Agri-PV in der Mecklenburgischen Seenplatte: Zwei der drei Vattenfall-Flächen bei Tützpatz. (Bild: Klas Neidhardt/Vattenfall)

Die Energiewende braucht Fläche. Gerade für den Ausbau der Solarenergie werden große Areale benötigt, wenn nicht nur Dächer von Wohnhäusern und Gewerbeimmobilien damit bestückt, sondern auch Großanlagen mit ihren besonders günstigen Stromgestehungskosten gebaut werden sollen.

Doch Ackerland dafür zu nutzen, ist umstritten. Die Lösung könnte ein Modell sein, das in Deutschland gerade kräftig an Fahrt aufnimmt: die Agri-Photovoltaik, kurz Agri-PV.

Dabei werden landwirtschaftliche Flächen zugleich für die Nahrungsmittelproduktion und für die Erzeugung von Sonnenstrom genutzt. Jüngste Großprojekte in Ostdeutschland zeigen, welches Potenzial in dem Konzept steckt. 

 

Mitten in der Mecklenburgischen Seenplatte hat der Energiekonzern Vattenfall jetzt Deutschlands bislang größten Agri-PV-Park in Betrieb genommen. In der Gemeinde Tützpatz stehen auf 93 Hektar Fläche Solarmodule mit einer Maximalleistung von 76 Megawatt.

Doch werden nicht nur Kilowattstunden geerntet, sondern auch Getreide – und Eier. Die Anlage besteht aus drei Teilflächen mit unterschiedlichen Konzepten. Auf dem größten Areal ist die Haltung von 15.000 Legehennen vorgesehen, und zwar in mobilen Ställen, die zwischen den Modulreihen verschoben werden können.

Auf den beiden anderen Teilflächen wird Ackerbau betrieben. Bei der Planung der Anlage wurde auf sogenannte Trackersysteme gesetzt – bewegliche Modulreihen, die dem Sonnenstand folgen und so dabei Platz für Landmaschinen lassen.

Finanziert wurde das Projekt ohne staatliche Unterstützung. Wirtschaftlich tragfähig macht es ein Stromliefervertrag mit der Telekom-Tochter Power & Air Solutions (PASM) über zehn Jahre.

"Mit Tützpatz zeigen wir, dass Landwirtschaft und fossilfreie Stromerzeugung nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich bestens ergänzen können", sagte Claus Wattendrup, Leiter des Vattenfall-Solarbereichs, bei der Eröffnung

Technologischer Meilenstein

Während in Mecklenburg die Fläche flach überbaut wird, setzt man im sächsischen Krauscha, unweit der Neiße, auf ein anderes Modell: die vertikale Photovoltaik. Dort eröffnete Mitte September der Agri-Solarpark Krauscha – die erste große PV-Anlage in Ostdeutschland mit senkrecht stehenden Modulen.

Mit einer installierten Leistung von 1,8 Megawatt ist der Park deutlich kleiner als das Vattenfall-Projekt, aber technologisch ein Meilenstein. Realisiert wurde die Anlage nach dem "bifazialen" Agri-PV-Konzept des Solarunternehmens Next 2 Sun aus dem saarländischen Dillingen.

Die Module stehen dabei wie Zäune aufgereiht in Abständen von über zehn Metern, sodass die Fläche nahezu vollständig weiter mit Traktoren und anderen Maschinen bearbeitet werden kann. Die Module schaffen nach dem Konzept ein günstiges Mikroklima, spenden Schatten und verringern die Verdunstung – ein Vorteil gerade in Zeiten des Klimawandels. 

Bei der vertikalen Photovoltaik bleibt Platz für die maschinelle Bearbeitung der Felder – mit einigen Einschränkungen. (Bild: Next2Sun)

"Mit Agri-Photovoltaikanlagen ist es möglich, auf ein und derselben Fläche regionale Lebensmittel anzubauen und Solarenergie zu gewinnen", betonte Sachsens Umwelt- und Landwirtschaftsminister Georg-Ludwig von Breitenbuch (CDU) bei der Einweihung.

Für das Gut Krauscha, das ökologischen Landbau betreibt, ist die doppelte Nutzung ein Rettungsanker. "Diese Anlage ist extrem wichtig für uns, denn sie sichert in Zeiten des Klimawandels und zurückgehender Erträge unsere Existenz", sagte Eigentümer Hans Joachim Mautschke

Auch der Stromkonzern RWE sieht in Agri-PV eine vielversprechende Variante der Solarstromgewinnung. Auf einer rekultivierten Fläche nahe dem Tagebau Garzweiler im Rheinischen Braunkohlerevier testet der Energieriese seit 2024 verschiedene technische Konzepte dazu.

Auf sieben Hektar wachsen hier zwischen und unter gut 6.000 Solarmodulen Getreide und Himbeeren. Das Besondere: RWE erprobt drei Varianten im direkten Vergleich – vertikal montierte Module, einachsige Tracker-Systeme und eine Pergola-ähnliche Konstruktion mit hochgeständerten Modulen. 

Großes Potenzial nicht ansatzweise erschlossen

Erste Ergebnisse auf den Versuchsfeldern zeigen dem Konzern zufolge, dass die landwirtschaftlichen Erträge mit denen von konventionell bewirtschafteten Flächen mithalten können. Teilweise ergaben sich sogar Vorteile. "Der Proteingehalt des Getreides war höher als auf der Referenzfläche", so das Unternehmen.

Auch im Obstbau zeigen sich laut RWE Pluspunkte: Unter den pergolaartigen Modulen wuchsen Himbeeren mit hoher Qualität, geschützt vor Starkregen und extremer Hitze. Die Module dienen zugleich als Träger für ein Bewässerungssystem – eine Kombination, die Landwirten mehr Planungssicherheit bei den Erträgen verschaffen könnte. 

Das Potenzial der Agri-PV ist gewaltig. Studien des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg schätzen, dass gut geeigneten landwirtschaftlichen Flächen ein technisches Potenzial von bis zu 500.000 Megawatt Solarleistung bieten, was die Photovoltaik-Ausbauziele Deutschlands für 2040 sogar noch übertrifft.

Weltweit liegt das Potenzial laut der Internationalen Energieagentur IEA sogar im Millionen-Megawatt-Bereich. Doch in Deutschland kommt der Ausbau erst langsam voran. 

Daten der Bundesnetzagentur zeigen, dass hierzulande bisher Agri-PV-Anlagen mit einer Nennleistung von zusammen rund 400 Megawatt in Betrieb oder genehmigt sind – ein verschwindender Bruchteil der insgesamt installierten mehr als 100.000 Megawatt. Gründe sind hohe Investitionskosten, fehlende standardisierte Genehmigungsverfahren und Unsicherheit bei der Förderung. 

Klare Regeln gefordert

Immerhin: Seit 2022 werden Agri-PV-Anlagen in bestimmten Ausschreibungen der Bundesnetzagentur berücksichtigt. Doch die Förderung gilt bislang nur für bestimmte Systemtypen, vor allem für hochgeständerte Anlagen.

Projekte wie das in Tützpatz, die ohne Zuschüsse auskommen, zeigen zwar die wirtschaftliche Perspektive, sind aber noch die Ausnahme. Fachleute fordern deshalb, die Rahmenbedingungen klarer und technologieoffener zu gestalten.

Auch der Deutsche Bauernverband begrüßt die Möglichkeit der "Doppelernte" angesichts des Drucks auf die Agrarflächen etwa durch Siedlungs- und Straßenbau.

Lösungen wie die Agri-PV würden benötigt, "die in bestehende Strukturen integriert werden können, keine zusätzlichen Flächen verbrauchen und so den Zubau der erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren im besseren Einklang mit Landwirtschaft und Landschaft sicherstellen", heißt es in einem Positionspapier des Verbandes.

 

Das zeigt: Für die Landwirtschaft bietet das Konzept Chancen, aber auch Herausforderungen. Landwirte können zusätzliche Einnahmen generieren, ihre Flächen widerstandsfähiger gegenüber Klimaänderungen machen und selbst Teil der Energiewende werden.

Doch sie müssen auch mit neuen technischen Strukturen auf dem Feld umgehen. Traktoren, Erntemaschinen und Bewässerungssysteme müssen sich mit den Modulreihen arrangieren. Die Beispiele aus Mecklenburg, Sachsen und dem Rheinland zeigen aber, dass es funktioniert.

Die doppelte Ernte – Nahrung und Strom – könnte zu einem wichtigen Baustein der Energiewende werden. Allerdings muss die Politik für eine Verstetigung bei der Förderung und eine klare Definition von Agri-PV sorgen, um den Markt transparenter und planbarer zu machen. Es wäre ein Job für die Bundesregierung.