Klimareporter°: Herr Schwarze, vor dem Weltklimagipfel in Glasgow schwanken die Erwartungen zwischen der Hoffnung, die Ambitionen der Staaten werden so weit steigen, dass die Welt dem 1,5-Grad-Ziel nahe kommt, und der Angst, dass die CO2-Emissionen in den nächsten Jahren nahezu ungebremst weiter steigen. Was erwarten Sie von Glasgow?
Reimund Schwarze: Im Vorfeld dieser Konferenz gab es vielversprechende Zusagen der internationalen Staatengemeinschaft zu mehr Klimaschutz bis 2050. Diese finden sich leider noch nicht in den konkreten nationalen Verpflichtungen wieder, die die Länder mit Blick auf 2030 abgegeben haben. Die große Lücke, die bei der CO2-Reduktion zwischen den Bekenntnissen und dem wirklichen politischen Handeln liegt, wird das bestimmende Thema in Glasgow sein.
Allerdings erwarte ich in dieser Frage keine großen Fortschritte, weil auf dem Gipfel keine konkreten Verhandlungen für eine solche globale Bestandsaufnahme vorgesehen sind. Das wird nach UN-Fahrplan erst 2023 geschehen. In Glasgow geht es eher um den Auftritt auf der großen politischen Bühne.
Zuletzt gab es eher weniger gute Botschaften beim globalen Klimaschutz. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre erreichte einen neuen Rekord und nach aktuellen Prognosen werden die Länder 2030 mindestens doppelt so viel Treibhausgase emittieren, wie mit dem 1,5-Grad-Ziel erlaubt wäre.
Kein Zweifel: Durch die Pandemie ist wertvolle Zeit verloren gegangen und die Länder haben diese auch nicht im Sinne des Klimaschutzes genutzt. Ehrlich gesagt, ist gar nichts besser geworden. Die CO2-Emissionen steigen wie vor Corona. Wirtschaftlich gilt weltweit business as usual.
Zwar haben sich viele Länder, darunter auch große Emittenten, langfristig zu Klimaneutralität verpflichtet. Hier ist die Lage tatsächlich so gut wie nie zuvor. Dem entsprechen aber die kurzfristigen Ziele in keinster Weise. Wenn diese Diskrepanz nicht bald abgebaut wird, kann die Lage kritisch werden. Hier muss nicht nur "nach Fahrplan" geliefert werden.
Wann würde der Weltklimagipfel für Sie ein Erfolg sein und wann eher eine vertane Chance?
Die entscheidende Frage ist wie immer: Funktioniert der weltweite Prozess noch, bei dem unter dem Dach der Vereinten Nationen 200 Länder Klimaschutz betreiben? Dieser Prozess ist schwer gestört durch die Pandemie und deren Folgen, aber eben auch durch ein vielfaches Versagen der Staatengemeinschaft.
Reimund Schwarze
ist Professor für Internationale Umweltökonomie an der Frankfurter Viadrina, Forscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ in Leipzig und Berater von Klimareporter°.
Das betrifft nicht nur die Präsenz der globalen Klimagemeinschaft in Glasgow, sondern auch den unbedingt nötigen Abschluss der Verhandlungen um das Paris-Regelwerk. Da haben uns die Zwischenkonferenzen praktisch keinen Schritt vorangebracht. Die Probleme sind hier die gleichen wie vor drei Jahren.
Das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann, ist, dass sich so etwas wiederholt wie der "Walk-out" der zivilgesellschaftlichen Organisationen beim Klimagipfel in Warschau 2013 oder ihr zeitweiliger Ausschluss in Madrid 2019. Das wäre schwer erträglich, weil der UN-Verhandlungsprozess die Zivilgesellschaft genauso braucht wie die Klimabewegung die Verhandlungen. Vereinfacht: Ohne Paris-Abkommen kein Fridays for Future und umgekehrt.
Insofern muss der UN-Prozess jetzt revitalisiert werden. Ob das gelingt, entscheidet für mich über Erfolg oder Misserfolg des Klimagipfels.
Konkret verhandelt wird in Glasgow vor allem um den Artikel 6 des Paris-Abkommens, den letzten großen offenen Punkt von Paris. Er soll unter anderem ermöglichen, dass Emissionsminderungen zwischen Staaten übertragen werden können, die auf nationale Klimaschutzziele anrechenbar sind. Viele befürchten hier, dass am Ende vor allem Emissionen auf dem Papier, aber nicht real eingespart werden.
Das Regelwerk des Paris-Abkommens muss in Glasgow endlich unter Dach und Fach gebracht werden. Das ist eine scheinbar kleine, sehr konkret definierte Sache, die aber unbedingt erledigt werden muss.
Die Einigung über den Artikel 6 muss dabei so aussehen, dass ein Missbrauch verhindert wird. Länder wie Mexiko oder Brasilien, die ihre Bezugsgrößen bei den CO2-Emissionen schönrechnen wollen, müssen gestoppt werden. Es gibt leider Signale, dass einzelne Länder dem nachgeben wollen. Wenn das in den Vertrag Eingang finden sollte, wird es schwierig.
Ein weiteres zentrales Thema ist, dass die reichen Länder ihre Zusage, ärmeren Staaten jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz und Klimaanpassung zur Verfügung zu stellen, nicht wie versprochen schon heute, sondern erst 2023 einhalten wollen. Was muss der Gipfel hier leisten?
In der Hauptsache geht es darum, dass die Industrieländer die zugesagten Finanzmittel erkennbar aufbringen, dauerhaft auch für die Zeit nach 2025 verstetigen wollen und auch die Bedürfnisse der Entwicklungsländer dabei berücksichtigen. Es geht also nicht um die einmalige diesjährige Zielerreichung.
COP 26 in Glasgow
Nach 25 UN-Konferenzen gibt es noch immer keine Lösung für die Klimakrise, aber wenigstens das Pariser Klimaabkommen. Wie gut es funktioniert, wird sich beim 26. Gipfel in Glasgow zeigen. Ein Team von Klimareporter° ist vor Ort in Schottland und berichtet mehrmals täglich.
Die Entwicklungsländer haben zudem bestimmte Vorstellungen, wozu sie die Gelder einsetzen wollen. Ihnen geht es um ein ausbalanciertes Verhältnis von Klimaanpassung und Klimaschutz über einen längeren Zeitraum.
Im Glasgow muss der Ausgleich mit den Entwicklungsländern gelingen. Das wäre ein echter Erfolg aus diesen Verhandlungen, eine Vertagung wäre ein Misserfolg.
Was macht ein Wissenschaftler wie Sie beim Gipfel – doch nicht verhandeln?
Ich bin als wissenschaftlicher Beobachter dort, trete gewissermaßen als "Lobbyist" der Wissenschaft auf und dränge darauf, dass wissenschaftliche Argumente in den internationalen Entscheidungsprozessen hinreichend gehört werden. Außerdem studiere ich die Prozesse aus Sicht der internationalen Politikwissenschaft.