Äpfel müssen makellos sein, sonst werden sie im Supermarkt nicht gekauft. Klein und schrumpelig, das geht nicht. Ebenso tabu sind Schorf-Flecken auf der Schale. In diesem Jahr ist Letzteres offenbar ein besonderes Problem, unter anderem für die Obstanbau-Betriebe in der Bodenseeregion. Dort hat der viele Regen der letzten Wochen und Monate das Risiko für Schorf an Kernobst stark erhöht.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) will den Bauern daher erlauben, Äpfel, Birnen und andere Früchte stärker mit dem umstrittenen Pestizid Folpet zu behandeln, und den Grenzwert für dessen Rückstände im Obst auf das 20-Fache erhöhen. Der Umweltverband BUND kritisiert das heftig. Er warnt vor "Schneewittchenäpfeln" in den Regalen.
Die Bodenseeregion ist das zweitgrößte Obstanbau-Gebiet Deutschlands nach dem Alten Land bei Hamburg. Bei "Schorf-Gefahr" werden in der konventionellen Landwirtschaft oft die Spritzmittel Dithianon und Captan eingesetzt. Dithianon fällt in aktuellen Fall aus, weil laut BVL die vorgeschriebene "Wartezeit" von 42 Tagen bis zur Ente nicht mehr eingehalten werden kann.
Captan wiederum fällt speziell am Bodensee aus, weil das Mittel durch Abdrift auch in die Umgebung gelangen und dort die hier großflächig angebauten Kulturen des Bier-Rohstoffs Hopfen belasten würde. Der Export dieses Hopfens wäre dann gefährdet, weil die Abnehmerländer USA und Japan Captan-Rückstände nicht tolerieren. Es gebe in beiden Ländern eine "Nulltoleranz gegenüber Captan-Rückständen", schreibt das BVL in einem Verordnungsentwurf, in dem das Vorgehen begründet wird. Der Entwurf liegt Klimareporter° vor.
"Notfallzulassungen wegen Klimafolgen sind keine Lösung"
Für die aktuelle Obst-Anbausaison ist so per "Notfallgenehmigung" am Bodensee bereits ein Fungizid mit dem Wirkstoff Folpet erlaubt worden. Das Problem: Der Einsatz dieses Pilzmittels führt offenbar zu Rückständen im Obst, die den EU-weit gültigen Grenzwert deutlich übersteigen. Das Bundesamt will deshalb diesen Grenzwert für Deutschland vorübergehend von 0,3 auf sechs Milligramm pro Kilo erhöhen, also auf das 20-Fache.
Der BUND hält das für fahrlässig, da Folpet offiziell als wahrscheinlich krebserregend und erbgutverändernd eingestuft ist und als hochgiftig für Fische und Wasserorganismen gilt. Tritt die BVL-Verordnung so in Kraft, können die höher belasteten Äpfel und Birnen nur noch in Deutschland verkauft werden, der Export in andere EU-Länder wäre verboten.
"Um den Hopfenexport in die USA und nach Japan nicht zu gefährden, wird ein hochgefährliches Fungizid per Notfallgenehmigung zugelassen", kritisierte die BUND-Pestizidexpertin Corinna Hölzel. Solche Stoffe müssten zügig komplett verboten werden, statt sie vermehrt einzusetzen. Sie hätten "im heimischen Obst nichts zu suchen".
Hölzel wies darauf hin, dass sich Wetterextreme wie längere feuchte Perioden, aber auch Trockenheiten im Zuge der menschengemachten Erderwärmung häufen. Diesen Klimafolgen in der Landwirtschaft mit regelmäßigen Pestizid-Notfallzulassungen und der Anhebung von Grenzwerten zu begegnen, sei aber keine Lösung.
Schorf an Äpfeln ist nur ein Schönheitsfehler
Das BVL teilte auf Anfrage mit, Notfallzulassungen für Pflanzenschutzmittel könnten notwendig sein, "wenn eine Gefahr für die Gesundheit und den Schutz von Kulturpflanzen nicht anders abzuwenden ist". Es sei aber sichergestellt, "dass die menschliche Gesundheit nicht gefährdet wird und unvertretbare Auswirkungen auf die Umwelt vermieden werden".
Das gelte auch für den angepeilten höheren Grenzwert für die Rückstände im Obst, so das Amt, das sich dabei auf die Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) bezog. Das BfR wiederum teilte mit, der heraufgesetzte Grenzwert sei "auf Basis der deutschen Verzehrgewohnheiten noch als hinreichend konservativ anzusehen".
BUND-Expertin Hölzel betonte, es gebe gegen Schorf durchaus Alternativen wie den Anbau widerstandsfähiger Obstsorten, regelmäßige Baumschnitte, die für gute Belüftung sorgen, und die Beseitigung des Falllaubs, in dem die Pilzsporen überwintern. Außerdem forderte sie ein Umdenken im Lebensmittelhandel und bei der Kundschaft.
"Schorf ist hauptsächlich ein ästhetisches Problem. Im Gegensatz zu Pestizidrückständen im Obst stellen Äpfel mit Schorf kein gesundheitliches Risiko dar", sagte Hölzel. Es müsse eine Toleranz für Ware mit Schönheitsfehlern geben. Das sei "klüger, gesünder und nachhaltiger, als die Regale mit Schneewittchenäpfeln zu füllen".
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) müsse sich für Pestizidreduktion einzusetzen und Notfallzulassungen für gefährliche Pestizide sowie Grenzwerterhöhungen stoppen, fordert der BUND. Das Ministerium müsse die Obstbetriebe bei der Anwendung nicht chemischer Alternativen unterstützen und den Lebensmittelhandel in die Pflicht nehmen, Obst mit Schönheitsfehlern zu tolerieren.