Zwei Menschen mit Plakaten auf dem Weg zur Demonstration am Hambacher Forst.
"Kohle kannst du nicht umarmen": Auf dem Weg zur Demonstration für den Kohleausstieg am Hambacher Forst. (Foto: klimareporter°)

Am Tag nach der Entscheidung, dass RWE im Hambacher Forst vorerst nicht roden darf, haben wir tanzend im und vor dem Wald demonstriert. Wir schaukelten in Hängematten zwischen den alten Hainbuchen und tranken Champagner. Lagen uns weinend und lachend in den Armen, konnten es einfach nicht glauben. Nach mehr als drei Wochen zermürbender Räumung der Waldbesetzung gab es endlich wieder Hoffnung, dass am Ende des Tages das Gute über das Böse, die Vernunft über den Wahnsinn der Zerstörung siegen würde.

In Büchern oder Filmen wäre dies das Happy End: Kurz bevor sich die RWE-Kettensägen gegen die dreihundert Jahre alten Stieleichen senken, flattert eine Bechsteinfledermaus herbei, in ihren Krallen den Bescheid des Gerichts. Die Menschen auf der Straße, die Kraft der Klimabewegung von unten siegt über die Mächtigen: Die Kohlekraftwerke stehen still, die Bagger werden eingeschmolzen und erwachen als Windräder zu neuem Leben.

Die Realität sieht aber leider anders aus. Die Realität ist die Klimakrise. Wir alle haben in diesem Sommer die Auswirkungen der Dürre in Mitteleuropa gespürt. Auch im Hambacher Forst: Der Waldboden war (und ist) staubtrocken, die Feuchtgebiete des Waldes litten unter Wassermangel, die Bäume begannen im August unter Hitzestress, die Blätter abzuwerfen. Als wäre schon Herbst, raschelte das Laub bei jedem Schritt über die Waldwege.

Der Wald ist noch nicht gerettet

Die Welt ist bereits ein Grad heißer geworden, in Deutschland gab es Waldbrände und Ernteausfälle. Viele bekommen die Veränderungen hier aber nur aufgrund der Debatte um kürzere Pommes frites mit. In den Ländern des globalen Südens verlieren Menschen ihre Lebensgrundlage, Wälder brennen, Inseln versinken im Pazifik, Krankheiten breiten sich aus, gewalttätige Landnutzungskonflikte werden angeheizt.

Es sind jene Menschen, die die Klimakrise nicht verursacht haben, deren Existenzgrundlagen von den Auswirkungen bereits jetzt zerstört werden, während wir im globalen Norden, dank der glücklichen geografischen Lage unseres Wohnortes, erst beginnen zu erahnen, was da auf uns zukommt.

Gleichzeitig sind hier bei uns im Norden die Quellen des CO2-Ausstoßes zu finden. Die Braunkohletagebaue im Rheinland gehören zu den größten dieser Quellen in Europa. Hier ist der Ort, der die Klimakrise macht.

Der kürzlich veröffentlichte Sonderbericht des Weltklimarates unterstreicht einmal mehr, wie ernst unsere Lage ist. Wenn wir in den nächsten zwölf Jahren nicht die Hälfte der Treibhausgase einsparen und alle Bereiche unseres Wirtschaftens und Lebens umkrempeln, dann rasen wir ungebremst auf eine Zwei-, Drei- oder Vier-Grad-Welt zu, mit unvorstellbaren Folgen für alle Menschen der Erde.

Verantwortung übernehmen für konsequenten Klimaschutz

Aber die Politiker versagen angesichts der Klimakrise und der Dringlichkeit des Handelns. Und wir haben keine Zeit mehr darauf zu warten, dass sie verstehen und sich gegen die kurzfristigen Profitinteressen von Kohlekonzernen wie RWE durchsetzen.

Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt: Es kommt niemand, um uns zu retten. Wir können uns auf niemanden verlassen, schon gar nicht auf das Geklüngel einer Kohle-Kommission. Deshalb übernehmen wir Klimaaktivisten die Verantwortung, jetzt konsequenten Klimaschutz durchzusetzen.

Foto: privat

Zur Person

Die Klimaaktivistin Kathrin Henneberger ist Sprecherin von Ende Gelände. Das Bündnis setzt sich seit 2015 mit gewaltfreien Großaktionen für einen konsequenten Ausstieg aus den fossilen Energien und für Klimagerechtigkeit ein.

Konsequenter Klimaschutz beinhaltet für uns einen sofortigen Ausstieg aus der Kohlekraft. Deshalb hat das Bündnis "Ende Gelände" in den letzten Jahren wieder und wieder die Braunkohletagebaue in der Lausitz und im Rheinland besetzt. Mit unseren Körpern stellen wir uns vor die Kohlebagger und stoppen sie.

Das Ende der Räumung des Hambacher Forstes und die Atempause von ungefähr zwei Jahren bedeutet für uns nicht, dass wir aufhören auf die Straße – und in die Kohlegrube – zu gehen.

Unser Widerstand wird weitergehen, breiter und stärker als je zuvor. Deshalb kommen wir Ende Oktober wieder, um Gleise, Förderbänder oder Bagger zu blockieren. Ende Oktober werden tausende Klimaaktivisten aus ganz Europa die Abläufe rund um den Tagebau Hambach stilllegen. Unser Widerstand hat gerade erst so richtig begonnen.

Waldtiere und ihre Beschützer kehren zurück

Nach den Wochen der Räumungen, der Zerstörung und des Lärms kehren die Waldtiere langsam wieder zurück in den Hambacher Forst. Und gemeinsam mit ihnen kommen einige Waldaktivisten wieder nach Hause und bauen im Geheimen ihre Häuser auf.

Ihre alltägliche Anwesenheit ist auch wichtig, um die Waldtiere zu schützen. Immer wieder verklebt RWE die kleinen Höhlen der Bechsteinfledermäuse oben in den alten Stieleichen. Es sind die Aktivisten im Hambacher Forst, die dort hochklettern und die Höhlen wieder bewohnbar machen.

Und es waren die Aktivisten des Waldes, die in den letzten sechs Jahren den Wald beschützt haben, bei Minustemperaturen auf den Bäumen ausharrten und sich mit den Repressalien der Landesregierung auseinandersetzen mussten. Ihnen ist es zu verdanken, dass der Hambacher Forst so viel Aufmerksamkeit erhalten hat und sich eine breite Solidaritätsbewegung bildete. Ohne sie wären wir nicht da, wo wir heute sind.

Die Auseinandersetzung um den "Hambi", sie steht auch stellvertretend für den Streit einer Bewegung für eine bessere, sozial gerechte und solidarische Weltgemeinschaft. "There are no jobs on a dead planet" – "Es gibt keine Arbeitsplätze auf einem toten Planeten" – ist deshalb eines unserer Aktionsmottos.

Es ist ein Kampf ein gutes Leben für alle. Für die Menschen in den Ländern des globalen Südens, für uns hier im Norden und für unsere zukünftigen Generationen.

Solidarisch in der Vielfalt des Protestes

Vor ein paar Tagen kündigte RWE-Vorstand Schmitz an, dass aufgrund des verhängten Rodungsstopps Mitarbeiter entlassen werden sollen. In Wahrheit ist es die rückwärtsgewandte, sich weiter an fossile Energien klammernde Unternehmenspolitik, mit der RWE in die Pleite rennt.

Wenn es wirklich um den Erhalt von Arbeitsplätzen ginge statt um blinde Profitinteressen, dann wären schon längst sinnvolle Investitionen geflossen.

Langer Demonstrationszug mit Transparent
Auf einem toten Planeten gibt es keine Jobs: Ende-Gelände-Gruppe auf dem Weg zur Großdemo am 6. Oktober. (Foto: Hendrik Allhoff-Cramer)

Auch hier versagt die Politik dabei, den Kohlekonzern in die Verantwortung zu nehmen, damit dieser einen Strukturwandel in der Region fair mitfinanziert und seinen Angestellten eine Beschäftigungsgarantie gibt. Kohlekonzerne wie RWE gehören der Vergangenheit an. Sie haben sich selbst ins Aus geschossen und müssen ersetzt werden durch eine dezentrale und demokratische Energieversorgung.

Die Vielfältigkeit der Hambacher-Wald- und Klimabewegung, von der Kletterin in den Baumwipfeln über den Waldspaziergänger am Boden zur Ende-Gelände-Aktivistin in der Grube – diese Vielfalt des Protestes macht unsere Stärke aus.

Während der Zeit der Räumung haben wir solidarisch zusammengehalten. Eine Großdemonstration mit 50.000 Teilnehmern, bundesweite Solidaritätsaktionen und weltweite Berichterstattung waren das Ergebnis. Gemeinsam und solidarisch werden wir weiterkämpfen und dann wird es ein richtiges Happy End geben, erkämpft durch und für uns alle.

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