Krumme Gurke
Diese Gurke würde bei der Ernte wohl aussortiert werden. Erste Start-ups sammeln solche Ausreißer nun ein und verkaufen sie. (Foto: Garitzko/​Wikimedia Commons)

Bevor sich Maira Essen zubereitet, fängt sie erstmal an zu rechnen. Selbst wenn es nur ein Brot mit Belag ist. Denn ein Kilogramm Butter verursacht ähnlich viel CO2-Äquivalent wie ein Kilogramm Rindfleisch. Doch wer lässt sich gerne die Butter vom Brot nehmen? "Seit ich Ökobilanzen berechnen kann, ergibt für mich eine vegane und klimabewusste Ernährung noch mehr Sinn", sagt die 19-Jährige, die Technischen Umweltschutz an der TU Berlin studiert. Schließlich bringen Milchprodukte und Fleisch wesentlich mehr Klimaemissionen mit sich als Gemüse oder Obst.

Maira gehört zur neuen und schnell wachsenden Gruppe der Klimatarier. Klimatarier wollen mit ihrer Ernährungsweise die Treibhausgas-Emissionen minimieren, die bei der Herstellung und dem Transport von Nahrungsmitteln anfallen.

Mairas Motivation ist bedingt durch ihre Familie: Ihre Mutter lebt in Spanien, ihr Vater in England. "Meine Familienbesuche machen meine Klimabilanz kaputt, deshalb wollte ich meine Alltagsroutinen klimafreundlich gestalten", sagt sie. "Die Ernährung ist dabei ein zentraler Baustein."

Klimatarier essen wenig bis kein Fleisch, vor allem kein rotes Fleisch. Sie setzen auf regionale und saisonale Lebensmittel, reduzieren oder vermeiden Plastikverpackungen und konsumieren möglichst wenig industriell verarbeitete Produkte, dafür viel frisches Gemüse und Teigwaren, da diese im Vergleich zu Fleisch und Milchprodukten mit hohem Fettgehalt weniger Treibhausgase pro Kilogramm verursachen.

Seit sie auf klimaschonende Ernährung achte, koche sie mehr, sei weniger krank und ihre Neurodermitis sei fast verschwunden, freut sich Maira. Ihr Essen bezieht sie von Foodsharing, einer Initiative, die überschüssige Lebensmittel rettet und sich über eine Internetplattform selbst organisiert. Seit seiner Gründung 2012 hat Foodsharing nach eigenen Angaben über 15.000 Tonnen Lebensmittel von der Mülltonne gerettet und damit auch eine Menge CO2 eingespart.

Maira kauft darüber hinaus im "Original Unverpackt"-Supermarkt verpackungsfrei ein und baut auf ihrem Balkon Gemüse an: Salat, Tomaten, Kohlrabi und Kräuter. "Ich habe auch schon Soja-Milch selber gemacht", erzählt sie. Das dauerte ihr dann aber zu lange.

Lebensmittel per Luftfracht: 170-mal mehr Emissionen

Circa 92 Prozent der Treibhausgase von Nahrungsmitteln in Deutschland entstehen durch Produktion und Verarbeitung, drei bis acht Prozent durch den Transport. Emissionen, die durch den Import von Nahrungs- und Futtermitteln entstehen, sind hier nicht eingerechnet. Kommen Lebensmittel per Flugzeug anstatt per Schiff, entstehen 170-mal mehr Emissionen pro Kilogramm.

"Ich habe lange in Lateinamerika gelebt und das tropische Obst sehr gemocht", gibt Maira zu. Erwischt sie bei Foodsharing tropische Früchte, freut sie sich umso mehr. "Heute hatte ich leckere Erdbeeren aus der Region", erzählt sie.

CO2-Rechner im Internet

Wenn Sie selbst berechnen wollen, wie viel CO2 Sie durch ihr Essen verursachen, können Sie das zum Beispiel auf dieser Seite nachrechnen (ein kritischer Hinweis dazu hier).

Auch Querfeld hat der Lebensmittelverschwendung den Kampf angesagt. Das Berliner Start-up sammelt auf Bauernhöfen krumme Bio-Lebensmittel, die allein aufgrund ihrer Form schon während der Ernte aussortiert wurden. Diese vermarktet das Unternehmen dann.

"Lebensmittel müssen endlich danach bewertet werden, was sie sind und wie sie produziert wurden", sagt Querfeld-Gründer Frederic Goldkorn, der mit seinem Team in einem Fabrikgelände im Treptower Park sitzt. Er möchte Konsumenten mit Produzenten direkt zusammenbringen. "Auf einer Plattform können Bauern ihre Warenkörbe einstellen und Endkonsumenten per Klick einkaufen", so die Vision von Goldkorn. Im Idealfall muss er sich dann nur noch um die Logistik kümmern.

Querfeld beliefert ab einer Menge von 50 Kilogramm Kitas, Restaurants und auch den benachbarten Coworking Space im Treptower Park mit Bio-Lebensmitteln. "Seit unserer Gründung haben wir 100 Tonnen biologisches Essen gerettet", sagt Goldkorn. Eine Treibhausgas-Rechnung gibt es dafür noch nicht. Aber die Einsparung liegt auf der Hand: Die krummen Lebensmittel werden lokal und regional vermarktet, lange Transportwege fallen weg. "Was wäre ein adäquater Vergleichswert – eine in Deutschland produzierte Gurke? Oder eine in Spanien produzierte Gurke, deren Transportweg wir verrechnen?", fragt sich Goldkorn.

Auch Sirplus will einen größeren Hebel gegen die Lebensmittelverschwendung gefunden haben. Das Start-up bringt Überschuss-Ware, also Saisonware und Ware, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, zurück in den Handel. Im Berliner Stadtteil Charlottenburg betreibt Sirplus einen kleinen Laden.

Die Kunden seien eine heterogene Gruppe, sagt Daniel Teppich von Sirplus. Er erzählt, wie neulich ein Paar in den Laden kam. "Sie packte den Einkaufswagen voll, ihr Mann hat den Laden angeekelt verlassen, als er merkte, dass die Produkte das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hatten."

Nur Symptome werden bekämpft, sagen Kritiker

Das Unternehmen will erreichen, dass auch abgelaufene Lebensmittel als normale Waren wahrgenommen werden. Aber selbst innerhalb der Foodsharing-Szene gibt es Kritik. Manche fordern, die Ursachen der Überproduktion zu bekämpfen, nicht deren Symptome. Andere werfen dem schnell wachsenden Unternehmen vor, die Sprache der Wirtschaft zu sprechen. "Wir machen das, um noch größere Mengen zu retten", wehrt sich Anouk Siegrist von Sirplus. "Nur so haben wir die Möglichkeit, ganze Lkw-Ladungen in unser Lager zu bringen."

In Deutschland landen 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr im Müll. Das sind 82 Kilogramm pro Person. "Wir brauchen endlich eine andere Wertschätzung von Lebensmitteln", fordert auch Leonie Beckmann, Vorsitzende des Vereins Restlos Glücklich, der auch Kochkurse, Caterings und Dinnerabende mit Drei-Gänge-Menüs aus "geretteten" Bio-Lebensmitteln anbietet. "Manche Kids haben Gemüse noch nicht im Rohzustand gesehen", erzählt Beckmann.

Auch die Kantinen der Berliner Universitäten beginnen umzudenken. Angefangen hat es mit dem Wunsch, eine vegane Menüvariante anzubieten. "Manche Lebensmittel wie zum Beispiel Reis, Tiefkühlprodukte oder Konserven sind zwar gut für eine vegane Ernährung, haben aber einen hohen CO2-Fußabdruck und negative Auswirkungen auf die Klimabilanz", erklärt Beatrice Schmidt vom Studierendenwerk Berlin.

Seit 2013 wurde die vegane Variante zum "Klimaessen" weiterentwickelt, das seit 2014 offiziell angeboten wird. Das Klimaessen verzichtet auf Reis, Tiefkühlprodukte und vorgefertigte Produkte wie zum Beispiel Brokkoli-Ecken. 30.000 Gäste werden täglich erreicht, wobei in kleinen Mensen das Klimaessen nicht auf dem Speiseplan steht. Dennoch wurde es in den vergangenen beiden Jahren eine halbe Million Mal über den Tresen gereicht.

"Ausschließlich regional können wir bei unseren Mengen für Klimaessen nicht bewerkstelligen", so Schmidt. "Lieferanten müssen die von uns benötigen Mengen abdecken, da müssen wir zwangsläufig auf Lieferungen aus dem ganzen Bundesgebiet zurückgreifen."

Fleisch aus dem Labor – eine Alternative?

Veganer müssen Klimatarier aber nicht unbedingt sein. "Der Mensch ist nicht zum Veganer gemacht, aber auch nicht zum massenhaften Fleischfresser", ist Maira überzeugt. Fleisch aus dem Labor und veganer Käse, der mit einer richtigen Bakterienkultur angesetzt wird, faszinieren sie. Schließlich möchten sich nicht alle Menschen fleischlos oder vegan ernähren.

Wenn weniger Wiederkäuer gehalten werden, würde weniger Methan in die Luft entweichen, das bei ihrer Verdauung freigesetzt wird. Auch Lachgas, das sogar 298-mal klimawirksamer ist als CO2 und durch die Düngung mit mineralischen Stickstoff- und Wirtschaftsdüngern in die Atmosphäre gelangt, könnte reduziert werden, wenn ein Teil der Ernährung im Labor hergestellt wird.

Seit Maira Ökobilanzen aufstellt, hält sie sich mit Pauschalisierungen zurück. Wenn wir uns die Ökobilanz eines Apfels anschauen, gibt es so viele Faktoren zu beachten. Die gute Nachricht: Die Informationen sind vorhanden, es geht nur noch darum, sie weiterzugeben und in die alltäglichen Routinen zu überführen.

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