Die Frage gehört zu den Knackpunkten der laufenden Abschlussverhandlungen auf dem Klimagipfel in Katowice: Wie ist Artikel 6 des Paris-Abkommens genau anzuwenden? Es geht um die Gestaltung von Emissionsmärkten. Der Artikel 6 hat allerdings auch am Rande des Verhandlungsparketts einen Streit hervorgerufen: Ist es in Ordnung, dass Öl-, Kohle- und Gaskonzerne Zugang zur Konferenz haben?
Anlass waren Aussagen von David Hone vom Ölkonzern Shell auf einer Veranstaltung der Internationalen Emissionshandelsgesellschaft IETA in Katowice. Die IETA ist eine Lobbyorganisation für Unternehmen, die Ordnungsrecht für den Klimaschutz verhindern und Marktinstrumente fördern wollen – wie Shell.
Hone brüstete sich damit, dass die IETA den Artikel 6 des Pariser Weltklimaabkommens im Grunde geschrieben habe, wie zuerst das US-Magazin The Intercept berichtete. "Wir haben uns vier Jahre lang dafür eingesetzt, dass ein Emissionshandel Teil des Paris-Abkommens sein muss", sagte Hone demnach in Katowice. "Wir können es uns also zum guten Teil zurechnen, dass es Artikel 6 überhaupt gibt."
Schummelnde Spieler oder Teil der Lösung?
Ein Skandal für manche Klimaschützer. "Genau das ist der Grund dafür, dass wir eine Regelung zur Vermeidung von Interessenkonflikten bei den Klimaverhandlungen brauchen", sagt Sriram Madhusoodanan von der lobbykritischen US-Organisation Corporate Accountability. "Fossile Unternehmen können nur Interesse am Ausbremsen von Klimaschutz haben, und das steht dem Anliegen dieses UN-Prozesses logischerweise entgegen", meint Madhusoodanan.
Er fordert: Wer mit klimaschädlichen Tätigkeiten Geld verdient, sollte von den Klimakonferenzen ausgeschlossen werden. Wer Geld im Spiel hat, darf nicht die Spielregeln schreiben, so die Idee.
Nicht alle sehen das so. Das UN-Klimasekretariat argumentiert beispielsweise gern, dass alle – und damit auch Unternehmen – Teil der Lösung sein müssen.
Organisationen wie Corporate Accountability haben das Thema in einem Strang der Verhandlungen aufgeworfen, in dem es um die bessere Beteiligung nichtstaatlicher Gruppen bei den Klimaverhandlungen geht. Eine feste Regelung, um klimaschädliche Unternehmen tatsächlich auszuschließen, dürfte allerdings kaum verhandelbar sein.
Gut und Böse ist beim Klimaschutz nicht immer leicht zu trennen. Zum Beispiel bei den negativen Emissionen, dem Entziehen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Vielen Klimaschützern sind solche Technologien ein Dorn im Auge. Sie kritisieren, dass Staaten sie als Ausrede benutzen würden, um ihren Treibhausgas-Ausstoß nicht zu reduzieren. Lange hätten Umweltorganisationen entsprechende Unternehmen deshalb sicher gern auf einer schwarzen Liste gesehen.
Dass negative Emissionen künftig eine Rolle spielen müssen, auch wenn die Technologien teils als riskant und noch unerprobt gelten, ist aber spätestens seit dem 1,5-Grad-Bericht des Weltklimarats vom Oktober klar. "Welches Kriterium kann solche Entwicklungen fassen?", wirft Reimund Schwarze vom Umweltforschungszentrum Leipzig auf. "Dann müsste vielleicht jedes Jahr neu entschieden werden, wer zugelassen wird und wer nicht."
"Interessenkonflikte werden immer besser kaschiert"
Dem Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber von der Freien Universität Berlin zufolge führt das Interessengemenge aber tatsächlich zu schwachen Ergebnissen, wie es Corporate Accountability kritisiert.
Der kollektive Geist des Paris-Abkommens hat demnach seinen Preis: Wenn alle – Regierungen, Umweltorganisationen, Städte, Unternehmen, Universitäten – durch die Teilnahme an Formaten wie dem Talanoa-Dialog irgendwie Klimaschützer sind, verschleiert das die unterschiedlichen Interessen.
Die Konflikte würden "immer besser kaschiert", meint Brunnengräber. "Auch noch so geringe Ergebnisse werden in Verbindung mit der Dringlichkeit, auf den Klimawandel reagieren zu müssen, von der Klimadiplomatie sehr gut 'verkauft'", analysiert der Wissenschaftler. Sprich: Es wird lieber mit allen zusammen irgendetwas beschlossen als gar nichts.
Er plädiert dafür, die Interessen besser sichtbar zu machen. Unternehmen treten auf den Gipfeln nämlich kaum als solche auf, sondern haben private Denkfabriken, Institute oder sonstige Gesellschaften gegründet, die die Vereinten Nationen formal als zivilgesellschaftliche Prozessbeobachter einordnen. Lobbyschwergewichte wie die IETA und die World Coal Association haben so denselben Beobachterstatus wie die Umweltschützer von Greenpeace.
Weil Unternehmen aber Profitinteressen und nicht das Gemeinwohl vertreten, ist für Politikwissenschaftler Brunnengräber klar, dass sie nicht in einen Topf mit Umweltorganisationen gehören. "Eine solche Undifferenziertheit hilft der Bürokratie, aber weder der Gesellschaft noch der Wissenschaft", so Brunnengräber. "Unternehmen gehören nicht zur Zivilgesellschaft, sondern zur Privatwirtschaft."
Alle Beiträge zur Klimakonferenz COP 24 in Polen finden Sie in unserem Katowice-Dossier