Mitglieder der Gewerkschaften Verdi und IG BCE demonstrieren gegen die
Mitglieder der Gewerkschaften Verdi und IG BCE protestieren gegen die "chaotische Energiepolitik". (Foto: Susanne Götze)

Mit Trillerpfeifen und Bergmannshelmen demonstrieren am heutigen Mittwochmorgen Tausende Gewerkschafter im beschaulichen Bergheim bei Köln für ihre Arbeitsplätze. Die Polizei geht von über 20.000 Menschen in Bergheim aus und schätzt die Teilnehmer an der Abschlusskundgebung im benachbarten Elsdorf auf 10.000 – der Veranstalter gibt 40.000 an.

Mit Slogans wie "I love RWE und deren Familien" oder "Für Rechtsstaat und sicheren Strom" unterstützen die Arbeiter ihre Unternehmen, vorrangig die Kohlekonzerne RWE und Leag.

Wenig nette Worte haben die Demonstranten hingegen für die Umweltschützer im Hambacher Wald übrig: "Aktivisten im Hambacher Forst: Reichsbürger mit Rastas" heißt es auf Schildern oder "Grüne = ideologischer Irrsinn". Grünen-Chef Anton Hofreiter sei ein "Pinocchio".

Auch für eine Gegendemo von Klimaschützern am Straßenrand haben die Kumpel wenig Verständnis. "Die haben überhaupt keine Ahnung", schreit ein RWE-Mitarbeiter wutentbrannt. "Unsere Existenzen hängen davon ab und wir lassen uns hier nicht als Klimakiller beschimpfen." Anders als bei der Pro-Kohle-Demo vergangene Woche wird aber niemand bedroht.

Beschäftigte sehen sich als Opfer der "chaotischen Energiepolitik"

Viele fordern auf ihren Schildern zwar auch die Energiewende – allerdings mit der Kohle. Man wolle eine "Zukunft mit Braunkohle" – mit solchen Schlagworten machen die Kumpel unverständlich klar, dass sie ihre Arbeitsplätze nicht aufgeben wollen und von den Vorschlägen aus der Region oder von Wissenschaftlern zum Umstieg in nachhaltige Jobs nichts halten.

Sie sehen sich auch als "Opfer der chaotischen Energiepolitik". Die Wut auf Umweltschützer und Grüne scheint aber weitaus stärker zu sein als die Kritik an der Bundes- oder Landesregierung, die den Stukturwandel in den Regionen seit Jahren verschleppt haben.

Aufgerufen haben zu der Demonstration die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und der Fachbereich Ver- und Entsorgung der Gewerkschaft Verdi. "Die Beschäftigten sind es leid, dass die Klimadebatte auf ihrem Rücken ausgetragen wird", lässt sich IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis im Aufruf zitieren. Immer wieder würden Arbeitsplätze "durch leichtfertige Abschaltpläne in Gefahr gebracht".

Auf der Kundgebung sprechen unter anderem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und einer der vier Vorsitzenden der Kohlekommission, Matthias Platzeck (SPD). "Klimaziele erreichen und Industrieland bleiben ist die Aufgabe unserer Generation" schreibt Laschet auf seiner Twitter-Seite.

Anlass der Demonstration ist ein Ortstermin der Kohlekommission, die sich heute in Bergheim trifft und Sachkundige aus der Region anhört. Das Treffen ist der letzte von drei Ortsterminen der Kommission im Mitteldeutschen, im Lausitzer und nun im Rheinischen Braunkohlerevier.

Ökonomen und Forscher: Klimaschutz heißt schneller Kohleausstieg

Die Kommission soll einen Vorschlag für den Kohleausstieg in Deutschland machen. Ihr gehören auch IG-BCE-Chef Vassiliadis, Verdi-Vorstandsmitglied Andreas Scheidt und der Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Stefan Körzell an.

Um das Klimaziel für das Jahr 2030 noch zu schaffen, ist laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ein zügiger Beginn des Kohleausstiegs nötig. In den beiden Szenarien der Studie, in denen das Klimaziel erreicht wird, werden 3.000 beziehungsweise – bei einem schnellen Ausstieg – 7.000 Megawatt an Kraftwerksleistung bis 2020 stillgelegt.

Ein weitgehender Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030 ist aber in beiden Szenarien nötig. Auch eine heute veröffentlichte Studie des Thinktanks Climate Analytics kommt zum Ergebnis, dass wegen der Klimaziele in zwölf Jahren Schluss mit der Kohleverstromung sein muss.

Verdi-Mitglieder auf einer Gewerkschafts-Demonstration im Rheinland.
"Aktivisten im Hambacher Forst: Reichsbürger mit Rastas" – ob das Plakat auf der heutigen Demonstration ein offizielles Verdi-Plakat ist, war nicht zu erfahren. (Foto: Susanne Götze)

Deutlich klarer als die IG BCE bekennt sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zu den Klimazielen und zum schnellstmöglichen Ausstieg aus der Kohleverstromung, wie ein Sprecher der Gewerkschaft auf Nachfrage von Klimareporter° erklärt. "Als Gewerkschaft der Beschäftigten in der Energiewirtschaft legen wir dabei größten Wert auf die sozialverträgliche Begleitung des erforderlichen Strukturwandels", betont er. In der Kohlekommission müsse ein akzeptabler Vorschlag für das Erreichen der Klimaziele gefunden werden.

Die Beschäftigten dürften bei einem fixierten Enddatum der Kohle nicht schlechter gestellt sein als bei einem Weiterbetrieb, sagt der Sprecher. "Die Mittel dafür müssen bei der Festlegung eines Enddatums bereitstehen."

Kohlekommission tagt morgen wieder in Berlin

Nachdem sie die Sachverständigen aus der Region angehört hat, will die Kohlekommission nach eigenen Angaben an ihren Empfehlungen und Vorschlägen zum Kohleausstieg und den Begleitmaßnahmen sowie der finanziellen Absicherung des Strukturwandels arbeiten. Auf ihrem letzten Treffen am 12. Oktober hatte die Kommission die Gliederung für den Abschlussbericht beschlossen, wie die Vorsitzenden mitteilten.

Zum Thema Strukturwandel war vor zwei Wochen bereits ein Entwurf an die Öffentlichkeit gelangt, laut dem die betroffenen Braunkohleregionen etwa bei Infrastrukturprojekten sowie bei der Ansiedlung von Forschungsstandorten bevorzugt werden sollen. Außerdem soll es schon in dieser Legislaturperiode finanzielle Hilfen von 1,5 Milliarden Euro geben.

Der Bericht zum Strukturwandel könnte Medienberichten zufolge noch in dieser Woche beschlossen werden. Die nächste Sitzung der Kommission findet morgen statt – diesmal wieder in Berlin.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar:

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