Bis letzten Freitag haben alle dazu verpflichteten Ministerien zumindest das erforderliche Papier geliefert. Die Vorschläge fürs neue Klimaschutzprogramm der Bundesregierung seien pünktlich eingegangen, bestätigte Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) am Montag.
An dem Tag wollte er aber nicht bewerten, was die anderen Häuser zu ihren Bereichen – Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfall – klimapolitisch auf den Tisch gelegt haben. Damit würden sich jetzt die Fachleute befassen, danach steige man in den politischen Prozess ein, erklärte der Umweltminister. Es sei sein Ziel, vor Weihnachten einen Kabinettsbeschluss zum Klimaprogramm zu erreichen.
Beim neuen Klimaschutzprogramm geht es nicht nur um Fragen wie, ob sich fossile Gaskraftwerke mit CO2-Vermeidung vertragen oder wie lange Autos als fossile Verbrenner fahren oder wie schnell Heizungen klimaneutral werden sollen.
Teil des Programms ist auch die Klimawirkung von Wäldern, Mooren und Grünland – eigentlich von Böden aller Art. Dieser Einfluss der Natur auf die Treibhausgasemissionen wird unter dem Begriff Landnutzung zusammengefasst oder in der Klimasprache "Land Use, Land Use-Change and Forestry", abgekürzt LULUCF.
Für die Emissionen aus der Landnutzung gibt es im deutschen Klimaschutzgesetz verbindliche Ziele. Im Jahr 2045 soll etwa die Natur in Deutschland 40 Millionen Tonnen CO2 dauerhaft binden, um das Land klimaneutral zu machen.
Emissionen aus geschädigter Natur sind nun "Teil des Problems"
Als Zwischenstufen gelten bisher für 2030 ein Minus von 25 Millionen und für 2040 von 35 Millionen Tonnen. Politisch umgesetzt werden soll das mit dem "Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz" (ANK).
Dabei steht die Regierung rechtlich zusätzlich unter Druck. Im Mai 2024 hat das Oberverwaltungsgericht Berlin nach einer Klage der Deutschen Umwelthilfe entschieden, dass die Regierung ihre Maßnahmen beim Klimaschutz per Natur nachzuschärfen hat.
Allerdings "versenkt" die Natur in Deutschland derzeit in der Bilanz gar keine Emissionen. Anders als früher stoßen Wälder, Moore und Böden zusätzliche Treibhausgase aus und sind damit "Teil des Problems", wie auch Minister Schneider am Montag betonte.
Bleibt alles, wie es ist, wird sich das "Problem" laut aktuellen Prognosen bis 2045 ausweiten. Die Natur wird dann 2045 nicht nur kein Minus von 40 Millionen Tonnen erreichen, sondern sogar noch 37 Millionen Tonnen CO2-Emissionen draufpacken – die gesamte absehbare "Klimalücke" liegt derzeit also bei 77 Millionen Tonnen.
Viel weiter entfernt von Klimaneutralität könnte Deutschland nicht sein.
Zwecks Nachschärfung legte der Umweltminister am Montag ein Paket mit mehr als 40 Vorschlägen vor, um das ANK zu einer Art ANK 2.0 weiterzuentwickeln (siehe Kasten unten). Dieses verbesserte Aktionsprogramm würde, rechnet das Umweltministerium in einer Aufstellung vor, die 77-Millionen-Lücke bis 2045 auf null reduzieren.
Ob das auf die Tonne genau aufgeht, ist aus heutiger Sicht natürlich schwer zu kalkulieren. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. So ist die Klimabilanz der Landnutzung besonders abhängig von Extremwetter wie Dürren oder Hitzewellen, räumt das Ministerium im Vorschlagspapier zum ANK 2.0 selbst ein. Diese Abhängigkeit werde mit fortschreitendem Klimawandel zunehmen.
Wälder, Moore und Böden sollten wieder zu "Verbündeten" beim Klimaschutz werden, betonte Schneider am Montag. Die Stabilisierung solcher Lebensräume durch Moorwiedervernässung, Waldumbau und Humusaufbau brauche dabei langen Atem und Verlässlichkeit.
Von heute auf morgen wachsen die Klima-Bäume eben nicht in den Himmel.
Holzverbrennung ist für Umweltministerium kein Klimaschutz mehr
Neu ist das alles nicht. Am überraschendsten am ANK 2.0 ist noch die Abkehr von der Holzverbrennung. "Wird Holz verbrannt, so erhöht sich die Treibhausgasbilanz des Sektors um die bei der Verbrennung freigesetzte Menge an Emissionen", stellt das Vorschlagspapier des Umweltministeriums in seltener Klarheit fest.
Künftig soll Holz deswegen vor allem für langlebige Produkte verwendet werden. Ein so entstehender "Holzproduktespeicher" soll 2045 etwa 18 Millionen Tonnen zur Schließung der 77-Millionen-Lücke beisteuern.
Die klare Abkehr von der angeblich klimaneutralen Holzverbrennung und den stärkeren Fokus auf intakte Ökosysteme sieht auch Leonie Pilgram von der Deutschen Umwelthilfe als wichtige Signale, schränkt aber zugleich ein: Zwar nehme sich das ANK 2.0 ambitionierte Ziele bis 2045 vor, bleibe aber bei den Maßnahmen zu unverbindlich.
"Die Umwidmung klimaschädlicher Subventionen zugunsten einer klima- und naturschonenden Bewirtschaftung sowie klare Vorgaben für Land- und Forstwirtschaft sollten längst beschlossen sein – statt weiter zu prüfen, braucht es jetzt Verbindlichkeit und Tempo", kritisiert die Expertin für natürlichen Klimaschutz.
Besonders beim Moorschutz sind im ANK 2.0 einige Ziele buchstäblich verwässert. Im bisher geltenden Aktionsprogramm steht die Vorgabe, die Emissionen aus Moorböden bis 2030 jährlich um fünf Millionen Tonnen CO2 zu reduzieren. Dies Ziel soll nun auf 2,5 Millionen Tonnen halbiert werden.
Beirat hält auch das neue Programm für nicht ausreichend
Der Wissenschaftliche Beirat für Natürlichen Klimaschutz hatte im Sommer empfohlen, bis 2045 rund 80 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Moore wiederzuvernässen. Das entspricht etwa einer Million Hektar. So ein Ziel sucht man im neuen ANK vergebens.
Die eine Million Hektar entsprächen dabei nur etwa sechs Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland, ordnete Matthias Drösler, Co-Vorsitzender des Beirats, den Vorschlag am Dienstag ein. Dieses Niveau werde mit der aktuellen Weiterentwicklung des Aktionsprogramms noch nicht verfolgt, solle aber als Orientierung für zukünftige Maßnahmen dienen, merkte Drösler an.
Insofern plädiert der Beirat dafür, den ANK 2.0 nochmals nachzuschärfen. Minister Schneider sagte am Montag nur, es werde nicht ausreichen, lediglich in Schutzgebieten Moore zu vernässen. "Wir brauchen viel größere Flächen", betonte er. Dies wolle er aber durch Planungssicherheit, gezielte Anreize, faire Angebote und gemeinsames Vorgehen mit der Landwirtschaft erreichen.
Den Einsatz von Ordnungsrecht lehnte Schneider ausdrücklich ab. Dazu würde beispielsweise die Möglichkeit gehören, am Ende auch mit Enteignung drohen zu können. Wenn sich Eigner von Moorflächen querlegten, müsse mit ihnen geredet werden, empfahl der Umweltminister dazu.
Unter Anreizen versteht das ANK 2.0 beispielsweise, auf landwirtschaftlichen Moorflächen die sogenannte Paludikultur zu fördern und auszubauen, sodass Landwirte mit der Ernte von Schilf und anderen industriell nutzbaren Pflanzen ähnliche Einkommen erzielen können wie mit der herkömmlichen europäischen Agrarpolitik.
Auch Wasserhaushalts-Argumente sprechen für Moorvernässung
Fürsprache für Wiedervernässung erhofft sich Carsten Schneider auch dadurch, dass intakte Moore Extremwetter wie Dürre oder Starkregen abpuffern, den Grundwasserspiegel heben und den Wasserhaushalt ganzer Regionen stabilisieren können.
Um das ANK 2.0 finanzieren zu können, versprach der Umweltminister am Montag einen langfristigen wie kontinuierlichen Aufwuchs der Gelder dafür. Schneiders Ausführungen dazu blieben allerdings nebulös.
Bisher stehen für den natürlichen Klimaschutz von 2024 bis 2028 an Haushaltsmitteln 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Diese Summe wird, nimmt man die Angaben aus dem Ministerium zusammen, in den nächsten Jahren um etwa 400 Millionen Euro aufgestockt.
Schneider sprach am Montag selbst von einer Gesamtsumme von "deutlich" über vier Milliarden Euro. Wie die zustande kommt, lässt sich aber derzeit nicht nachvollziehen.
Letztlich sind die vier Milliarden auch nur die Summe, die schon die Ampel-Regierung ursprünglich für den natürlichen Klimaschutz für die Jahre 2022 bis 2026 auf den Weg gebracht hatte.
Finanziell steht also der natürliche Klimaschutz in etwa wieder dort, wo er vor drei Jahren schon einmal war. Der Wissenschaftliche Beirat für Natürlichen Klimaschutz hatte im Sommer übrigens eine Milliarde Euro jährlich allein für den Moorschutz verlangt – über die nächsten zehn Jahre.
Da bleibt fraglich, wie bei einer sich abzeichnenden Finanzlücke auch die Emissionslücke geschlossen werden kann. Dazu müssten Energie, Industrie, Verkehr oder Gebäude in die Bresche springen, sagen Fachleute. Ob sie es tun wollen und werden, wissen wir aber, siehe oben, nicht.
Auswahl von Maßnahmen im neuen Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz
Wald: Einrichtung einer Zukunftskommission Wald; Waldumbau von 100.000 Hektar, Aufforstung von 10.000 Hektar, jeweils pro Jahr; Wiederherstellen von Bruch-, Auen- und Galeriewäldern sowie Feuchtbiotopen im Wald; Honorieren von Maßnahmen für Bodenschutz im Wald wie Seiltechnik und Rückepferde; Erschließung privater Finanzquellen für Kohlenstoffbindung; Entwurf einer Verordnungsermächtigung im Bundeswaldgesetz bei absehbarer Verfehlung der Klimaziele für waldbezogene Ziele und Maßnahmen.
Moore: Förderung der Wiedervernässung land- oder forstwirtschaftlich genutzter Moore; Kompensation für die Verkehrswertverluste der Eigentümer bei Wiedervernässung sowie für sieben Jahre der Ertragsverluste der Bewirtschafter; Entwicklung von Leuchtturmregionen für nachhaltige und klimagerechte Bewirtschaftung von Moorböden; Zahlung der EU-Basisprämie für wiedervernässte Flächen; Marktanreizprogramm für Paludikultur-Produkte, besonders für Bau- und Dämmmaterialien, langlebige Produkte, Torferden-Ersatz und Produkte für Grundstoffchemie.
Landwirtschaftliche Böden: Erhalt von Grünland; Bund-Länder-Leitfaden für produktionsorientierte Agroforstsysteme; bis 2045 zusätzlich 100.000 Hektar neue sowie Aufwertung artenreicher Grünflächen; 300.000 zusätzliche Stadtbäume.
Sonstiges: naturnahe Landschaftswasserhaushalte; Renaturierung von jährlich 700 Hektar Auenflächen an Landesgewässern; Renaturierung von Meeres- und Küstenlebensräumen wie Seegraswiesen, Salzmarschen, Algenwäldern und Riffen; besserer Schutz des Meeresbodens in Nord- und Ostsee.
