Steinschale auf Podest, im Hintergrund oval angeordneten Ränge und offenes Dach
Der Kondomhersteller Einhorn hat viel Kritik für seine Massenveranstaltung bekommen – auch wegen der Wahl des Orts. Kann man die Demokratie im Berliner Olympiastadion mit seiner Nazi-Geschichte feiern? (Foto: Jan Künzel/​Wikimedia Commons)

Es klappt doch immer wieder. Nicht etwa glatte 30 Euro verlangt die Drogerieprodukt-Firma Einhorn für den Eintritt zu ihrem umstrittenen "Demokratie-Festival", das für den 12. Juni 2020 im Berliner Olympiastadion geplant ist. Nein, es sind 29,95 Euro. Wegen des psychologischen Effekts und so.

Diese Woche hat das Unternehmen das Ziel seiner Crowdfunding-Kampagne erreicht, in der es Tickets für die Veranstaltung vorab verkauft. 1,8 Millionen Euro mussten mindestens zusammenkommen, um die große Polit-Party zu ermöglichen. Das entspricht 60.000 Tickets. Weitere 30.000 sind verfügbar.

Generell fehlt es der Kampagne nicht an billigen Marketing-Tricks. Mit ironischem Augenzwinkern natürlich. Es lockt ein fetter Deal. "So billig war die Weltrettung noch nie", sagt Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer im Werbefilm. Von der "größten Bürger:innenversammlung aller Zeiten" schwärmt Einhorn-Mitgründer Philip Siefer. "Veränderung in Lichtgeschwindigkeit" verspricht die Autorin Charlotte Roche. Ein Schnäppchen also.

Das sind große Worte für einen doch recht schlichten Plan. Aktivisten und Wissenschaftlerinnen sollen auf einer riesigen Bühne ihre Ideen zur Verbesserung der Welt präsentieren, und bis zu 90.000 Menschen sollen sie dafür "feiern, wie wir sonst nur Rockstars feiern". Dann sollen alle gemeinsam vor Ort mehrere Petitionen an den Bundestag online unterzeichnen. Ungefähre Themen: Klimaschutz, soziale Ungerechtigkeit, Rassismus. Näheres steht noch nicht fest.

Kritik am teuren Event

In der Öffentlichkeit und auch der Klimabewegung hat das Projekt viel Kritik hervorgerufen, nicht zuletzt, weil ein Unternehmen dahintersteht. Während die politische Wirkung des teuren Events in den Sternen steht, ist der Werbeeffekt schon da. Schließlich muss jeder Medienbericht zumindest kurz erwähnen, wer hinter dem Ganzen steckt.

Das Wort "Bürger:innenversammlung" ist mittlerweile zum Glück in den Hintergrund gerückt. Nur im Werbefilm, wo man den Wortlaut nachträglich schwer ändern kann, ist davon noch die Rede. Der Verweis war wohl am ehesten als weiterer Marketing-Coup gedacht.

Geloste Bürgerversammlungen sind gerade in aller Munde, weil "Extinction Rebellion" sie lautstark fordert. Nur hat der geplante Petitionen-Marathon damit nichts zu tun.

Der Clou von solchen Bürgerversammlungen ist es, dass sehr verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Interessen und Werten dieselben Informationen zu einem komplexen Problem erhalten, dann debattieren und zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Ohne den Einfluss von Wirtschaftslobbys, ohne den Druck, politische Karrieren zu planen. Ohne Eintrittsgeld.

Es gab und gibt solche Gremien in etlichen Ländern, in Deutschland bislang auf kommunaler Ebene. Aber eben nicht auf dem "Demokratie-Festival", das mit seinen Petitionen eine andere Idee verfolgt.

Weder repräsentativ noch verbindlich

Außerdem: Wie bekäme man denn eine geeignete Gruppe zusammen? Klassischerweise entscheidet das Los. Damit nicht zufällig doch sehr ähnliche Menschen ausgewählt werden, gibt es bestimmte Quoten, etwa für alle Altersgruppen und manche Geschlechter.

Eine solche gemischte Gruppe wird es bei dem "Demokratie-Festival" wohl eher nicht geben.

Erstens steht dem das Eintrittsgeld entgegen, das armen Menschen die Teilhabe schwer macht, wie schon viel kritisiert wurde. Etliche werden zwar kommen dürfen, auch wenn ihre eigene Kasse das nicht zulässt, weil Tausende freiwillig zusätzliche Tickets bezahlt haben. Dem Rest bleibt aber nur die Sparvariante, nämlich das Geschehen im Livestream zu beobachten.

Und zweitens werden sich nur wenige Konservative oder Neoliberale für das Event begeistern. Die sind auch mehr oder weniger ausgeladen. Im ursprünglichen Kampagnentext, der aufgrund der lautstarken Kritik mittlerweile geändert wurde, hieß es: "Stell dir vor, es gibt ein riesiges Stadion. Darin befinden sich 90.000 Weltbürger:innen, die genau das Gleiche wollen wie du."

Es handelt sich vor allem um einen recht aufwändigen und teuren Weg, Online-Petitionen zu unterzeichnen. Wenn das Ganze einen motivierenden Effekt für die Beteiligten hat, ist das schön. Es ist nur zu befürchten, dass die Euphorie schnell in Frustration umschlägt, wenn die Petitionen wie so oft doch nicht in Gesetze gegossen werden.

Ob man das Projekt nun gutheißt oder nicht, der Crowdfunding-Erfolg ist in einer Hinsicht ein besorgniserregendes Symptom. Es sagt schließlich einiges über das politische Zeitgeschehen aus, wenn Zehntausende so wenig Möglichkeit zur politischen Teilhabe sehen, dass sie im Zweifel sogar dafür zahlen.

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