Autos stehen am Straßenrand, an einer Windschutzscheibe ist ein Zettel befestigt.
Protest gegen besonders klimaschädliche Autos: Aktivist:innen haben aus SUV-Reifen die Luft herausgelassen. (Foto: David Zauner)

Autos schlängeln sich durch den nächtlichen Verkehr auf dem Kurfürstendamm, Berlins wohl bekanntester Einkaufsmeile. Vor den beleuchteten Schaufenstern sind die Gehwege wie leergefegt. Nur eine kleine Gruppe schlendert die Straße entlang.

Auf einmal verschwinden zwei von ihnen hinter einem schwarzen SUV. Eine dritte Person wartet ein wenig versetzt und beobachtet die vorbeifahrenden Autos. Man hört ein Zischen, das schnell vom Straßenlärm verschluckt wird.

Im Gespräch mit Klimareporter° erläutert eine von ihnen: "Man steckt eine getrocknete Erbse auf das Reifenventil und in 45 Minuten ist der Reifen platt."

Die Klimaaktivistin gehört zu einer von zahlreichen Kleingruppen, die es in der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag an vielen Orten in Berlin auf SUV-Reifen abgesehen hatten. Um unerkannt zu bleiben, verwendet sie für das Gespräch mit Klimareporter° den Namen Mio Mario.

Die drei Aktivist:innen gehen weiter und biegen in eine Nebenstraße ein. Unter dem Scheibenwischer des SUVs steckt ein Zettel. "Vorsicht Bärin-Alarm: Platter Reifen" ist die Überschrift. Viele Berliner SUV-Besitzer:innen fanden am Donnerstagmorgen ebensolche Zettel an ihrer Windschutzscheibe vor.

Das sei als Warnung gedacht, sagt Mio Mario. "Erstens, dass ihr Auto nicht mehr verkehrstauglich ist – wir wollen ja mit unserer Aktion niemanden gefährden. Und zweitens, dass wir solche Stadtpanzer hier nicht wollen."

Nach Angaben der Aktivistin wurde bei über hundert SUVs die Luft aus den Reifen gelassen. Es wäre damit die bisher größte Aktion, die sich gegen SUVs richtet.

Die Stadtteile seien nach sozioökonomischen Kriterien ausgewählt worden, sagt Mio Mario. Besonders in klassisch bürgerlichen Vierteln im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf sowie in Grunewald, Mitte und Prenzlauer Berg mussten am Donnerstagmorgen einige auf dem Weg zur Arbeit auf Busse und Bahnen ausweichen.

Wie die Berliner Polizei auf Nachfrage mitteilte, geht sie von einer hohen zweistelligen Zahl betroffener SUVs aus. Am Mittwochabend sei die Identität zweier Verdächtiger festgestellt worden, die Ermittlungen dauerten an.

Zweitgrößter Verursacher steigender Emissionen

Die zentrale Forderung der Aktivist:innen lautet: Verkehrswende, und zwar jetzt. "Zu einer Zeit, in der sich die Klimakrise immer weiter zuspitzt, so eine Dreckschleuder zu kaufen, ist purer Egoismus", sagt Mio Mario.

Seit Jahren beschäftigt die SUV-Debatte die Klimabewegung. Der Verkehrssektor ist nach wie vor das Klima-Sorgenkind in der gesamten EU und besonders in Deutschland.

Bei sinkenden Gesamtemissionen der EU sind die CO2-Emissionen des Verkehrssektors von 1990 bis 2018 um 21 Prozent gestiegen. Zwar gab es 2020 im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie eine deutliche Delle bei den Verkehrsemissionen, doch dieser Effekt ist ganz offensichtlich nur vorübergehend. Schon 2021 stiegen die Emissionen nach ersten Prognosen wieder an.

Natürlich werden die Treibhausgase im Verkehrssektor nicht allein von SUVs ausgestoßen. Der gesamte Straßenverkehr und in geringerem Umfang auch Flugverkehr, Schifffahrt und Bahnverkehr tragen dazu bei. Doch tatsächlich sind SUVs für den Löwenanteil des Emissionsanstiegs verantwortlich.

Laut der Internationalen Energieagentur IEA sind die wachsenden SUV-Zahlen der zweitgrößte Verursacher des weltweiten Anstiegs der CO2-Emissionen seit 2010, direkt hinter dem Energiesektor. Damit verantwortet der SUV-Verkehr einen größeren Teil des Emissionsanstiegs als Luftfahrt oder Industrie.

SUVs sind schwer, groß, aerodynamisch unvorteilhaft designt, sollen aber trotzdem genauso gut beschleunigen können und dieselben Höchstgeschwindigkeiten erreichen wie kleinere Modelle. Das wird mit einer stärkeren Motorisierung erreicht. Entsprechend hoch ist der Kraftstoffverbrauch.

"Es gibt keine klare Definition für SUVs", sagt Yoann Gimbert vom europäischen NGO-Dachverband Transport & Environment (T&E). "Das macht den Vergleich zwischen SUVs und Nicht-SUVs nicht immer einfach." Eine Analyse von T&E aus dem vergangenen Jahr ergab allerdings, dass mittelgroße und große SUVs 15 bis 28 Prozent mehr CO2 ausstoßen als ihre herkömmlich ausgeführten Pendants.

Eine Greenpeace-Auswertung kam vor zwei Jahren zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Umweltorganisation zeigte, dass SUVs des Herstellers Daimler im Schnitt 167 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer ausstoßen, während der Durchschnitt anderer Daimler-Modelle bei 130 Gramm liegt. Das ist ein Unterschied von 28 Prozent. Bei BMW und Volkswagen waren die Unterschiede etwas geringer.

Verkaufszahlen steigen und steigen

Ungeachtet der schlechten Klima-Bilanz klettern die Verkaufszahlen jedes Jahr auf ein neues Hoch. Weltweit machen SUVs laut IEA bereits 45 Prozent aller Neukäufe aus.

Auch in Deutschland sind SUVs die beliebtesten Modelle. Im ersten Halbjahr 2021 lag der Anteil der Neuzulassungen bei 35 Prozent, wie eine Auswertung des Auto-Forschungsinstituts CAR ergab. "Statt den Materialverbrauch und die Emissionen zu senken, stellt die Automobilindustrie immer größere Wagen her. Bei SUVs ist die Gewinnspanne einfach höher", sagt Yoann Gimbert.

Am Berliner "Ku'damm" fällt die SUV-Dichte besonders auf. Die Straße ist auf beiden Seiten mit den Stadtgeländewagen gesäumt. Dass immer mehr SUV-Modelle mit Elektromotoren ausgestattet sind, ist für Mio Mario keine Lösung. "Es geht auch um den Energie- und Ressourcenverbrauch bei der Herstellung von Autos, gerade bei SUVs", sagt die Aktivistin.

Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und in ländlichen Regionen von Carsharing- und On‑Demand-Modellen seien notwendige Schritte für eine wirkliche Verkehrswende. Auch die Politik dürfe der Entwicklung nicht tatenlos zusehen, fordert sie.

Platte Reifen gab es in den vergangenen Monaten auch in einigen anderen Städten. In der Silvesternacht bereits in Berlin, kurz zuvor in München und Dortmund. Im Vergleich zu anderen Aktionsformen sei diese sehr niedrigschwellig, erklärt die Aktivistin. Mehr als eine getrocknete Erbse oder Bohne brauche man nicht.

Denen, die von den Ermittlungsbehörden erwischt werden, droht allerdings eine Anzeige wegen Sachbeschädigung. Ob Luftablassen tatsächlich Sachbeschädigung ist, ist juristisch umstritten. Die letzte Aktion dieser Art dürfte es so oder so nicht gewesen sein, macht Mio Mario klar. "Klimawandel ist Realität, und zwar hier und jetzt. Solange das nicht alle kapiert haben, machen wir natürlich weiter."

Anzeige