Auf eine schwarze Tafel ist mit Kreide eine Weltkugel gezeichnet, daneben steht: Fridays for Future.
Eine Zukunft für die Welt: Was Erwachsene nicht hinkriegen, versuchen Schülerinnen und Schüler. (Foto: Gerd Altmann/​Pixabay)

Die Schule vermisst Jakob Bachmann in diesen Tagen nicht. Es sind Sommerferien. Trotzdem sitzt er in einem Klassenraum, hört zu und gestaltet Plakate.

Mit ihm drängen sich etwa 30 andere Jugendliche in dem engen Klassenraum der Wilhelm-Busch-Realschule in Dortmund. Was hier abläuft, hat wenig mit Unterricht zu tun. Denn es geht nicht um das bloße Lernen von Inhalten, sondern um das Erarbeiten.

Es handelt sich um eine Selbstreflexion der Jugendlichen über ihre Bewegung – über "Fridays for Future", kurz FFF: Welche Probleme gibt es? Welche Lösungen könnten in der Zukunft funktionieren?

Nach einer kurzen Ansage von Moderator und Moderatorin dürfen die Gruppen in dem Schulraum ihre Ergebnisse vorstellen. Keiner unterbricht den anderen, es sei denn, die Vortragenden überziehen das Zwei-Minuten-Limit.

Die Workshops sind nur ein Teil des FFF-Sommerkongresses, der in dieser Woche in Dortmund stattfindet. Etwa 1.600 Jugendliche zelten dort fünf Tage auf Wiesen im Revierpark Wischlingen – noch bis zum Sonntag. Es ist eine Art Festival, nur mit Sojamilch anstelle von Bier, mit Biogemüse statt Dosenravioli. Auf der Bühne stehen keine Musiker, sondern Schüler, Studierende und Wissenschaftler, die Vorträge halten.

Am Kongress teilnehmen kann jeder, empfohlen wird eine Spende von 40 Euro für Essen, Unterkunft und Programm. Nur die klaren Regeln der Organisatoren müssen befolgt werden. "Auf dem gesamten Kongressgelände herrscht ein absolutes Rauchverbot", lautet einer der elf Punkte des Verhaltenskodexes, den alle Teilnehmer unterschreiben müssen.

Etwa die Hälfte der aus ganz Deutschland Angereisten sind unter 18, es sind mehr Mädchen und Frauen als Jungen und Männer. Der Sommerkongress ist ein offener und vielfältiger Ort. Ohne große Vereinbarungen gendern alle Teilnehmer konsequent, ruft die Küche nach Helfer:innen, melden sich die Teilnehmer:innen freiwillig.

Wie geht es mit der Bewegung weiter?

Warum jetzt ein Sommerkongress? "Wir wollen die Leute untereinander vernetzen. Wir kennen uns ja nur über Whatsapp und Telefonkonferenzen", sagt Fridays-Pressesprecher Hanno Merschmeyer.

Der Kongress soll aber auch eine Antwort liefern auf die Frage, wie es nach gut einem halben Jahr Schülerstreiks in den Sommerferien weitergehen soll. Pause für die Bewegung? Nein. "Wir sind weiter präsent", lautet die Antwort.

Fragen nach der langfristigen Perspektive für Fridays for Future gibt es fast schon seit der Gründung der Bewegung im letzten Dezember – und zwar vor allem von außerhalb. Doch die Bewegung hatte Bestand, sie wuchs sogar von Woche zu Woche.

Und entwickelte sich auch inhaltlich weiter. So formulierten die jungen Aktivisten zum Beispiel sechs Kernforderungen, wie Deutschland seine Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen erfüllen kann. Darunter ein Kohleausstieg bis 2030, die sofortige Einführung einer CO2-Steuer und der schnellere Ausbau der Öko-Energien.

Und immer mehr gesellschaftliche Gruppen solidarisierten sich mit den Jugendlichen. Wissenschaftler, Sportler, Eltern und sogar Lehrer bildeten "For Future"-Bewegungen. Und zuletzt, bei der Freitagsdemo in Berlin, rief der Suchmaschinenbetreiber Ecosia andere Unternehmen dazu auf, bei dem für den 20. September geplanten Großstreik mitzumachen.

Fridays for Future gilt als einer der am schnellsten wachsenden Bewegungen, die es je gab. Doch natürlich ging es in Dortmund auch um die Frage: Was passiert mit der Bewegung nach dem Sommer? Wie sieht sie in Zukunft aus? Läuft sie sich bald tot?

Eine Reihe der 150 Workshops auf dem Sommerkongress soll darauf Antworten finden. "Feminismus und Empowerment bei FFF", "Klimawandel und Ernährung" oder "Who's for Future: Wer sind unsere Verbündeten im Kampf für die Zukunft?"

Die Parteien jedenfalls seien nicht die Verbündeten, stellt Hanno Merschmeyer klar. "Wir sind immer noch überparteilich. Wenn uns Parteien unterstützen wollen, sagen wir nicht nein. Aber wir geben auf keinen Fall eine Gegenleistung."

Schließlich wolle die Bewegung in Sachen Klimaschutz Druck auf die gesamte Politik ausüben. Bündnisse mit anderen Klimaschutz-Organisationen hingegen seien vorstellbar, bisher aber noch nicht geplant.

Es geht um mehr als bloße CO2-Reduktion

Als potenziellen Verbündeten sieht sich zum Beispiel der Aktivist Tadzio Müller, einer der Mitbegründer der "Ende Gelände"-Bewegung, die im Hambacher Forst protestierte, und Referent für Klimagerechtigkeit bei der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung.

"Zukunft bedeutet für uns alle mehr als die bloße CO2-Reduktion", arbeitet der Workshop-Leiter mit den Teilnehmenden heraus. Die Zukunft müsse nicht nur ökologisch sein, sondern auch soziale Gerechtigkeit bringen, erklärt eine Schülerin.

Müller sagt, denkbar sei eine Art "Unteilbar for Future" – inspiriert von der Demonstration im vergangenen Jahr, bei der Migrantinnen, Feministen, Homosexuelle und Klimaschützerinnen zusammen auf die Straße gingen. Für Müller ist klar: "Unter der moralischen Führung von FFF werden wir in den nächsten Jahren die ersten Schritte in Richtung einer lebenswerten Zukunft machen."

Doch es lauern auch Gefahren für die Bewegung, räumt Müller ein. Denn jede Bewegung komme an den Punkt, an dem Forderungen nicht erfüllt werden. Das sei vermutlich schon bei der Sitzung des Klimakabinetts im September der Fall, bei dem sich die Bundesregierung auf Maßnahmen zum Klimaschutz einigen will.

Bisher erscheinen die Fridays-Aktiven alles andere als frustriert. Auf dem Sommerkongress sind alle motiviert, stehen für ein gemeinsames Ziel ein und glauben eher, dass die eigene Bewegung noch wachsen wird.

"Ich werde meine Kräfte verwenden, noch mehr Druck zu machen", sagt Ragna Diederichs, Mitorganisatorin des Kongresses. Tadzio Müller ist als langjähriger Aktivist und Bewegungsforscher überzeugt, dass der Kampf während der Klimakrise selbst motivierend sei.

Zwar bestehe die Gefahr, den Kampf zu verlieren, doch die Verbindung zu anderen Menschen gebe Kraft weiterzumachen. Wenn der Kampf selbst Energie zurückgibt, sei es wie "ein Gefühl, als würde man eine Batterie von purem Leben anfassen und sich daran aufladen", sagt Müller.

Umstrittener "Personenkult"

Diskutiert wird darüber, dass es auch bei FFF einen gewissen Personenkult gibt. Wenn Bewegungsgründerin Greta Thunberg zum UN-Klimagipfel nach New York segelt, komme das überall in Zeitungen, TV und Online-Medien, moniert in Dortmund die Aktivistin Natalia.

In der Bewegung gebe es viele, die trotz starken Engagements von den Medien nicht beachtet würden. Beim Sommerkongress sei das glücklicherweise anders. Wer hier viel organisiere, werde auch gewürdigt, lobt die Schülerin.

Interessanterweise steht die in Deutschlands Medien sonst viel gefeaturte FFF-Aktivistin Luisa Neubauer während des Kongresses nicht für Interviews bereit. Für viele Kongressbesucher ist der "Personenkult" indes nicht nur nachvollziehbar, sondern auch notwendig. "Es ist leider nie möglich, dass alle in die Öffentlichkeit kommen", sagt Organisatorin Diederichs.

"Greta" diene der Bewegung als Symbol und nicht dazu, sie als Heilige zu feiern, meint auch Bewegungsforscher Tadzio Müller. "Sie steht für Radikalität und die Aussage: Ihr Erwachsenen seid einfach Schmodder, ihr verkackt es die ganze Zeit."

Dass die Sterne für den langfristigen Erfolg von Fridays for Future gut stehen, glaubt der Sozialwissenschaftler Sebastian Haunss vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung – gerade auch nach dem Kongress.

FFF habe sowohl eine lokale als auch eine überregionale Struktur und erhalte viel Unterstützung aus der Öffentlichkeit. Das sei essenziell für jede Bewegung. Außerdem diversifiziere sich das Aktionsrepertoire, wie das Dortmunder Treffen zeige.

Einer der Erwachsenen, der es nach Ansicht der jungen Leute nicht "verkackt" hat, ist Eckart von Hirschhausen, der bekannte Arzt, Komiker und Moderator, neuerdings auch Klimaaktivist. Als er die Bühne betritt, jubeln die Jugendlichen.

"Die Klimakrise ist die größte Gesundheitskrise der Menschheit", sagt von Hirschhausen. Doch die Bewegung werde wachsen: "Es gibt immer mehr Menschen, die denken, wir müssen nicht nur das Klima retten, sondern unseren eigenen Arsch."

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