Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, die EU-Kommission will das Klimaziel für 2030 von 40 auf 55 Prozent CO2-Einsparung gegenüber 1990 anheben und damit deutlich verschärfen. Sitzen die wahren Klimaschützer wieder einmal nicht in Berlin, sondern in Brüssel?

Matthias Willenbacher: Ein klarer Fall von einem "Jein". Einerseits ist es schon so, dass die Kommission sich zumindest bemüht den Anschein zu erwecken, dass sie die Pariser Klimaschutzziele wirklich ernst nimmt.

Es ist wichtig, dass jemand die zaudernden Mitgliedsstaaten an die Kandare nimmt – zu denen leider auch Deutschland gehört. Man sollte nicht vergessen, dass sich Kanzlerin Merkel nur unter massivem europäischen Druck zum Ziel der Klimaneutralität für 2050 bekannt hat – und das reichlich spät.

Zum anderen sind 55 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 natürlich nicht genug. Mindestens 65 Prozent wären erforderlich und technisch und wirtschaftlich auch machbar.

Hinzu kommt: Sonntagsreden und Zielformulierungen retten das Klima nicht – auf die Maßnahmen kommt es an. Und hier ist es schon sehr irritierend, dass die Kommission zwar nun offiziell eingeräumt hat, dass ein Ziel von 32 Prozent erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch viel zu wenig ist, sich aber vor den Konsequenzen drückt.

Dass 32 Prozent nicht ausreichen, war schon 2016 klar, als der Entwurf der Erneuerbare-Energien-Richtlinie vorgestellt wurde. Die nun vorgeschlagene Zielanpassung auf 40 Prozent ist immer noch wenig ehrgeizig, wenn auch ein Schritt in die richtige Richtung.

Was wir aber brauchen, sind konkrete Vorschläge, wie der Ausbau der Erneuerbaren dynamisiert werden kann. Das geht nur mit dem richtigen Mix aus Anreizen und ordnungspolitischen Vorgaben. Doch die EU-Kommission glänzt hier leider mit kompletter Ideenlosigkeit.

Und schließlich: Natürlich gehört zu einer sinnvollen Klimastrategie nicht nur, CO2-Quellen zu reduzieren, sondern auch, CO2-Senken zu maximieren. Wenn aber die Kommission negative Emissionen nutzen will, um nicht erreichte Reduktionen von vornherein schönzurechnen, dann bedient sie sich wirklich ganz plumper Taschenspielertricks.

Die DIW-Finanzexpertin Franziska Schütz kritisiert in einem Gastbeitrag für Klimareporter° die jüngst aufgelegten grünen Bundesanleihen. Zum einen seien die Auswirkungen auf die Klimaperformance in Deutschland recht begrenzt. Zum anderen fehle ein konkreter Effekt, weil die mit den Anleihen generierten Einnahmen bisher nur in Projekte fließen sollen, die ohnehin im Bundeshaushalt vorgesehen waren. Würden Sie sich trotzdem diese grünen Anleihen zulegen?

Nein, das werde ich bestimmt nicht. Denn Franziska Schütz hat recht. So, wie die Bonds jetzt konstruiert sind, leisten sie aus doppeltem Grund keinen Beitrag zum Klimaschutz. Sie sorgen für keine Zusatzinvestitionen. Und selbst wenn darüber zusätzliche Projekte finanziert würden, würden ihre schmutzigen Zwillinge das, was die grünen Bonds bewirken könnten, gleich wieder zunichtemachen.

Es ist vollkommen absurd: Während in Brüssel unter Hochdruck an einer Taxonomie für Finanzgeschäfte gestrickt wird, die Investitionen in nachhaltige Projekte und Objekte ankurbeln soll, tut die Bundesregierung, als bekäme sie davon nichts mit.

Zum anderen gibt es sehr viele attraktive Investitionsmöglichkeiten, die direkt und garantiert dem Klimaschutz zugutekommen. Auf der Plattform Nachhaltig Investieren, die von meiner 100-Prozent-Erneuerbar-Stiftung unterstützt wird, kann man detailliert und mit vielen Praxisinfos nachlesen, wie grünes Investieren auch für Kleinanleger:innen geht und was am meisten Sinn ergibt.

Eine andere, wirklich tolle Aktion: Das Hamburger Social Business Tomorrow, das als erster europäischer Akteur die beiden großen Themen Mobile-Banking und nachhaltige Finanzen verbindet, startet in Kürze eine Crowd-Investing-Aktion über die Plattform Wiwin. Ab Mitte Oktober können Interessierte zu Investor:innen werden. Tomorrow will so zwei Millionen Euro einsammeln.

Solche Initiativen sind sicherlich sinnvoller als die grünen Anleihen der Bundesregierung, wobei ich aus Gründen der Transparenz hinzufüge: Ich bin sowohl Gesellschafter bei Tomorrow als auch bei Wiwin.

Ein Forschungsteam empfiehlt, die Hälfte der globalen Landmasse unter Naturschutz zu stellen. Menschenrechtsorganisationen haben Einwände. Sie warnen vor der Vertreibung von Millionen Menschen. Ist dieser Konflikt auflösbar?

Klar ist er auflösbar. Das Problem, das die Menschenrechtsorganisationen ansprechen, ist zwar ein reales. Aber es entsteht ja nur, weil man den Naturschutz als Hauruck-Aktion top-down durchführen möchte. Das ist nicht nachhaltig.

Es gibt überall auf der Welt genügend Beispiele, wie Naturschutz dezentral, partizipativ und inklusiv praktiziert werden kann, der dann auch den Menschen vor Ort zugutekommt, und zwar gerade der indigenen Bevölkerung. Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür ist die Autonome Regierung der Wampis in Peru. 

Bottom-up vorzugehen mag auf den ersten Blick komplizierter, kleinteiliger und mühsamer erscheinen. Aber es ist der beste – vielleicht auch der einzige – Weg, um die berechtigten Bedürfnisse der Menschen in Einklang mit der Natur zu bringen.

Ich bin überzeugt: Von der Art, wie die Wampis den Schutz von Amazonien organisieren, kann man viel lernen – auch was den Arten- und Ressourcenschutz in Europa angeht.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Mein Oskar für die Überraschung der Woche geht – einmal mehr – an Peter Altmaier. Er ist sich wirklich für keine Dreistigkeit zu schade.

Der Mann lässt sich freitags für Ideen zum Erreichen der Klimaneutralität feiern, die vollkommen nebulös und absolut substanzlos bleiben. Und montags lässt er seine Fachleute eine EEG-Novelle vorstellen, die viel zu schwache Ausbauziele für die erneuerbaren Energien vorsieht. Da helfen auch nicht einzelne kleine Verbesserungen etwa beim Mieterstrom, der Beteiligung von Kommunen und Bevölkerung oder der Südquote für Windenergie.

Vor allem zwingt das neue EEG kleine Solar-Dachanlagen ab 500 Kilowatt, bald aber auch ab 100 Kilowatt ohne Sinn und Verstand in Ausschreibungen, wodurch die Ausbaudynamik abgewürgt wird. Die positiven Aspekte, die die EU-Richtlinie für erneuerbare Energien gerade zur Stärkung der Prosumer enthält, werden schlichtweg ignoriert.

Nicht, dass ich mir viel von einer EEG-Novelle unter dem Energieminister Altmaier versprochen hätte, aber sich mit Worten so für Klimaneutralität einzusetzen und gleichzeitig mit Taten die erneuerbaren Energien weiter so am Boden zu halten – das ist schon fast bösartig.

Fragen: Jörg Staude

Anzeige