Eine Menschentraube drängt sich um Luiz Inácio Lula da Silva, den designierten brasilianischen Präsidenten, als er zum Podium schreitet. Während seiner Rede bricht die Menge immer wieder in Jubel und Lula-Gesänge aus.
Er wolle den Kampf gegen Klimawandel, Hunger und Armut wieder zur Priorität in Brasilien machen, erklärt Lula am Mittwoch mit Nachdruck auf dem UN-Klimagipfel COP 27 in Sharm el-Sheikh. Unter ihm soll kein einziger Quadratmeter Regenwald abgeholzt werden, verspricht er. "Brazil is back."
Lula hat am 30. Oktober die Wahlen gegen den amtierenden rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro gewonnen. Von diesem übernimmt er aber erst Anfang nächsten Jahres offiziell das Amt und ist deshalb nicht als offizieller Vertreter Brasiliens auf der COP.
Aber schon das sendet ein Zeichen. Während Bolsonaro der letzten Konferenz in Glasgow fernblieb, um stattdessen die Ehrenbürger-Urkunde eines kleinen italienischen Dorfes, aus dem sein Urgroßvater stammte, persönlich entgegenzunehmen, betont Lula schon vor Amtsantritt die Bedeutung des Klimagipfels.
Abholzung verursacht Hälfte der Emissionen
Auch sonst kündigt der 77-Jährige eine komplette Kehrtwende zur Politik seines Vorgängers an. Unter Bolsonaro nahm der Kahlschlag am Amazonas massiv zu. In den letzten vier Jahren schrumpfte der brasilianische Regenwald um die Fläche der Schweiz.
Der Wald rückte dadurch in den letzten Jahren immer näher an seinen Kipppunkt. Also den Punkt, an dem das Ökosystem sich nicht mehr selbst erhalten kann und der Verlust eines Großteils des Regenwaldes unvermeidbar ist. Mit dramatischen Folgen für das Klima weltweit.
Der Amazonaswald liegt zu 60 Prozent in Brasilien und nimmt große Mengen an Treibhausgasen auf. Damit bremst er die Erderwärmung. Bäume, die verrotten oder verbrannt werden, produzieren hingegen Treibhausgase.
Etwa die Hälfte aller Emissionen Brasiliens geht auf Regenwaldzerstörung zurück. Schon während seiner ersten Amtszeit von 2003 bis 2011 schaffte es Lula, die Abholzung deutlich zu reduzieren.
Für ihn ist der Klimaschutz untrennbar mit dem Kampf gegen Hunger und Armut verbunden. Man müsse die Natur als Verbündeten und nicht als Feind begreifen, erklärt Lula. Dazu möchte er auch von den Praktiken der indigenen Bevölkerung lernen und plant ein entsprechendes Indigenen-Ministerium. "Wir müssen keinen einzigen Quadratmeter abholzen, um einer der größten Nahrungsmittelproduzenten der Welt zu sein."
Nachhaltige Waldnutzung ist möglich
Ein Konzept, mit dem das gelingen kann, hat das World Resource Institut (WRI) vorgeschlagen: bioeconomics, Bioökonomie. Für den Begriff schwirren alle möglichen Definitionen herum. Meist wird unter Bioökonomie eine Art nachhaltige Wirtschaft verstanden, die auf nachwachsenden Rohstoffen beruht.
Das WRI beschäftigt sich damit, wie so ein Ansatz am Amazonas aussehen könnte. "Bioökonomie sollte als Möglichkeit verstanden werden, mit der die Biodiversität in Amazonien gestärkt wird, während sie Wohlstand für die Menschen bringt", sagt Carolina Genin, Klimachefin von WRI Brasilien.
Er gibt, laut WRI, drei wesentliche Elemente der Bioökonomie. Das erste ist der Schutz und Wiederaufbau des Regenwaldes. Das bedeutet nicht, dass die geschützten Waldgebiete nicht bewirtschaftet werden können. Es gebe diverse Anbautechniken und Tierhaltungsformen, die dem Ökosystem nicht schaden. Dazu könne man auf Erfahrungen indigener Gemeinschaften zurückgreifen.
Das zweite Element ist die Verschärfung und strengere Durchsetzung des Waldnutzungsrechts. Bis zu 98 Prozent der Regenwaldabholzung in Brasilien verstoßen gegen geltendes Recht. Zudem sind private Waldbesitzer:innen gesetzlich verpflichtet, mindestens 80 Prozent ihres Waldes zu erhalten. Geahndet wurden Verstöße dagegen allerdings nur selten.
Schließlich das dritte Element: auf die lokale Bevölkerung hören. Schon heute praktizieren viele Menschen im Amazonaswald nachhaltigen Anbau. Ein Beispiel ist Cooperacre. Die Genossenschaft in Rio Branco im westlichen Bundesstaat Acre erntet Kautschuk, Paranüsse und verschiedene Früchte aus nachhaltigem Anbau. Es gibt also bereits einige Beispiele, wo lokale Formen der Bioökonomie angewendet werden und funktionieren.
COP 30 im Regenwald?
Ebenso wie das jubelnde Publikum in Sharm el-Sheikh setzt auch WRI-Direktorin Genin große Hoffnungen in Lula. "Lula erkennt voll und ganz die Dringlichkeit der Klimakrise sowie die enorme wirtschaftliche Chance, die landwirtschaftliche Produktion in Brasilien zu verdoppeln, ohne einen einzigen Baum im Amazonas-Regenwald zu fällen."
Lula erklärt außerdem, die Zusammenarbeit mit Indonesien und dem Kongo stärken zu wollen. In den drei Ländern liegt der Großteil des weltweiten Regenwaldvorkommens. "Wir werden gemeinsam für einen Schutz unserer Wälder und damit gegen den Klimawandel kämpfen", sagt Lula bei seinem Auftritt.
COP 27 in Sharm el‑Sheikh
Bei der 27. UN-Klimakonferenz in Sharm el‑Sheikh geht es um die Zukunft des globalen Klimaschutzes. Ein Team von Klimareporter° ist vor Ort in Ägypten und berichtet mehrmals täglich.Und dann setzt er noch einen drauf. Er wolle die COP 30, also den Klimagipfel 2025, im brasilianischen Amazonasgebiet ausrichten. Auch das ist bezeichnend. Bereits 2019 hätte die COP in Brasilien stattfinden sollen. Nach der Wahl von Bolsonaro zog dieser die Kandidatur aber zurück.
Er wolle, sagte Lula, dass die Weltgemeinschaft die Situation am Amazonas erlebe. Denn Brasilien wird auf finanzielle Hilfen angewiesen sein, um den Schutz des Regenwaldes wirklich gewährleisten zu können.
Die nächsten Jahre werden zeigen, wie gut Lula all seine Pläne umsetzen kann. Allein wird auch er den Klimawandel nicht aufhalten können. Für die Stimmung auf der COP 27 war seine entschlossene Rede dennoch wichtig. Und wer weiß, vielleicht findet sie sogar einen Weg in die nun anstehenden Abschlussverhandlungen des Klimagipfels.