Nur bei Flaute möglich: Schwimmen im offenen Atlantik. (Bild: Kathrin Henneberger)

Sobald wir in Teneriffa anlegten und es an Bord nichts mehr zu tun gab, machte ich mich auf in die Berge, zu den Nebelwäldern.

Lorbeerbäume, von denen Flechten und Moose herabhängen, nehmen hier die kleinen Wassertropfen der Wolken auf und vermitteln das Gefühl, durch einen verwunschenen Märchenwald zu streifen.

Alle paar hundert Meter verändert sich das Ökosystem, je nachdem, auf welcher Seite der Insel und in welcher Höhe ich wandere. Mal sprießt smaragdgrüner Adlerfarn, mal säumen Kakteen mit reifen Früchten und Agaven den Weg.

Allein zu sein, nicht auf begrenztem Raum zu leben, sondern kilometerweit laufen zu können, über Steinhänge zu klettern und auf schmalen Pfaden unter dichtes Gebüsch huschen zu können – es überrascht mich selbst, wie sehr ich das vermisst habe. Und ich frage mich, wie andere es aushalten, so viel länger auf See zu sein.

Am nächsten Tag folgt mir jedoch der Nautiker Jasper von Bord in die Berge. Wir machen uns gemeinsam an den Aufstieg – die Vulkanlandschaft zu zweit zu erkunden, ist dann doch lustiger.

Mein gewähltes Ziel – an Land bestimme ich den Kurs – ist ein schwarzer Vulkanstrand. Der Glimmer in den Gesteinen mischt ein Glitzern dazu. Wie schön und voller Wunder ist bitte unsere Erde?

Trinkwasser spendende Feuchtgebiete sind unter Druck

Und wie absurd ist es, dass die Menschheit – statt diesen Reichtum zu genießen – ein Wirtschaftssystem erdacht hat, das alles unternimmt, um ihn zu zerstören. Das die Weltmeere mit Plastik volllaufen und versauern lässt und und Ökosysteme im Meer wie an Land so unter Stress setzt, dass sie beginnen zu kollabieren.

Neben der Klimakrise erlebt die Menschheit eine Biodiversitätskrise – beide sind eng miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig. Tier- und Pflanzenarten sterben unwiderruflich aus, ganze Naturlandschaften befinden sich im Wandel und können mit den schnellen klimatischen Veränderungen und dem starken Biotopverlust nicht mithalten.

Das Ökosystem der Nebelwälder auf Teneriffa erinnert mich entfernt an die Hochmoore in den Anden nahe Bogotá. Auch dort hat sich die Vegetation darauf spezialisiert, die Wassertröpfchen der Wolken einzufangen – so viel, dass Seen und Feuchtgebiete entstanden sind, aus denen die Stauseen der kolumbianischen Hauptstadt gespeist werden.

Páramo wird dieses Hochlandfeuchtgebiet genannt. Es liefert 80 Prozent des Trinkwassers der Stadt Bogotá, in der etwa zehn Millionen Menschen leben. Landesweit stammen in Kolumbien 70 Prozent des Trinkwassers aus solchen Feuchtgebieten.

Aufgrund der Klimakrise verändern sich jedoch auch dort die Niederschlagsmengen. Im vergangenen Jahr erreichten die Staudämme von Bogotá historisch niedrige Pegelstände. Die Stadtverwaltung sah sich gezwungen, Trinkwasser zu rationieren.

Frauen wie Susana Muhamad kämpfen für Umweltgerechtigkeit

Der Schutz der Páramos liegt nicht allein in der Verantwortung regionaler Behörden. Hauptursache der Bedrohung für die Feuchtgebiete in den Anden sind die globalen Treibhausgasemissionen. Deshalb ist die Bereitstellung von Klima- und Biodiversitätsfinanzierung in der bilateralen Zusammenarbeit mit Kolumbien sowie über globale Fonds so wichtig.

Auch Mittel aus dem deutschen Bundeshaushalt werden dafür bereitgestellt. Hier für ausreichende Finanzierung zu sorgen, war auch Teil meiner Aufgabe als Abgeordnete im Bundestag. In den Haushaltsverhandlungen wurde umgeschichtet: Wir lenkten in den ersten zwei Jahren der Ampel-Regierung Hunderte Millionen Euro gezielt in diese globale Klima- und Biodiversitätsfinanzierung.

Bild: privat

Kathrin Henneberger

ist Klimaaktivistin und ehemalige Bundes­tags­abgeordnete der Grünen und engagiert sich seit vielen Jahren in der Klima­gerechtigkeits­bewegung. Als Teil der "Flotilla 4 Change" schreibt sie für Klima­reporter° eine Gast­beitrags-Serie auf dem Weg zur Klima­konferenz COP 30 in Brasilien sowie vom Gipfel selbst.

Auf einer Dienstreise nach Kolumbien im vergangenen Jahr – als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und in der Grünen-Fraktion zuständig für Entwicklungsfinanzierung – traf ich neben der Umweltsekretärin der Stadt Bogotá auch die damalige kolumbianische Umweltministerin und nun angehende Präsidentschaftskandidatin Susana Muhamad.

Es war das dritte Mal, dass wir uns sahen. Die Liste unserer Themen war lang: Ende der Öl- und Gas-Exploration im Amazonasgebiet, Schließung der Steinkohletagebaue im Norden Kolumbiens, illegaler Goldabbau und neue Kupferminen in indigenen Territorien, notwendige Finanzierung globaler Fonds.

Schnell waren wir uns einig, welche Initiativen wir zum Beispiel vor den Klimakonferenzen starten sollten und welche Fonds wir uns genauer anschauen müssten, weil die Gelder am Ende – wie beim Schutz der Trinkwasser spendenden Páramos – über das sichere Leben von Millionen Menschen entscheiden.

Auch das liegt in der Verantwortung von Bundestagsabgeordneten im Themenfeld globale Gerechtigkeit – weniger sichtbar als fetzige Tiktok-Videos und hart attackiert von rechts außen, aber nicht weniger effektiv darin, die Welt zu verändern. Nur leider – oder gerade deshalb – inzwischen abgewählt (ein wenig Galgenhumor darf schon sein).

Indigene Gemeinschaften sind stark bedroht

Kolumbien liegt wie sein Nachbarland Brasilien teilweise im Amazonasbecken. Entwaldung, Extraktivismus und die Macht der Agrarindustrie prägen die Entwicklung. Obwohl der Amazonaswald aufgrund der Klimakrise zur Savanne zu werden droht, schreitet der Raubbau weiter fort.

Territorien indigener Gemeinschaften sind weltweit die Flächen mit der höchsten Biodiversität und gleichzeitig wichtige CO2-Senken. Doch wenn sich indigene und traditionelle Gemeinden für ihre Rechte einsetzen, werden ihre Vertreter:innen massiv bedroht. Sie müssen damit rechnen, für ihre Arbeit ermordet zu werden.

Auch hier sind es besonders Frauen, die den Drohungen trotzen und aktiv Politik gestalten. Célia Xakriabá und Sônia Guajajara vertreten die indigene Bevölkerung im brasilianischen Kongress. Sônia Guajajara ist zudem die erste indigene Ministerin im Kabinett von Präsident Lula.

Beide traf ich erstmals auf dem Weltklimagipfel 2022 in Sharm el-Sheikh. Es entstand eine enge Zusammenarbeit. Célia lud mich ein, gemeinsam "The Planet Caucus" zu gründen, eine Gruppe von Abgeordneten verschiedener Länder, die sich für ein Ende des Raubbaus und für Menschen- und Umweltrechte einsetzen.

In Abstimmung mit ihr schickten wir aus Europa Protestbriefe gegen das Gesetz "Marco Temporal", das die Ausweisung neuer indigener Territorien in Brasilien extrem erschwert oder unmöglich macht. Und immer wieder stritten wir gemeinsam gegen das Freihandelsabkommen Mercosur, inklusive Beschlusslagen, die auf Grünen-Parteitagen ausgefochten wurden.

Auf meiner Reise nach Brasilien schreibe ich ihr nun, unsicher, ob ich nach meinem Ausscheiden aus dem Bundestag als einfache Klimaaktivistin aus dem Rheinland noch nützlich sein kann. Doch Célia antwortet sofort, voller Freude über unsere Anreise.

In Belém wollen wir wieder gemeinsam in Aktion treten. Am Ende spielen Titel und Ämter keine Rolle – was zählt, ist der Wille, für eine Welt zu kämpfen, die koloniale Ausbeutung ebenso beendet wie patriarchale Machtstrukturen und bedingungslos für Menschenrechte und den Schutz der Lebensgrundlagen einsteht.

Die "Flotilla 4 Change" formiert sich

Noch haben wir Teneriffa nicht verlassen, doch so schnell wie möglich müssen wir über Kap Verde – unseren letzten Stopp – den Atlantik überqueren. Am Tag vor der Abreise treffe ich Ruth und Karina, die auf dem Segelschiff "Sababa" mitfahren.

Seit Wochen stehen wir in Kontakt, um die Öffentlichkeitsarbeit der "Flotilla 4 Change" zu organisieren. Heute sehen wir uns zum ersten Mal persönlich – und natürlich wird erst einmal ordentlich der erste und letzte gemeinsame Abend gefeiert.

Jeder Tag an Bord ist anders. (Bild: Kathrin Henneberger)

Die "Sababa" ist von Neuseeland aus aufgebrochen, um Aktivist:innen aus verschiedenen Weltregionen einzusammeln und gemeinsam mit der Flotilla über den Atlantik zu segeln. Mittlerweile gehören sechs Segelschiffe zur "Flotilla 4 Change", und weitere – etwas freier organisiert – sind ebenfalls auf dem Weg.

Am Dienstagmorgen heißt es auch für uns: Leinen los. Die "Sababa" ist kleiner als unser Schiff und flitzt schon bei geringer Windstärke. Sie umkreist uns frech, zieht dann schnell an uns vorbei und die Besatzung winkt ein letztes Mal.

Ich klettere schnell ins Rigg, setze mich auf den Hauptmast – mein liebster Ort – und schaue der "Sababa" nach, bis ihre blau-weißen Segel am Horizont verschwinden.

Leider haben wir diesmal weniger Glück mit dem Wind. Nur langsam kommen wir voran, und einen Tag später geraten wir in eine Flaute und dümpeln fast reglos auf spiegelglatter See.

Eine große Gruppe Kleiner Schwertwale besucht uns, springt immer wieder neben dem Schiff aus dem Wasser, bis die false killer whales das Interesse verlieren und weiterziehen.

Wir nutzen die stille Zeit für kleine Reparaturen, weitere Sicherheitstrainings – und zum Schwimmen. Unter uns: rund 3.500 Meter Meerestiefe. Das Wasser glänzt in einem atemberaubenden Azurblau, und es fällt schwer, das kühle Nass zu verlassen und wieder an Deck zu klettern.

Aus der Zeit gefallen und absolut unnötig: Kreuzfahrtschiffe

Unsere Ungeduld steigt. Schließlich wollen wir vorankommen. Der Wind attackiert uns, weht uns entgegen. Unterschiedliche Segelstellungen werden erprobt, meine Nachtschicht verbringe ich hauptsächlich mit dem Wenden von Haupt- und Schonersegel.

Statt nach Kurs fahren wir jetzt nach dem Wind, um überhaupt voranzukommen. Das bedeutet: beim Steuern genau darauf zu achten, wohin unsere kleine Regenbogenfahne am Hauptmast weht. Das ist in der Dunkelheit manchmal schwer zu erkennen.

In der Nacht zieht ein riesiges Kreuzfahrtschiff an uns vorbei. An Bord scheint eine Party zu laufen – inklusive Lasershow, die den Sternenhimmel überstrahlt. Bei mir regt sich der innere Drang, Piratin zu werden, das Schiff zu kapern und ihnen den Rum zu stehlen. Es ist ein bizarrer Anblick – und ein harter Gegensatz zu der Art, wie wir den Atlantik überqueren.

Reisen mit fossilen Kreuzfahrtschiffen liegen seit der Corona-Pandemie leider wieder im Trend. Laut einem Bericht der Organisation Transport & Environment aus dem vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Kreuzfahrtschiffe seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt – von 222 auf 515.

2022 verursachten Kreuzfahrtschiffe allein in europäischen Gewässern so viel CO2 wie 50.000 Flüge zwischen Paris und New York. Hinzu kommt die Verschmutzung der Meere durch ungeklärte Abwässer.

Die Umweltorganisation Friends of the Earth warnt: Ohne unabhängige Kontrollen und klare internationale Vereinbarungen wird die Verschmutzung der Ozeane durch Kreuzfahrtschiffe weiter zunehmen – mit dramatischen Folgen für Meerestiere und Ökosysteme.

Alle Segel setzen – auf nach Belém

Ich gehe zurück in die Küche. Der Tisch dort ist zur Hälfte in ein Büro der Klimaaktivistis verwandelt worden und wird zur anderen Hälfte gerade genutzt, um Brot zu backen.

Ich klappe meinen Laptop auf und beginne diesen Artikel zu schreiben – bis ich wieder ans Steuer muss. Jeder Tag, jede Nacht, jede Wache auf See ist anders. Manchmal kommen wir kaum hinterher mit dem Ordnen der Segel und dem Organisieren des Lebens an Bord.

Aber wenn nachts nichts passiert, bleibt Zeit, neue Sternbilder zu lernen. Je weiter wir nach Süden segeln, desto mehr verschwinden die aus Mitteleuropa bekannten hinter dem dunklen Horizont.

Die Wellen beginnen sich zu kräuseln, die Windstärke nimmt zu. Haupt- und Schonersegel werden in Schmetterlingsstellung gebracht – eins nach Backbord, eins nach Steuerbord. "Sheet in!", lautet dann der Ruf. Sheet ist auf Deutsch die Schot – das Seil, mit dem das Segel eingestellt wird.

Im Osten liegt jetzt die Küste von Westsahara, im Westen wartet der Atlantik auf uns. Eine Meldung erreicht uns: Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre hat mit fast 424 ppm einen neuen Höchststand erreicht – während die Bundesregierung das europäische Klimaziel – 90 Prozent CO2-Reduktion bis 2040 – schreddern will.

 

Höchste Zeit, dass sich die Flotilla wieder in Bewegung setzt. Jasper entscheidet, zusätzlich die Toppsegel zu setzen. "Ready on the Top Sail Halyard? Ready on the Sheets?", schallt sein Ruf über Deck.

"Ready!" antwortet die Crew. Das kleinere Segel wird nach oben gezogen und spannt sich über das Hauptsegel. Wir fangen jetzt noch mehr Wind – und werden schneller.