Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Sebastian Sladek, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).
Klimareporter°: Herr Sladek, in Thüringen und Sachsen werden heute neue Landtage gewählt. In beiden Bundesländern könnte die rechte bis rechtsextreme AfD als stärkste politische Kraft aus den Wahlen hervorgehen.
Die AfD leugnet den menschengemachten Klimawandel, sie will etwa den Ausbau der Windkraft weitgehend stoppen wie auch den Kohleausstieg und die CO2-Besteuerung aufheben. Droht damit der Klimaschutz endgültig unter die Räder zu kommen?
Sebastian Sladek: Ich denke, wir sind uns alle einig darüber, dass ein Sieg der AfD in Thüringen und Sachsen kein guter Tag für den Klimaschutz wäre. Kommt die AfD tatsächlich in Regierungsverantwortung, wird das ziemlich sicher bedeuten, dass wichtige Klimaschutzmaßnahmen und auch entsprechende Landesförderungen beendet werden.
In einer Rede Ende 2023 sprach der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke bereits davon, dass er, käme er in Regierungsverantwortung, das "ganze Klimagedöns abräumen" wolle. Das ist wohl mehr als deutlich.
Doch ist Klimaschutzverweigerung längst kein Alleinstellungsmerkmal dieser Partei mehr. In Sachsen tritt CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer beim Klimaschutz schon heute kräftig auf die Bremse.
Hinzu kommt nun auch noch das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht, das laut Umfragen in beide Landesparlamente einziehen wird. Energiepolitisch schwelgt auch diese Partei in populistischen Forderungen, die an den Notwendigkeiten des Klimaschutzes völlig vorbeigehen, leugnet aber immerhin den menschengemachten Klimawandel nicht.
Diese Gemengelage bedeutet aber nicht, dass der Klimaschutz zwangsläufig ganz unter die Räder kommen wird. CO2-Besteuerung und Kohleausstieg liegen nicht in der Hoheit der Länder, zudem ist der Umbau des Stromsystems in Richtung Erneuerbare weit fortgeschritten.
Und auch weite Teile von Wirtschaft und Gesellschaft sind bereits auf eine neue politische Ausrichtung mit dem Ziel Klimaneutralität eingestellt. Selbst die deutschen Energiekonzerne haben nach Jahrzehnten der Gegenwehr diese Zielführung mittlerweile übernommen, den Kohleausstieg in ihre Langfriststrategien integriert und nach eigener Aussage kein Interesse daran, die Atomkraft zu reaktivieren.
Sicher, all diese Entwicklungen hätten sehr viel flotter vonstattengehen können, im weiteren Fortgang werden wir deutlich mehr Tempo aufnehmen müssen – und dennoch: Die Erneuerbaren sind längst das neue "Normal".
Und schließlich sind – "Freistaaten" hin oder her – Sachsen und Thüringen auch nach den Wahlen weiterhin durch Gesetze des Bundes und der EU verpflichtet, den Klimaschutz voranzutreiben. Aber natürlich müssen Bund und Länder hier zusammenarbeiten, um Erfolge zu erzielen, und auch der Bund hinkt ja bekanntermaßen bei der Umsetzung der selbst gesteckten Ziele hinterher.
Keine Frage, die zu bohrenden Bretter bleiben dick und populistische Realitätsverweigerer sind da wenig hilfreich, erst recht nicht auf der Regierungsbank.
Dennoch bleibe ich hoffnungsvoll. Ich bin mir sicher, dass es auch in Sachsen und Thüringen genug vernunftgeleitete Bürgerinnen und Bürger gibt, die die Notwendigkeit des Klimaschutzes ernst nehmen und sich gemeinschaftlich und aktiv für eine klimaneutrale Gesellschaft engagieren.
Ob nun nach dieser oder nach zukünftigen Wahlen, früher oder später werden auch die Landesregierungen von Thüringen und Sachsen nicht mehr an der Realität vorbeikommen. Früher wäre aber schon besser – für Thüringen, Sachsen und uns alle.
Dynamische Stromtarife sind im Kommen. Die Stiftung Warentest hat die aktuellen Angebote untersucht. Vor allzu großen Hoffnungen warnt sie aber: "Für normale Haushaltsstromkunden sind die Tarife in der Regel nicht empfehlenswert", schreiben die Verbraucherschützer. Sehen Sie das auch so?
Dynamische Stromtarife sind zweifellos ein innovatives Konzept, das in der heutigen Tariflandschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt. Sie ermöglichen es Verbraucherinnen und Verbrauchern, ihren Stromverbrauch an die Preisschwankungen des Strommarktes anzupassen.
Das fördert – in der Theorie – nicht nur die Integration erneuerbarer Energien, sondern trägt auch zur Stabilität der Stromnetze bei. Denn wenn die Leute den grünen Strom dann nutzen, wenn er im Überfluss vorhanden ist, können sie ganz einfach aktiv zur Netzstabilität beitragen und auch Geld sparen. Ich denke auch, dass darüber Anreize gesetzt werden, bewusster mit Energie umzugehen.
Trotz der rosigen Perspektiven müssen wir die gegenwärtige Situation realistisch betrachten: Bisher sind dynamische Stromtarife für viele Haushalte nicht attraktiv. Die Installation eines Smart Meters stellt eine erhebliche Hürde dar. Ohne intelligente Messsysteme können Haushalte die Vorteile dynamischer Tarife aber nicht ausschöpfen. Zudem haben eben auch nicht alle Haushalte Flexibilitäten, die über einen dynamischen Tarif aktiviert werden könnten.
Die Verbraucherzentralen haben also nicht ganz unrecht, wenn sie sagen, dass sich ein Wechsel zu diesen Tarifen momentan nicht unbedingt lohnt. Die Einsparungen kompensieren derzeit oft nicht die Kosten für den Einbau neuer Mess-, Steuer- und Regelungstechnik. Hier muss politisch nachgesteuert werden.
Es ist auch notwendig, das System der Netzentgelte weiter zu reformieren. Zum Beispiel durch den Umstieg auf dynamische Netzentgelte, um die in den letzten Jahren stark gestiegenen Systemmanagementkosten, unter anderem fürs Redispatch, zu reduzieren.
Laut einer Studie im Auftrag von Agora Energiewende könnten durch dynamische Tarife inklusive dynamischer Netzentgelte bis zu 100 Milliarden Kilowattstunden Last bedarfsgerecht verschoben und 4,8 Milliarden Euro im Stromsystem bis 2035 eingespart werden.
Von dieser Ersparnis würden alle Haushalte profitieren, weil die insgesamt zu verteilenden Netzkosten geringer wären. Aktuell leiden ja vor allem die Privathaushalte überproportional stark unter hohen Netzentgelten.
Kurzum: Dynamische Stromtarife werden aus unserer Sicht langfristig unverzichtbarer Bestandteil eines erneuerbaren Energieversorgungssystems sein, das im Wesentlichen aus der Stromerzeugung von Wind und Sonne besteht. Wir halten den vom Gesetzgeber eingeschlagenen Weg, dass jeder Energieversorger ab 2025 einen dynamischen Tarif anbieten muss, deshalb auch für konsequent und zielführend.
Die Deutsche Energieagentur Dena legte kürzlich einen Bericht über Energy Sharing "vom Konzept zur energiewirtschaftlichen Umsetzung" vor. In EU-Ländern wie Österreich existieren demnach bereits Regelungen zum gemeinschaftlichen Erzeugen und Nutzen von Strom, die viele Bürger nutzen.
Auch in Deutschland brauche das europäische "Right to Energy Sharing" nun einen praktikablen Rechtsrahmen, fordert die Dena. Das Wirtschaftsministerium hat dazu jetzt auch einen Regelungsentwurf vorgelegt. Macht Ihnen das Hoffnung?
Das Thema Energy Sharing begleitet uns als EWS ja schon seit vielen Jahren, nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch ganz praktisch. So haben wir beispielsweise im Rahmen unseres Modellprojekts zur "Schönauer Stromgemeinschaft" über mehrere Jahre wichtige Erfahrungen gesammelt, was der aktuelle Regulierungsrahmen eigentlich hergibt und was nicht.
Keine Frage, rein rechtlich ließe sich Energy Sharing auch schon im bestehenden Rechtsrahmen umsetzen. Allerdings lässt sich das Konzept nicht hochskalieren. Die energiewirtschaftliche Regulierung in Deutschland ist, wenn es um dezentrale Versorgung aus Erneuerbaren-Anlagen unter Inanspruchnahme des öffentlichen Stromnetzes geht, extrem kompliziert – und damit kostenintensiv.
Wir drängen daher seit Jahren gemeinsam mit vielen anderen Akteuren aus der Erneuerbaren- und Bürgerenergiebranche auf politischer Ebene auf Regeln, welche die Umsetzung von Energy Sharing de facto erleichtern.
Während sich die Groko mit Wirtschaftsminister Altmaier dem Thema noch gänzlich versperrte, zeigt das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck immerhin eine gewisse Offenheit. Da spielt gewiss auch eine Rolle, dass nicht nur die üblichen Verdächtigen aus der Bürgerenergiebranche, sondern auch Akteure wie die Dena nun öffentlich für einen besseren Rechtsrahmen eintreten.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir natürlich, dass mit dem jetzt vorgelegten Referentenentwurf der Energiewirtschaftsrechtsnovelle endlich das Thema Energy Sharing angepackt wird.
Es spricht allerdings Bände, wenn der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung schon darauf verweist, dass nicht davon auszugehen sei, dass die gemeinsame Nutzung von Strom aus Erneuerbaren-Anlagen kurz- oder mittelfristig zu einem Massengeschäft wird.
Unser erster Eindruck von der Novelle ist, dass die Komplexität hoch bleiben wird, selbst wenn Sharing-Gemeinschaften künftig stärker von energiewirtschaftlichen Pflichten befreit werden sollen.
Zudem fehlt es dem Vorschlag an echten wirtschaftlichen Anreizen, wie sie beispielsweise den Energy-Sharing-Communitys in Österreich gewährt werden. Dort profitieren die Communitys aufgrund ihrer netzentlastenden Effekte und ihres regionalen Charakters unter anderem von reduzierten Netzentgelten.
In Deutschland versperrt man sich derartigen Überlegungen bislang. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Wir werden auf jeden Fall am Ball bleiben und uns weiter für Verbesserungen einsetzen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Es ist ja kein Geheimnis, dass der Konsens über eine effektive und sinnvolle Klimapolitik in der Ampel nicht besonders ausgeprägt ist und vieles ganz und gar nicht läuft, geschweige denn so, wie eigentlich vorgesehen.
Überrascht hat mich aber dann doch der neue Report des IISD, des International Institute for Sustainable Development. Der Bericht macht transparent, dass Deutschland sein Ziel, bis Ende 2022 die internationale Finanzierung von Kohle, Öl und Erdgas zu beenden, krachend verfehlt hat. Dieses Versprechen hatte Deutschland 2021 auf dem Weltklimagipfel in Glasgow gemeinsam mit 33 anderen Staaten und fünf öffentlichen Finanzinstitutionen gegeben.
Das IISD, ein unabhängiger Thinktank in Kanada, rechnet nun vor, dass Deutschland 2023 eine Milliarde Euro an öffentlichen Mitteln für internationale fossile Projekte freigegeben hat. Das zeigt nochmals, wie tief sich Deutschland trotz Energiekrise und trotz Fortschritten bei den Erneuerbaren nach wie vor in der fossilen Abhängigkeit befindet.
Bleibt zu erwähnen, dass im Gegensatz zu Deutschland die meisten Unterzeichner – darunter Kanada, Frankreich, Großbritannien und auch die Europäische Investitionsbank – ihr Versprechen gehalten haben. Was sich fast noch überraschender anfühlt.
Fragen: Jörg Staude