Ende Gelände 2017
Nur ziviler Ungehorsam oder auch ein Männlichkeitsritual? Blockadeaktion von "Ende Gelände" 2017 im Rheinischen Braunkohlerevier. (Foto: Tim Wagner/​JIB/​Flickr)

Klimareporter°: Frau Parekh, über friedliche Sabotage wird seit gut einem Jahr in der Klimagerechtigkeitsbewegung kontrovers debattiert. In einem Essay, den Sie zusammen mit Carola Rackete verfasst haben, fordern Sie mehr strategische Flexibilität und Kreativität. Was meinen Sie damit?

Payal Parekh: Im Dissens-Podcast gab es letztes Jahr eine Folge mit den Klimaaktivisten Tadzio Müller und Andreas Malm zum Thema friedliche Sabotage. Danach hat Carola Rackete mich kontaktiert und vorgeschlagen, gemeinsam unsere Sicht zum Thema zu äußern.

Wir wollten eine differenzierte feministische Perspektive einbringen. Noch immer werden mehrheitlich Männer und nicht Frauen in strategischen Fragen als Experten angesehen.

Uns bewegt vor allem die Frage, wie wir die Klimabewegung ausweiten und mehr Menschen mitnehmen können, um mehr Erfolge zu erzielen. Zu sagen, friedliche Sabotage geht über alles, ist mir zu sehr schwarz und weiß. Das führt zu einer großen Vereinfachung der Lagebeurteilung und der Strategie.

Vereinfachung ist häufig ein Problem bei öffentlichen Debatten um strittige Themen. Wo sehen Sie hier die entscheidenden Punkte?

Es fehlt an Grautönen und an Differenzierung. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir einen bestimmten Kampf gewinnen können. In jeder Auseinandersetzung ist der Kontext ein anderer und damit oft auch die Zielstellung. Das bedeutet, dass Strategie und Taktiken nicht immer gleich sein können.

Um es einfach zu sagen: Friedliche Sabotage ist nicht die einzige Option. In unserem Essay plädieren wir dafür, die Taktiken zu wählen, die zu unseren Zielen passen – die Gesellschaft so umzugestalten, dass sie gerechter, ausgeglichener und fairer wird.

Was macht den Akt der friedlichen Sabotage für Sie aus?

Bei Sabotage geht es meistens um Sachbeschädigung. Da kein Lebewesen verletzt wird, ist es auch nicht gewalttätig, sondern friedlich, auch wenn es auf eine bestimmte Art der Eskalation abzielt – also das Bemühen, die Wirkung von Aktionen zu erhöhen. 

Allerdings wird Sachbeschädigung meist sehr hart bestraft. Das zeigt, wie stark unsere Gesellschaft vom Kapitalismus geprägt ist.

Öffentliche Darstellungen über friedliche Sabotage erzeugen häufig den Anschein, als handle es sich um etwas völlig Neues. Sie verweisen in Ihrem Essay darauf, dass es diese Aktionsform schon sehr lange gibt. Können Sie Beispiele nennen?

Anfang der 1980er Jahre zerstörte die Pflugschar-Bewegung, ein Ausläufer des Catholic Worker Movement in den USA, Atomwaffen und Militärgerät und verschmierte Blut. Viele der Teilnehmer:innen waren Nonnen und Pfarrer, die zu ihren Taten standen und dafür im Gefängnis landeten.

Diese Bewegung reicht bis in die Gegenwart. Erst kürzlich haben Jessica Reznicek und Ruby Montoya, Mitglieder der Pflugscharbewegung in den USA, die Dakota Access Pipeline beschädigt. Reznicek wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, Montoya zu sechs Jahren.

Das sind sehr lange Haftzeiten. Ist es das wert?

Ich bin nicht sicher, ob es das wert ist, eine engagierte Aktivistin acht oder sechs Jahre lang im Gefängnis zu haben, statt Aktionen und Mobilisierung draußen unterstützen zu können. Was ist mit den unmittelbaren Verpflichtungen gegenüber Familie, Freund:innen und Gemeinschaft, die nicht mehr erfüllt werden können?

Aktionen gegen Gaspipelines gehen für mich schon in Richtung Sabotage. Wie würden Sie das einordnen? Ziviler Ungehorsam? Direkte Aktion? Weder noch?

Porträtaufnahme von Payal Parekh.
Foto: Anja Foneska

Payal Parekh

ist eine inter­nationale Klima­aktivistin mit breiter wissen­schaftlicher Expertise. Seit ihrer Jugend engagiert sie sich für Ökologie und Menschen­rechte. Payal Parekh hat einen Doktor­titel in Klima­wissen­schaften und Meeres­chemie vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Woods Hole Oceano­graphic Institution, beendete aber ihre Forschungs­arbeit und war in Führungs­positionen bei inter­nationalen Umwelt­organisationen und in Basis­bewegungen tätig. Parekh ist in Indien geboren und lebt in der Schweiz.

Friedliche Sabotage ist ganz klar ein Akt des zivilen Ungehorsams, da ein Gesetz – gerecht oder nicht – verletzt wird. Wenn friedliche Sabotage als direkte Aktion eingeordnet wird, geht es darum, ob es durch die Aktion eine messbare Änderung gibt.

Wenn wir ein Transparent auf einem Gebäude oder einer Brücke aufhängen, ist es ziviler Ungehorsam, aber keine direkte Aktion. Hingegen Atomwaffen zu zerstören, wie die Pflugschar-Bewegung es vorgemacht hat, ist eine direkte Aktion, da die Waffen dann nicht mehr brauchbar sind.

Ich bin mir aber nicht sicher, wie wichtig eine begriffliche Einordnung ist. Viel wichtiger ist es meines Erachtens zu überlegen, wann und wie wir friedliche Sabotage strategisch und erfolgreich anwenden.

Schließlich steht durch die Klimakrise sehr viel auf dem Spiel. Die Veränderungen, für die wir kämpfen, sind für unser Überleben unerlässlich, denn sie betreffen alles und alle, die uns wichtig sind.

Geht es bei friedlicher Sabotage aber nicht gerade darum, Messbares zu bewirken, etwa durch das Unterbrechen von Produktionsabläufen? Wie würden Sie symbolische und verhindernde Aktionsformen unterscheiden? Wo liegen die Grenzen zueinander?

Wie so oft, gibt es auch hier ein Spektrum. Die Aktionen von Ende Gelände beispielsweise nehme ich nicht nur als eine symbolische Aktion wahr, immerhin wurden die Kohlegruben für ein, zwei Tage lahmgelegt. Die Aktionen der Pflugschar-Aktivist:innen in den USA waren zerstörerischer. Eine bestimmte Anzahl von Atomwaffen und Anlagen wurde zerstört. Jedoch wurde nie eine ganze Fabrik zerstört und die Maschinen konnten ersetzt werden.

Wichtiger, als die Grenzen zwischen appellativen und verhindernden Aktionsformen zu definieren, ist es, wie gesagt, kontextabhängig Strategien und Risiken abzuwägen.

Schauen wir mal nach Indien, Ihrem Geburtsland. Gibt es ein Beispiel des Widerstands, das Sie als friedliche Sabotage bezeichnen würden?

Ein älteres Beispiel aus Indien ist das Abbrennen von Feldern mit Gentechnik-Pflanzen des Konzerns Monsanto durch die Karnataka Rajya Raitha Sangha (KRRS), den Bauernverband von Karnataka, einem Bundesstaat im Süden des Landes. Der Bauernverband ist eine starke Bewegung, die für Ernährungssouveränität kämpft. Direkte Aktionen gegen multinationale Konzerne ist eine Hauptmethode der Bewegung.

Da sie für die Rechte von Landwirt:innen kämpfen und ihre Aktionsform deutlich macht, wo das Problem liegt, ernteten sie breite Unterstützung. Indien ist schließlich ein Land von Kleinbauern und -bäuerinnen. Organizing ist sehr wichtig, um Sympathisant:innen zu gewinnen. Die Leute waren vielleicht mit dem Ton oder Stil der Aktion nicht einverstanden, aber mit den Forderungen.

Auch die von Gandhi angeführte indische Unabhängigkeitsbewegung, das Quit India Movement, sorgt bis heute für eine große Akzeptanz für diese Form des Widerstands.

Was wäre notwendig, damit dem Akt der friedlichen Sabotage auch in Deutschland gesellschaftliche Anerkennung zukommt?

Ich denke, je stärker der Akt der Sabotage mit dem jeweiligen Anliegen verknüpft ist, desto mehr Zustimmung bekommt die Aktion. Wie im Fall des Widerstands im Hambacher Forst. Dort haben Aktivist:innen Kohlebagger auseinandergenommen – und nicht etwa Fenster in einem Stadtzentrum zerstört.

Bei den Aktionen der Letzten Generation ist das etwas anders. Die Aktionen und die Forderungen sind oft nicht direkt verknüpft. Blockaden von Straßen oder Flughäfen betreffen Autofahrer:innen oder Fluggäste, die Forderungen richten sich jedoch an die Bundesregierung.

Das Risiko der Aktionen sowie die relative neue Taktik, sich an der Straße anzukleben, wirken sehr polarisierend. Zuschauer:innen können fast nicht neutral bleiben. Damit hat die Gruppe viel mehr Aufmerksamkeit erzeugt als andere Aktionen, aber auch sehr viel mehr Kritik.

In Ihrem Essay sprechen Sie von einer Eskalation der Klimabewegung. Was meinen Sie damit?

Mit Eskalation meinen wir keine Zunahme an Gewalt, sondern an Wirkung und Einfluss. Die Frage ist: Welche Maßstäbe verwenden wir, um zu entscheiden, ob wir unsere Proteste zuspitzen und verschärfen, und zu beurteilen, ob das erfolgreich war?

Unsere größte Aufgabe besteht zurzeit nicht darin, diejenigen zu radikalisieren, die sich bereits engagieren und an zivilem Ungehorsam teilnehmen, sondern die politisch Inaktiven einzubeziehen, die zwar glauben, dass der Klimawandel ein Problem ist, aber nicht glauben oder wissen, dass sie etwas bewirken können.

Daher sollte unser Schlüsselindikator die "horizontale Eskalation" sein, wie David Solnit es mir gegenüber einmal genannt hat, ein Kunstorganisator und Aktivist für direkte Aktionen, der 1999 die WTO-Blockade in Seattle mitgestaltet hat. Wenn unsere Aktionen größer werden, mit vielen Teilnehmer:innen aus verschiedenen Communitys, dann haben wir diese Form der Eskalation vollzogen.

Sie schlagen vor, den Begriff "zivile Demontage" an Stelle von "Sabotage" zu verwenden. Warum?

Der Begriff "Sabotage" fühlt sich patriarchal und männlich an – selbst wenn es auch Frauen tun. Er beschwört das Bild einer kriegsähnlichen Situation, auch wenn man die Folgen der Klimakrise mit einem Krieg vergleichen könnte.

Daher finde ich den Begriff "Demontage mit Würde" viel inspirierender und zutreffender. Er erweitert unsere Vorstellung darüber, wie wir radikale Veränderungen mittels Sabotage bewirken können.

Demontage heißt auch: Auflösen, was nötig ist, um etwas neu aufzubauen. Die Idee, dass wir unsere Aktionen mit "Würde" durchführen, sagt mir mehr als der Begriff "friedlich".

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