Stämme gefällter Bäume liegen geschnitten und gestapelt im Wald zum Abtransport bereit.
Die Rendite soll nicht länger im Vordergrund stehen. (Foto: Jirka Jiricek/​Pixabay)

Klimareporter°: Herr Fähser, wie geht es dem Wald in Deutschland?

Lutz Fähser: Schlecht! Schon seit der Zeit des "sauren Regens" in den 1980er Jahren ist der Wald geschwächt. Das wird im Moment verstärkt durch die deutliche Veränderung des Klimas.

Haben wir denn bereits ein "Waldsterben 2.0", wie der Umweltverband BUND meint? Tatsächlich ist nach offiziellen Zahlen erst rund ein Prozent der deutschen Waldfläche betroffen.

Vermutlich wird so bald nicht "der Wald" sterben, sondern es sterben einzelne Bäume. Das ist ein Anpasssungsprozess an sich verändernde Lebensbedingungen. Ob sich dieser Prozess zu einer Katastrophe ausweiten wird, hängt von der weiteren Entwicklung des Klimas und von den Maßnahmen ab, die die Waldpolitik einleitet.

Im gerade veröffentlichten Klimapaket der Bundesregierung stehen zum Wald nur unverbindliche Allgemeinheiten, im Wesentlichen zur Stärkung der Holzproduktion, nicht zur Überlebensfähigkeit der Wälder.

Können ein nasser Herbst die Lage wieder stabilisieren?

Wenn sich das Klima in Deutschland weiter so entwickelt wie bisher, also mit heißen, trockenen Sommern und vermehrten und stärkeren Stürmen, dann nützt auch ein nasser Herbst nicht wirklich etwas.

Sie haben in Ihrer Zeit als Forstdirektor in Lübeck eine naturnahe Waldbewirtschaftung entwickelt, die dort seit 25 Jahren konsequent verfolgt wird. Sind die so behandelten Wälder besser mit der Trockenheit und Hitze zurechtgekommen?

Wir haben den Wäldern von Lübeck ermöglicht, ihre Natürlichkeit zu erhöhen. Sie sind jetzt wesentlich dichter, dadurch feuchter, kühler und weniger anfällig gegen Stürme. Der Anteil der hier nicht heimischen Fichten, Kiefern, Lärchen und Douglasien wurde verringert. Die Holzernte erfolgt behutsam, ohne große Harvester-Maschinen, um den Waldboden so wenig wie möglich in seinen wichtigen Funktionen zu beeinträchtigen.

Tatsächlich stellen wir bei den heimischen Baumarten wie Buchen, Eichen und Ahorn im Moment noch keine vermehrten Schäden fest. Aber die eingeführten Nadelhölzer wie die Fichten sterben auch hier ab. In Zukunft werden vermutlich auch heimische Bäume einzeln absterben. Das ist der Anpassungsprozess, der mit natürlicher Ansamung besser angepasster Bäume fortgesetzt wird.

Porträtaufnahme von Lutz Fähser.
Foto: privat

Lutz Fähser

ist Leitender Forstdirektor im Ruhestand. Er war bis 2009 Chef des Bereichs Stadtwald der Hansestadt Lübeck. Mit seinem Team entwickelte er das Konzept einer naturnahen Waldnutzung, das national und international Beachtung findet. Seit 2000 arbeitet Fähser als Gutachter für internationale Entwicklungsprojekte, etwa als Berater bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Könnte ein naturnaher Wald auch mit einem noch weiter erwärmten Klima auskommen?

Natürliche Wälder sind das Ergebnis von dauernder Anpassung an sich ständig verändernde Lebensbedingungen. Verändert sich das Klima, dann reagiert das System darauf mit allen Elementen bis hin zu den Mikroorganismen.

Manche Baumarten behaupten sich dann stärker als vorher, hitzetolerante Sämlinge dominieren in der natürlichen Erneuerung und die Samenproduktion wird durch die größere Sonnenenergie gesteigert. Das System ändert sich mit evolutionär eingeübter Überlebensstrategie. Das ist mit dem Sterben einiger Bäume und Baumarten verbunden und erschreckt uns. Wir erkennen es nicht als "Anpassung".

Müssen wir in Deutschland nicht doch auf besser an Wärme angepasste Bäume umsteigen – wie Douglasien, Roteichen und Küstentannen, die aus Nordamerika stammen?

Führen wir Holzarten aus anderen, wärmeren Regionen ein, dann ersetzen wir diesen organischen Anpassungsprozess eines flexiblen Ökosystems durch eine künstliche Ansammlung von Bäumen. Dabei wird auch das wichtige, sehr lebendige Bodensystem durch Flächenräumung, Befahrung, Aufgraben und Austrocknung massiv beeinträchtigt – und in dieser Phase zu einer klimaschädlichen CO2-Quelle.

In Südeuropa wurden die naturnahen Wälder auf großen Flächen durch angeblich angepasste und ertragreichere Plantagen aus Eukalyptus und Kiefern ersetzt – mit den bekannten Folgen großer Waldbrände und Bodenerosion.

Die deutschen Forsten bestehen zu rund 50 Prozent aus nicht standortgemäßen Nadelhölzern, die in den nächsten Jahrzehnten vermutlich ausscheiden werden. Wir sollten diese große Unnatürlichkeit in den Wäldern nicht durch neue Einfuhren von Bäumen aufrechterhalten oder noch steigern.

Unter den Forstexperten gibt es heftigen Streit über die richtige Art, den Wald an den Klimawandel anzupassen. Naturnah versus klassisch. Gibt es da Bewegung?

Die herkömmliche Forst- und Holzwirtschaft und die sie unterstützende Wissenschaft fordern zurzeit hohe Geldsummen zur Rettung der Forsten. Das soll durch Räumen der abgestorbenen Flächen, maschinelle Aufforstung, neue schnell wachsende Holzarten, Ernte der Bäume schon in jungen Jahren und größeren Mengen geschehen.

Das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium signalisiert Verständnis und ist bereit, solche aktionistischen Ziele zu finanzieren, besonders im Interesse der Holzindustrie und des Handels.

Nun ist Wald aber vor allem ein lebendes System, dessen Überleben und Produktivität mit biologischen Gesetzmäßigkeiten in Einklang stehen muss. Hierzu haben sich in der Zwischenzeit namhafte Praktiker und Ökologen geäußert. Auch wachsen allerorten Bürgerinitiativen heran, die ihren Wald nicht in einen Holzacker überführt sehen wollen. Die Diskussion ist in vollem Gange.

Eine naturnahe Forstwirtschaft liefert weniger Holz, das verkauft werden kann. Dafür speichert der Wald mehr CO2. Muss man sich vom Forst als Renditebringer verabschieden?

Eine naturnahe Waldnutzung erfordert in den meisten Forsten eine Übergangszeit von einigen Jahrzehnten. Dazu gehört, dass der Wald dichter wird und auch viel CO2 speichert. In dieser Zeit kann nicht der volle Zuwachs an Holz geerntet werden. Danach aber liefern naturnahe Wälder deutlich mehr Holzvolumen als klassische Betriebe, denn: Holz wächst an Holz.

Besonders öffentliche Wälder, die die Hälfte der Waldfläche Deutschlands ausmachen, sind primär für die Daseinsvorsorge und für Ökosystemleistungen wie sauberes Grundwasser, frische Luft, gesundes Klima und natürliche Biodiversität vorgesehen. Angesichts der fundamentalen Bedrohung durch Klimawandel darf finanzielle Rendite nicht mehr im Vordergrund stehen.

Was sollte der Waldgipfel, zu dem Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner eingeladen hat, beschließen?

Die Beschlüsse sollten primär darauf ausgerichtet sein, das Überleben der Wälder zu sichern. Das bedeutet, die Naturnähe und damit die Anpassungsfähigkeit zu verbessern. Absterbende Bäume, die nicht mehr infektiös sind, sollten weitgehend stehen und liegen gelassen werden, um Schatten, Windruhe, Humus, Feuchtigkeit und Biodiversität zu schaffen. Die Jagd auf Wildtiere wie Rehe und Hirsche, die Jungpflanzen fressen, muss begleitend intensiviert werden.

Für öffentliche Wälder sollte ein Moratorium beim Holzeinschlag von gesunden Bäume beschlossen werden. Denn Überleben geht vor Holzgeschäft! Private Waldbesitzer sollten für entsprechende Leistungen entlohnt werden. Zudem sollten neue Forstmaschinen und -verfahren gefordert und gefördert werden, die Wald und Waldboden schonen.

Forschung und Lehre müssen Anreize zu ökologischen Inhalten erhalten, wozu der Aufbau einer neuen Studienrichtung "Ökosystem-orientierte Waldnutzung" in Theorie und Praxis gehört. Die Holzindustrie muss Anreize und Unterstützung für den mittelfristig unvermeidbaren Übergang von Nadelholz- in Laubholzverwertung erhalten.

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