Klimareporter°: Herr Schneider, in einem offenen Brief fordern Sie mit Ihrem Moor-Klima-Bündnis, drei Infrastruktur-Projekte im Norden Deutschlands zu stoppen: die Autobahnen A20 und A26 Ost sowie die Hafenerweiterung in Rostock. Was war Ihr Antrieb dafür?
Luke Schneider: Wir wollen bedrohte Moore und ihren notwendigen Schutz stärker in die Öffentlichkeit bringen und dafür mehr Bewusstsein schaffen. Denn diese und noch viele andere Infrastrukturvorhaben, auch in kleinerem Maßstab, unterlaufen den Klimaschutz, indem sie Moore und andere Feuchtgebiete zerstören.
Wir wollen erreichen, dass die Politikerinnen und Politiker bei den aktuellen und künftigen Planungen ihre Entscheidungen im Sinne des Moorschutzes treffen.
Drei Infrastrukturprojekte
Die sogenannte Küstenautobahn A20 verläuft durch den gesamten Norden Deutschlands. Ein neues Teilstück soll auf rund 200 Kilometern von Niedersachsen nach Schleswig-Holstein führen. Etwa die Hälfte der Strecke verläuft über Moor- und Marschböden und sorgt bei Naturschutzverbänden für viel Kritik.
Das Autobahnteilstück A26 Ost soll die A7 und die A1 südlich von Hamburg verbinden. Für die rund zehn Kilometer lange Strecke sind Baukosten von etwa 2,3 Milliarden Euro veranschlagt. Auch hier sollen Moorböden abgebaggert werden.
Der Rostocker Hafen soll um 660 Hektar erweitert werden. Dadurch wird auf einer Fläche von rund 80 Hektar intaktes Moor mit einem Volumen von knapp zwei Millionen Kubikmetern bedroht.
Die Stadt Rostock argumentiert, die Hafenerweiterung sei unverzichtbar für die Energiewende und für neue Arbeitsplätze. Stimmt das denn nicht?
Zwar sorgt die Erweiterung des Hafens dafür, dass der Verkehrsknotenpunkt umfangreicher genutzt werden kann. Aber der stark voranschreitende Klimawandel wird sich auch auf die Transportlogistik auswirken.
Das haben wir in der Vergangenheit schon erlebt: In starken Trocken- und Hitzeperioden war der Wasserstand so niedrig, dass Verkehrswege auf dem Wasser, wie Flüsse und Kanäle, teilweise nur eingeschränkt genutzt werden konnten.
Wir bezweifeln, dass eine Vergrößerung des Hafens in Zukunft überhaupt notwendig ist, vor allem wenn dafür so wertvolle Flächen wie Moore zerstört werden. Moore sind wichtig für die Wasserregulierung und die Stabilisierung des Wasserhaushalts. Dies zu beeinträchtigen, passt nicht zu einem zukunftsfähigen Infrastrukturkonzept.
Die Autobahn A20 wird als Verkehrsader der Zukunft für Norddeutschland verkauft. Gibt es dafür eine Alternative, bei der kein Moor zerstört wird?
Grundsätzlich wollen wir nicht den Autoverkehr abschaffen oder den Bau neuer Straßen verhindern. Das Problem mit der A20 ist: Bei der Planung wurden zwar viele verschiedene Varianten und Szenarien geprüft, aber der Schutz der Natur, insbesondere der Moore, dabei oft nicht ausreichend berücksichtigt.
Wir fordern, solche Projekte so zu planen und zu bauen, dass sie möglichst wenig Schaden anrichten. Denn Moore lassen sich nicht einfach woanders neu erschaffen. Eingriffe in die Natur müssen ja durch Maßnahmen an anderer Stelle ausgeglichen werden, aber wenn Moore einmal weg sind, sind sie weg. Deswegen wollen wir verhindern, dass es so weit kommt.
Die A26 Ost ist mit fast 2,3 Milliarden Euro für zehn Kilometer eine der teuersten Autobahnen in Deutschland. Wie erklären Sie sich, dass solche Projekte politisch durchgewunken werden, obwohl der Nutzen umstritten ist?
Viele sind daran interessiert, solche Projekte voranzubringen – etwa Bauunternehmen und häufig auch die Politik. Manchmal ist ein Neubau attraktiver, als bestehende Straßen zu sanieren. Auch zur A26 Ost gibt es Vorschläge, einfach die bestehende Haupthafenroute auszubauen, statt durch Moorgebiete neu zu bauen.
Luke Schneider
ist ehrenamtlicher Pressesprecher beim Moor-Klima-Bündnis, in dem sich verschiedene Initiativen vor allem aus Nord- und Ostdeutschland für den Schutz und die Wiederherstellung der Moore einsetzen. Beruflich berät und referiert er zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagement. Er hat Nachhaltige Energietechnik an der TU Braunschweig studiert.
Die politische Entscheidung für den Bau wurde bereits getroffen, aber aktuell läuft gegen das Projekt eine Klage der Hamburger Landesverbände von BUND und Nabu. Auch sie wollen nicht den Bau komplett stoppen, sondern die Alternativen aufzeigen.
Wir müssen die juristische Entscheidung abwarten. Bemerkenswert ist ja, dass die Justiz häufig Entscheidungen für den Schutz unserer Zukunft trifft. Das haben wir zum Beispiel 2021 unter der letzten schwarz-roten Koalition gesehen, als das Klimaschutzgesetz juristisch als nicht ausreichend bewertet wurde und deshalb nachgebessert werden musste.
Moore sind eine enorm wichtige CO2-Senke, trotzdem kommt der Moorschutz in Deutschland nicht wirklich voran. Woran scheitert es bislang, sind es fehlende Fördergelder oder der politische Wille?
Am Geld liegt es nicht unbedingt, denn wir haben viele Mittel für den Klimaschutz. Durch die Aufnahme der Klimaneutralität ins Grundgesetz bekommt jetzt auch der Klima- und Transformationsfonds einiges an Puffer.
Auch die niedersächische Landesregierung hat sehr großzügige Summen für den Moorschutz bereitgestellt.
Das Umweltbundesamt hat zudem ausgerechnet, dass ein umfangreicher Moorschutz zukünftig sehr viel Geld einsparen kann – im Vergleich zu den Kosten, die durch die Folgen des Klimawandels anfallen könnten.
Woran liegt es dann, dass der Moorschutz zurückbleibt?
Eine größere Hürde ist das fehlende Bewusstsein für die Bedeutung von Mooren. Früher galten sie als Ödland, das mit Schweiß, Blut und Tränen urbar gemacht wurde. So wurden Entwässerungsgräben gezogen, damit Landwirtschaft betrieben werden konnte.
Erst relativ spät haben wir erkannt, dass es nützlicher ist, wenn die Flächen im nassen und intakten Zustand sind. Viele glauben immer noch, dass ein nasses Moor mehr Probleme und Ärger verursacht als ein trockenes. Es braucht Veränderungen und Aufarbeitung, damit wir Moore nicht mehr als gefährliche, schmutzige und tote Orte, sondern als lebendige und wertvolle Ökosysteme wahrnehmen.
Sie sagen, Ausgleichsmaßnahmen können die Zerstörung von Mooren nicht kompensieren. Was macht Moore denn so einzigartig, dass ein Ausgleich unmöglich ist?
Die heutigen Moore in Deutschland sind alle nach der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren entstanden, als die Gletscher sich zurückzogen. Pro Jahr wächst die Torfschicht aus nicht verrottetem Pflanzenmaterial um etwa einen Millimeter. Moore mit sechs bis sieben Metern Torfschicht haben sich also über viele Jahrtausende entwickelt.
Natürlich braucht ein Moor keine sieben Meter Torfschicht, um zu funktionieren, aber wenn wir die natürlichen Zustände zerstören, ist unklar, ob wir je wieder ein stabiles Torfwachstum erreichen können.

Wenn ein Moor für ein Straßenbauprojekt zerstört und dafür ein geschädigtes an anderer Stelle renaturiert wird, frage ich mich: Warum renaturieren wir nicht gleich alle Moore?
Das ist ja unser politisches Ziel. Aber wenn wir das nur als Ausgleich tun, schaffen wir nichts Neues.
So einen fragwürdigen Ausgleich gab es bei der A26 West. Dort wurde Torf aus einem Moor entnommen und an anderer Stelle wieder aufgeschüttet. Dann wurde ein Damm gebaut und Wasser eingeleitet, damit der Torf nass bleibt. Theoretisch könnte dort ein neues Moor entstehen. Allerdings ist das bisher völlig unerforscht. Wir wissen nicht, ob dieses künstliche Moor langfristig überhaupt funktioniert.
Beim Moorschutz geht es vor allem darum, Kohlenstoff zu speichern und den Wasserhaushalt zu sichern. Deshalb ist es sinnvoller, die noch intakten Moore zu schützen, statt sie zu zerstören – und zu hoffen, dass es anderswo besser wird.
So viele Moore sind ja auch nicht mehr übrig ...
Ja, viele Moore sind inzwischen so stark geschädigt, dass sie sich vermutlich nicht mehr von selbst erholen und wieder wachsen können. Das durchschnittliche Moorwachstum, wie wir es aus den letzten 10.000 Jahren kennen, fand unter ganz anderen klimatischen Bedingungen statt. Durch den Klimawandel wird es jetzt in vielen Regionen trockener, im Jahresschnitt fällt immer weniger Niederschlag.
Die nationale Moorschutzstrategie setzt vor allem auf freiwillige Anreize statt verbindliche Vorgaben. Halten Sie das grundsätzlich für ausreichend – und wie kommt diese Unterstützung bei den Landwirten und in den Kommunen an?
Es ist super, dass wir die Moorschutzstrategie haben und von der oberen politischen Ebene dieser Anstoß kommt, das Thema dort zu behandeln.
Doch es gibt immer noch zu viele politische und gesellschaftliche Hürden, um Moorschutz in die Praxis umzusetzen. Allein die Tatsache, dass weiterhin viele Moore entwässert werden und auf diesen Flächen konventionelle Landwirtschaft betrieben wird.
Die Leute werden nicht freiwillig sagen: "Verlegt unsere Dämme zurück, flutet unsere Flächen." Es braucht dort alternative Flächen oder alternative Geschäftsfelder, sodass man auf nassen Moorflächen produzieren kann.
Das ist die sogenannte Paludikultur. Allerdings gibt es dort bisher weder eine große Nachfrage noch eine umfangreiche Produktion.
Politisch ist das schwer zu steuern, vieles hängt von der EU-Agrarpolitik ab. Deshalb müssen solche Veränderungen vor allem aus einem gesamtgesellschaftlichen Denken kommen. Da kann eine nationale Moorschutzstrategie helfen, aber es gehört mehr dazu.
Wie ist die Resonanz auf den offenen Brief?
Bisher haben wir mehr als 1.300 Unterschriften von Einzelpersonen unter die entsprechende Petition, das ist eine tolle Rückmeldung. Aus der Öffentlichkeit hat mich bisher noch keine ablehnende Stimme erreicht. Naturschutz war zuletzt in der Prioritätenliste sehr weit nach unten gerutscht, wird aber wieder wichtiger und auch ernst genommen.
Rückmeldungen haben wir auch politisch erhalten, aus zwei Ministerien in Sachsen und Schleswig-Holstein. Das zeigt: Der Brief wird gelesen.
Die große Herausforderung ist, das Bewusstsein über die entscheidende Bedeutung der Moore in die Breite zu tragen. Deswegen haben wir uns für den offenen Brief entschieden und die Petition gestartet.
Wir wissen natürlich, das allein reicht nicht. Es braucht einen langen Atem, gerade im Austausch mit den Menschen vor Ort. Genau das machen wir aber: Wir engagieren uns ehrenamtlich, sprechen mit den Leuten und schauen, wie wir den Moorschutz gemeinsam voranbringen.