Noch bevor Alois Rainer sein Amt als Landwirtschaftsminister in der Regierung Merz angetreten hatte, war er schon zur Reizfigur des sozial-ökologischen Lagers geworden. Selbst musste er dafür gar nicht viel tun.
Als den "schwarzen Metzger", mit dem "wieder Leberkäs statt Tofu-Tümelei" in das Agrarressort einziehen werde, hatte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder den Parteifreund der Öffentlichkeit präsentiert. Und vor allem: als Gegenentwurf zu dem "grünen, veganen Özdemir".
Die Ernennung des Niederbayern war eine Überraschung. Hohe Wellen hatte er bundespolitisch bislang nicht geschlagen. Das heißt aber nicht, dass Rainer kein Polit-Profi ist. Der von seiner Partei zur "Bodenständigkeit in Person" stilisierte CSU-Mann hat nicht nur den Namen und das Metzgerhandwerk von seinem Vater geerbt, sondern auch die politische Karriere.
Beide begannen als Bürgermeister in der niederbayerischen 8.000-Seelen-Gemeinde Haibach, bevor sie als Abgeordnete in den Bundestag einzogen – wobei der Senior noch einen Zwischenstopp im Landtag einlegte.
Auch Rainers ältere Schwester Gerda Hasselfeldt rückte 1987 auf den ausgeschiedenen Abgeordneten Franz Josef Strauß nach und blieb dem Bundestag bis 2017 erhalten. In der Zeit war sie unter Helmut Kohl zwei Jahre lang Bauministerin und ein Jahr Gesundheitsministerin, außerdem sechs Jahre lang Vizepräsidentin des Bundestages. Alle drei Familienmitglieder teilen, wie könnte es anders sein, das CSU-Parteibuch.
Der von seinem Parteichef zum Kulturkämpfer stilisierte Rainer fühlt sich also mit der Hand an der Kurbel des Fleischwolfes genauso wohl wie in langwierigen Haushaltsausschuss-Debatten.
Nun sieht sich der 60-Jährige einer ganz anderen Herausforderung gegenüber, nämlich dem klimagerechten Umbau der Land- und Forstwirtschaft.
Globales Agrarsystem reißt im Alleingang sechs planetare Grenzen
Weltweit sind Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung für rund ein Drittel aller Treibhausgase verantwortlich. "Ohne die Art und Weise zu verändern, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren, können wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen", wiederholen Klimaexpert:innen, in diesem Fall Johan Rockström, seit Jahren.
Das bedeutet: Selbst wenn wir die Strom-, Verkehrs- und Wärmewende in der notwendigen Geschwindigkeit meistern und es dazu noch hinkriegen, nachhaltiges Bauen zu skalieren – ohne eine tiefgreifende Veränderung unseres Ernährungssystems ist das Pariser Klimaabkommen nicht einzuhalten.
Und noch mehr: Das globale Lebensmittelsystem überschreitet im Alleingang sechs planetare Grenzen, darunter Treibhausgasemissionen, Flächenverbrauch, Süßwasserverbrauch und Störung des Stickstoffkreislaufes.

Die Lösung dieser Probleme ist kein Hexenwerk: weniger tierische Produkte, eine systematische Reduktion der Lebensmittelabfälle und ein effizienter Einsatz und Recycling von Industriedünger.
Keinen dieser Punkte griff Alois Rainer in seiner ersten Rede als Minister vor dem Bundestag auf. Zwar bekundete er, für einen "echten Kurswechsel" einzutreten, die entscheidenden Stichworte seines neuen Kurses klangen dann aber doch anders.
Er wolle für weniger Bürokratie, mehr Freiheit, mehr Innovation und gesellschaftliche Wertschätzung sorgen. Was der Bayer darunter versteht, blieb der Fantasie der Zuhörer:innen überlassen.
Dabei ist gegen einen überlegten Abbau von Bürokratie sicher nichts einzuwenden. Insbesondere kleinere Betriebe könnten dadurch entlastet werden.
In seine von Söder erdachte Rolle scheint sich Rainer bereits einzufühlen. Entgegen allen Mahnungen aus den Klima- und Ernährungswissenschaften hält Rainer gar sinkende Fleischpreise für möglich. Gegenüber der Boulevardzeitung Bild erklärte er: "Ich bin ein großer Freund der sozialen Marktwirtschaft. Das bedeutet: Fleischpreise macht nicht der Minister, sondern der Markt."
Nur leider schafft es der Markt bislang nicht, die Gesundheits- und Umweltkosten etwa von Fleisch adäquat abzubilden.
Industrielle Landwirtschaft verursacht immense Umweltkosten
In Deutschland machen die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft und der sonstigen Landnutzung – zusammengefasst mit dem Kürzel LULUCF – rund 16 Prozent des Gesamtausstoßes aus. Und laut einer Greenpeace-Analyse entstehen durch das deutsche Agrarsystem jährlich 140 Milliarden Euro an externen Kosten, die die Gesellschaft für Umwelt- und Gesundheitsfolgen bezahlen muss.
Der Großteil dieser Kosten entfällt auf die Tierhaltung. Nicht verwunderlich, denn rund 60 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland werden allein zum Anbau von Tierfutter verbraucht.
Rainers Vorgänger Cem Özdemir wollte dem System zumindest einen kleinen Schubser in die richtige Richtung geben. So hatte sich der grüne Landwirtschaftsminister für eine neue Abgabe auf Fleisch in Höhe von zehn Cent pro Kilogramm starkgemacht.
Durchsetzen konnte er sich mit seinen vorsichtigen Schritten am Ende nicht. Und das, obwohl selbst eine von vom früheren CDU-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert geleitete Kommission schon 2020 eine Tierwohlabgabe auf Fleisch von 40 Cent vorgeschlagen hatte.
Rainer hat klargemacht, dass mit ihm eine derartige Abgabe oder Steuererhöhungen auf Fleischprodukte nicht zu machen sind. Ohne den politischen Willen für einen Um- und Rückbau der Tierindustrie ist allerdings auch eine nachhaltige Agrarwende nicht zu machen. Die Tierhaltung ist für 80 Prozent der Landwirtschaftsemissionen verantwortlich.
Eine Untersuchung des Öko-Instituts kam zu dem Ergebnis, dass ein Abbau der Tierbestände auf ein Maß, das mit einer gesunden Ernährung und einer intakten Umwelt vereinbar wäre, 40 Prozent der Agrarfläche freimachen würde. Genug, um über 70 Millionen Menschen zu ernähren.
Auf Nachfrage, ob irgendwelche Maßnahmen zur Begrenzung des Tierbestands geplant seien, erklärt ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums, dass ein Förderprogramm für Tierwohlställe auf den Weg gebracht werden solle. Zu Details könne noch nichts gesagt werden.
Gleichzeitig hebt der Sprecher die generelle Position des Ministers hervor, wonach es "wichtig ist, dass Tierhaltung bei uns stattfindet und unseren Wirtschaftsstandort stärkt".
Höfesterben ist auch ein ökologisches Problem
Zu den drängenden Herausforderungen für die Landwirtschaft zählt auch das Höfesterben und damit die Bodenpolitik. Zahlreiche politische Maßnahmen zirkulieren in der öffentlichen Debatte: Pachtpreisbremsen, Begrenzung der Agrarfläche pro Betrieb, transparente Statistiken über Bodeneigentum und vieles mehr. Umgesetzt wurde davon bisher nichts.
In den letzten 25 Jahren hat sich die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland halbiert. Die durchschnittliche Betriebsfläche wächst dagegen kontinuierlich an.
Gerade mal 14 Prozent der Betriebe bewirtschaften heute knapp zwei Drittel der Landwirtschaftsfläche. Klima- und Biodiversitätsschutz fallen gerade bei großen, rein profitorientiert wirtschaftenden Agrarkonzernen in der Regel hinten runter, da sie die Rendite mindern.
Das Höfesterben hat also nicht nur soziale, sondern auch ökologische Konsequenzen.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die konventionell und ökologisch wirtschaftende Kleinbetriebe vertritt, fordert unter anderem eine "Erhöhung des Grunderwerbsteuersatzes für Akteure mit stark überdurchschnittlichem Landbesitz". Auch damit soll der Konzentration von Boden in der Hand weniger Konzerne und Fonds entgegengewirkt werden.
Mit den steuerlichen Mehreinnahmen könnten, so die AbL, junge Bäuer:innen bei der Existenzgründung unterstützt werden. Der neue Landwirtschaftsminister müsse eine Agrarpolitik verfolgen, die "vielen Höfen eine Zukunft bietet", forderte Lucia Heigl von der AbL.
Voller Lob äußerte sich Joachim Rukwied, Präsident des großindustriell geprägten Deutschen Bauernverbandes (DBV), nach Alois Rainers Regierungsrede. Rainer habe die richtigen Akzente gesetzt.
Da haben sich zwei gefunden: Der DBV hatte sich in der Vergangenheit stets gegen einen Abbau der Tierbestände und gegen eine Flächenobergrenze für landwirtschaftliche Betriebe eingesetzt.