutsche "Aufständische" vor dem Bundesrat
Die aus Großbritannien stammende XR-Bewegung ist mittlerweile in über 40 Ländern aktiv. Die deutschen XR-Aktivisten protestierten am heutigen Freitagmorgen gemeinsam mit anderen Gruppen mit einem "Die-in" vor dem Bundesratsgebäude in Berlin. Die Länderkammer hat im Eilverfahren Investitionen in neue Flüssigerdgas-Infrastruktur durchgewunken.
Das Geld soll in drei sogenannte LNG-Terminals fließen, die in Norddeutschland gebaut werden sollen. Die Projekte sind umstritten: Die Befürworter argumentieren mit mehr Unabhängigkeit von russischem Erdgas und damit, dass die Verstromung von Erdgas weniger CO2-Emissionen verursache als die von Kohle.
Die Kritiker wenden ein, dass die Energiewende schneller vollendet sein muss, als die neue fossile Infrastruktur sich amortisiert. Die XR-Aktivisten weisen darauf hin, dass die Methan-Emissionen des in den USA gefrackten und nach Deutschland verschifften Erdgases 86-mal klimawirksamer sind als CO2.
Bedenken gegen die neuen LNG-Terminals kamen im Bundesrat von der Thüringer Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne). Während die Bundesländer neue Fracking-Vorhaben zu Recht sehr restriktiv behandelten, werde künftig über die Terminals gefracktes Erdgas importiert. Das sei mit Risiken verbunden. Auch müsse den Bürgern gut erklärt werden, warum die Kosten dafür auf die Netzentgelte aufgeschlagen werden.