Ein Schlag mittelhoher Nordmanntannen, jede mit einem Plastikstreifen-Anhänger.
Weihnachtsbaumplantage: Merkwürdige alte und neue Bräuche pflegen Mitteleuropäer in der kalten Jahreszeit. (Foto: 4028mdk09/​Wikimedia Commons)

Der Berlin-Brandenburger Sender Radio Eins, Teil des öffentlich-rechtlichen RBB, startete zum Weihnachtsfest etwas Besonderes: das "Albaum". Mehr als ein Dutzend bekannte Musiker und Bands gaben exklusiv einen Song ab für ein Album, wahlweise als CD für 30 oder als Doppel-LP für 40 Euro erhältlich.

"Albaum" heißt das Pop-Album, weil der Sender, wie er auf seiner Website schreibt, damit ein ganz besonderes Klimaschutz-Projekt verfolgt: In Sambia sollen am Ende eine Million Bäume gepflanzt werden, nicht vom Sender selbst, sondern von der belgischen Waldschutzorganisation Weforest, die auch für andere "Partner" wie DHL oder Daimler tätig wird.

Der aufforstende Klimaschutz per "Albaum" ist ziemlich preiswert. Vom Reinerlös der CD sollen 26 Bäume und von dem der Doppel-LP 31 Bäume gepflanzt werden können. Was jeder neue Baum genau kostet, was damit tatsächlich finanziert wird – nur das Anpflanzen oder auch Waldpflege – und ob vielleicht Drittfinanzierer einsteigen, ist bisher von der angefragten RBB-Pressestelle leider nicht zu erfahren.

Näheres in der Richtung wollte auch schon die Welt vom Sender erfahren. Das eher konservative Blatt machte sich aber vor allem Sorgen, dass die ach so gebeutelten Gebührenzahler die Baumaktion am Ende bezahlen müssten. Auch die Märkische Allgemeine stieg auf die Geschichte ein. Nach dem klimapolitischen Sinn des Ganzen fragten die Zeitungen nicht.

Um sein Klimagewissen mit Bäumen zu erleichtern, muss man bei anderen Anbietern deutlich mehr berappen als beim RBB-Sender. So konnte man beim Waldbauverein Naturefund zu Weihnachten neue Bäume in Costa Rica verschenken – für sechs Euro pro Baum, wie Naturefund auf seiner Website wirbt. Das umgerechnet müsste das "Albaum" schlappe 150 Euro kosten.

Wer bei Naturefund dem Beschenkten noch eine "wunderschöne" Geschenkurkunde als Nachweis der guten Tat zukommen lassen will, muss nochmal 2,50 Euro drauflegen. Ob das Papier für die Urkunde aus dem Holz früher gepflanzter Bäume gemacht ist, schreibt Naturefund leider nicht.

Gar nicht klimafreundlich

Bei Radio Eins liefen jedenfalls bis zum Jahresanfang 2020 so viele Bestellungen für die Albaum-CD oder -Doppel-LP ein, dass damit rund 180.000 Bäume gepflanzt werden können.*

Mal angenommen, die Hälfte der Besteller nimmt die Doppel-LP, dann wären das etwa 2.900 Alben, von denen nach Senderangaben jedes 250 Gramm wiegt. So summiert sich das Material schon mal auf runde 750 Kilogramm "Vinyl", die freakige Verkürzung des Kunststoffs Polyvinylchlorid (PVC), aus dem die schwarzen Scheiben bestehen.

Nimmt man die Angaben aus dem letzten Plastikatlas des Umweltverbandes BUND, dann war der weltweite PVC-Einsatz im Jahr 2015 für etwa 100 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verantwortlich. Im selben Jahr lag laut einer Marktstudie der globale PVC-Bedarf bei rund 42 Millionen Tonnen. Offenbar ist die Annahme nicht ganz falsch, dass für jede Tonne PVC, die für irgendwelche Produkte hergestellt und verarbeitet wird, rund 2,5 Tonnen CO2 frei werden.

Zum Vergleich: Bei der Braunkohleverstromung wird pro Tonne eingesetzter Kohle "nur" etwas mehr als eine Tonne CO2 freigesetzt. Der Stoff, aus dem ein Teil der "Albaum"-Auflage gemacht wird, ist offensichtlich klimaschmutziger als Braunkohle. Bäumchen, Bäumchen, schütze mich vor solchen Klimaprojekten.

Wer nun abwiegelt, dass die meisten Käufer sich wohl für eine CD entscheiden würden: Auch die kleineren Scheiben bestehen aus Plastik, in diesem Fall aus Polycarbonat, das in seinem Lebenszyklus die Klimagase CO2 und Methan freisetzt. In der Regel steckt die CD in einer Hülle aus Vinyl, also wieder PVC.

Und dabei sind beim "Albaum" noch nicht einmal die Emissionen aus Verpackung, Versand und Zustellung einberechnet. Etwas klimafreundlicher downloaden kann man die Musik bisher jedenfalls nicht.

Fürs Gewissen gibt es bessere Ideen

Gegen das Verschenken vieler neuer Bäume ist im Kern natürlich nichts einzuwenden. Die sind gut für die Biodiversität und das Mikroklima und sparen nach ein paar Jahren des Wachsens auch netto Emissionen ein.

Wer zu Weihnachten aber wirklich etwas für sein Klimagewissen tun will, sollte grün-hippe Produktversprechen links liegen lassen und sich eher verpflichten, im nächsten Jahr keine Inlandsflüge zu machen oder die Fahrleistung seines Autos zu halbieren, oder regionalen Ökostrom bestellen.

Zugutehalten kann man dem Sender, dass er die Aktion mit Interviews wie mit der Musikerin Dota Kehr verbindet, die sich im Radio schon mal Gedanken über den Sinn von Klimaschutz in kapitalistischen Wachstumsgesellschaften macht.

Da hätte die PR-Abteilung des Senders mal besser zuhören sollen. Im Moment ist der Klimaschutz per "Albaum" nicht viel mehr als ein Zugabe-Gimmick fürs gute Gewissen.

Ach ja, gestartet hatte der Sender die Aktion übrigens mit dem Versprechen, für jeden Retweet auf Twitter einen Baum zu pflanzen. Wäre es doch dabei geblieben.

* Der Beitrag wurde am 2. Januar aktualisiert. Der Sender Radio Eins hat darauf hingewiesen, dass auf der Homepage jeweils die Zahl der durch die Aktion künftig gepflanzten Bäume und nicht die Zahl der bestellten CDs oder Doppel-LPs aufgeführt ist.

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