Diana Ürge-Vorsatz erforscht unter anderem die Wirkung von Städten auf das Klima und die Folgen des Klimawandels für Städte. (Bild: IISD/ENB)

Klimareporter°: Frau Ürge-Vorsatz, der Vorsitzende des Weltklimarates Jim Skea nannte die IPCC-Sitzung im chinesischen Hangzhou Anfang März die schwierigste, an die er sich erinnern könne. Sie schrieben wenige Tage später, Sie seien besorgt über die Zukunft des IPCC. Was meinen Sie damit?

Diana Ürge-Vorsatz: Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich hier als Wissenschaftlerin spreche, die den IPCC für sehr wichtig hält. Nicht in meiner Position als stellvertretende Vorsitzende des Weltklimarates.

Ich bin besorgt darüber, dass das sehr empfindliche Gleichgewicht zwischen Wissenschaft und Politik im IPCC aus der Balance geraten ist. Zum Beispiel fehlen in den jetzt vereinbarten inhaltlichen Gliederungen der Berichte viele wichtige Begriffe wie "Nationally Determined Contributions – NDCs", "Pariser Klimaabkommen", "Szenarien", "Pfade", "fossile Energien" oder "Elektrifizierung".

Diese Begriffe und Konzepte waren traditionell immer Teil unserer Arbeit und sind für eine politisch relevante Klimabewertung von grundlegender Bedeutung. Nun wurden sie an vielen Stellen gestrichen oder ersetzt.

Wie kam es zu dem Sinneswandel?

Das war die Entscheidung der Staaten. Die Auslegung des zentralen IPCC-Ansatzes, politische Vorschriften zu vermeiden, aber politische Relevanz zu wahren, hat sich in diesem Zyklus grundlegend geändert.

Da die Sachstandsberichte des IPCC in internationale Verhandlungen einfließen und zum Goldstandard der Klimawissenschaft geworden sind, haben sie weitreichende finanzielle, politische und wissenschaftliche Folgen. Es war verblüffend zu sehen, welch tiefgreifenden Einfluss vergangene IPCC-Berichte auf die Finanzierung von Wissenschaft, Forschung und Institutionen sowie auf die Klimafinanzierung hatten.

Ausschreibungen von Forschungsgeldern, Finanzierungsrichtlinien und vieles mehr werden selbst von kleinen Details in den Berichtsentwürfen stark beeinflusst. Die Art und Weise, wie bestimmte Begriffe in unseren Berichten definiert werden, kann darüber entscheiden, ob bestimmte Projekte von Geldinstituten finanziert werden.

Damit hat der IPCC eine große Verantwortung. Das sollte jedoch nicht zum Ausschluss von Begriffen führen, die etwa für die Bewertung der aktuellen politischen Bemühungen, der Erfolge und der Verbesserungsmöglichkeiten entscheidend sind. Zumal wir während dieses Bewertungszyklus wahrscheinlich eine Erwärmung um mehr als 1,5 Grad erreichen werden.

Besonders beunruhigend ist es, wenn Wissenschaftler, Forscher und Forschungsförderungen nun beschließen, sich aufgrund der Entwürfe neu auszurichten. Es ist zu befürchten, dass besagte Begriffe und Konzepte vermieden werden – das könnte tiefgreifende Auswirkungen auf die Klimawissenschaft haben.

Auch Abschnitte zur Abkehr von fossilen Brennstoffen, über Elektrifizierung und saubere Energieträger oder zur "Ex-post-Evaluierung" – also nachträgliche Bewertungen etwa von politischen Maßnahmen – fehlen in den endgültigen Entwürfen. Beeinträchtigt diese Verschiebung im politisch-wissenschaftlichen Ko-Prozess nun die Arbeit des IPCC?

Die wissenschaftspolitische Zusammenarbeit im Allgemeinen ist unsere Stärke und verleiht dem IPCC seine einzigartige Bedeutung. Die Tatsache, dass unsere Berichte so große Auswirkungen haben, bedeutet, dass dieser Prozess entscheidend ist und dass er funktioniert.

Auch die letzten Bewertungszyklen waren natürlich nicht frei von politischen Interessen – so etwas wie eine völlig objektive und neutrale Wissenschaft gibt es nicht. Wenn ein Land beispielsweise über große Feuchtgebiete verfügt, wird es sich dafür einsetzen, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf Feuchtgebiete und deren Rolle bei den Klimaschutzmaßnahmen in den Berichten thematisiert werden.

Aber das gefährdet nicht die Wissenschaft. Bislang haben sich die Verhandlungen im IPCC ausschließlich auf wissenschaftliche Argumente gestützt, und das unterscheidet sie beispielsweise von den Verhandlungen auf den Weltklimakonferenzen.

Aber der Ton in den Verhandlungen ändert sich, und das beunruhigt mich. Ich hoffe wirklich, dass wir zu den wissenschaftlich fundierten, wohlwollenden und kollegialen Gesprächen zurückkehren können.

Was bedeutet das konkret für die IPCC-Berichte? Werden Studien, die etwa die NDCs analysieren, nicht mehr berücksichtigt?

Das liegt jetzt im Ermessen der Autorenteams. Ich hoffe, dass es die Berichte nicht in einer Weise beeinflussen wird, die entweder die wissenschaftliche Integrität oder die politische Relevanz beeinträchtigt. Aber ich kann das nicht ausschließen.

Und ich befürchte, dass es bereits jetzt Auswirkungen auf die Wissenschaft hat. Die Wissenschaftler wollen in die IPCC-Berichte aufgenommen werden, und daher prägt der Entwurf die Forschung der nächsten Jahre.

Ich konnte bereits eine Art Selbstzensur beobachten. Wissenschaftler verwenden andere Begriffe und Wörter, um nicht zu riskieren, vom IPCC ignoriert zu werden.

Wir sprechen jetzt nur über den Entwurf, aber auch die endgültigen Berichte werden Zeile für Zeile von den Regierungen genehmigt. Muss dieses Format reformiert werden?

Zunächst einmal müssen nur die Zusammenfassungen für die politischen Entscheidungsträger von den Staaten genehmigt werden, nicht die eigentlichen Berichte – das ist ein wirklich wichtiger Unterschied.

Die zugrundeliegenden Berichte liegen vollständig in den Händen der Wissenschaftler. Ja, sie erhalten Kommentare sowohl von den Regierungen als auch von Wissenschaftlern, aber jeder Kommentar muss durch wissenschaftliche Literatur untermauert werden.

Diana Ürge-Vorsatz

hat an mehreren Berichten des Weltklimarates IPCC als Hauptautorin mitgewirkt und wurde 2023 zu einer von drei stellvertretenden IPCC-Vorsitzenden gewählt. Die ungarische Umweltphysikerin und Klimaforscherin ist außerdem Professorin an der Fakultät für Umweltwissenschaften und -politik der Central European University (CEU) in Budapest, die vor einigen Jahren nach Wien umziehen musste.

Und in den Zusammenfassungen haben die Vorschläge der Regierungen in der Vergangenheit oft dazu geführt, dass die Texte an Schärfe gewonnen haben. Vielleicht gehen manche Botschaften verloren, die einigen Wissenschaftlern besonders wichtig waren. Aber dafür kommen andere dazu, die die Wissenschaftler vielleicht weniger auf dem Radar hatten.

Wir müssen verstehen, dass der Klimawandel so komplex und interdisziplinär ist, dass es viele verschiedene und wertvolle Perspektiven gibt. In der Vergangenheit wurde der IPCC von einer weißen, männlichen, reichen Perspektive aus dem globalen Norden dominiert. Das hat sich glücklicherweise geändert, auch dank dieses Prozesses.

In den Zusammenfassungen für die politischen Entscheidungsträger mögen die Kernaussagen und Formulierungen vom Konsens der Regierungen abhängen, aber die Wissenschaft wird nicht beeinträchtigt. Alles wird nach wie vor auf der Grundlage des zugrunde liegenden Berichts geschrieben. Ja, es handelt sich um eine Koproduktion, aber genau das ist ihr Wert.

Schon in der Vergangenheit kritisierten Wissenschaftler das IPCC-Format und die IPCC-Berichte als zu konservativ und führten dies auf diese konsensbasierte Koproduktion zurück. Stimmt es nicht, dass frühere Sachstandsberichte das Tempo und die Auswirkungen der globalen Erwärmung unterschätzt haben, wenn wir beispielsweise den Anstieg der Meerestemperatur seit 2023 betrachten?

So klar finde ich das nicht. Sicherlich wurden einige Prozesse unterschätzt, aber das liegt auch an unserem mangelnden Verständnis.

Je besser wir unser Erdsystem verstehen, desto mehr negative Auswirkungen sehen wir leider. Ein Beispiel dafür ist das Säulendiagramm zu Klimarisiken. Dort wird das Risiko eines Ereignisses ins Verhältnis zur globalen Erwärmung gesetzt.

In den ersten Berichten begannen die höheren Risikostufen – dargestellt durch dunklere Farben – erst bei relativ hohen Temperaturen. Von Bericht zu Bericht begannen die dunkleren Farben immer früher – wir brauchten einfach Beweise, die der fortschreitende Klimawandel lieferte, um zu verstehen, dass viele Auswirkungen nicht linear verlaufen.

Aber insgesamt sehe ich keine Hinweise dafür, dass wir viele der Auswirkungen übersehen hätten. Tatsächlich könnten wir in einigen Punkten als zu alarmistisch kritisiert werden, und das geschah auch. Die Realität ist in manchen Fällen nicht so schlimm geworden wie prognostiziert.

Letztendlich ist das, was wir beim IPCC tun, ein Konsensprozess, und wir haben nicht genügend Seiten, um alle veröffentlichten Studien zu berücksichtigen. Die IPCC-Berichte können die Vielfalt aller Forschungsergebnisse nicht ausreichend abdecken, sodass extremere Ergebnisse möglicherweise nicht in den Bericht aufgenommen werden.

Das ist zwar richtig, aber es gibt viele andere wissenschaftliche Verfahren, um diese zu erfassen.

Frühere Berichte wurden auch dafür kritisiert, dass sie zu stark von Naturwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften dominiert seien und wichtige Themen und Disziplinen mit gesellschaftlichen Aspekten vernachlässigten. Beispielsweise die Politikwissenschaften oder die Psychologie, die sich mit der Frage beschäftigen, warum Gesellschaften nicht wissenschaftlich fundiert handeln. Haben die Kritiker:innen hier einen Punkt?

In der Vergangenheit war das sicherlich der Fall. Ursprünglich bestand der IPCC aus Meteorologen. Später kamen Ingenieure hinzu, um die Technologien zur Lösung des von den Meteorologen beschriebenen Problems bewerten zu können.

Als klar war, dass wir das Problem technisch lösen könnten, die Fortschritte aber nur begrenzt waren, zogen wir die Wirtschaftswissenschaften hinzu. Die Hypothese war: Die Lösungen werden nicht entsprechend umgesetzt, weil sie zu teuer sind.

Wie sich herausgestellt hat, sind die Kosten der Klimafolgen aber viel höher als die Kosten des Handelns. Dennoch wurden die notwendigen Maßnahmen nicht im erforderlichen Umfang und Tempo eingeleitet.

Daher wurden die Sozialwissenschaften in den IPCC-Pool aufgenommen. Die letzten Berichte waren beeindruckend interdisziplinär. Auch Studien über Klimawandelskeptizismus oder über den Einfluss industrieller Interessen auf Klimapolitik wurden einbezogen.

Am siebenten Sachstandsbericht des Weltklimarates wird seit 2023 gearbeitet. (Bild: IPCC)

Kommen auch dieses Mal neue Themen hinzu, die in der Vergangenheit vernachlässigt wurden?

Wir beheben auch dieses Mal wieder Versäumnisse früherer Berichte. Gerechtigkeit, Verluste und Schäden, gesellschaftliche Aspekte und Psychologie werden deutlich stärker betont.

Was mich jedoch beunruhigt, ist wie gesagt, dass Temperatur- und Emissionsziele, Netto-Null-Ziele, das Erreichen dieser Ziele sowie das Lernen aus früheren politischen Erfahrungen weniger im Fokus stehen.

Unsere Themensetzung hat großen Einfluss. Nur drei Jahre nach der Veröffentlichung unseres Sonderberichts zu 1,5 Grad globaler Erwärmung haben sich Länder, die 90 Prozent der globalen Emissionen abdecken, Netto-Null-Emissionsziele bis Mitte des Jahrhunderts gesetzt.

Das ist in unserem neuen Bericht erstmals erwähnt worden und stand damals überhaupt nicht auf der politischen Agenda. Um politisch relevant zu bleiben, muss der IPCC auch wissenschaftliche Belege für die Umsetzungspfade dieser ehrgeizigen, historisch beispiellosen Transformationen liefern.

In Hangzhou konnten sich die Staaten außerdem zum dritten Mal in Folge nicht auf ein Veröffentlichungsdatum für den neuen IPCC-Bericht einigen. Das entscheidet aber darüber, ob der neue Bericht rechtzeitig zur zweiten globalen Bestandsaufnahme der Vereinten Nationen erscheint, die 2028 abgeschlossen werden soll.

Es gab im Wesentlichen zwei gegensätzliche Positionen. Eine Gruppe von Ländern und auch die Mehrheit des IPCC-Präsidiums halten es für entscheidend, dass unser Bericht rechtzeitig für die globale Bestandsaufnahme veröffentlicht wird.

Eine andere Gruppe von Ländern argumentiert, dass die Veröffentlichung bis zum Sommer 2028 auf Kosten der Entwicklungsländer gehen könnte. Sie wären aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten nicht in der Lage, in einem so engen Zeitrahmen in vollem Umfang an dem Prozess teilzunehmen, so das Argument.

Dabei geht es nicht nur um Wissenschaftler, sondern auch Regierungsvertreter. Sie hätten Sorge, nicht an allen Aufgaben – Überprüfungen, häufige Plenarsitzungen – teilnehmen zu können, so die Argumentation.

Länder wie Indien, Algerien und Südafrika äußern Bedenken, ob mit dem knappem Zeitplan der Prozess hinreichend inklusiv sein kann. Ist das nicht ein Argument?

Inklusion war im IPCC schon immer ein großes Thema, und das zu Recht. Ich weiß, dass viele meiner Kollegen zum Beispiel mit Internetproblemen und einem schlechten Zugang zu wissenschaftlicher Literatur zu kämpfen haben.

Aber der Zeitplan des IPCC ist sehr genau geprüft worden und steht in vollem Einklang mit denen früherer Berichtszyklen. Es ist also zumindest fraglich, ob der vorgeschlagene Zeitplan wirklich zu knapp bemessen ist.

Nichtsdestotrotz, die wachsende Menge an wissenschaftlicher Literatur und die insgesamt schwierigen Umstände von vielen Entwicklungsländern müssen ernst genommen werden. 

Was würde es denn für die zweite globale Bestandsaufnahme bedeuten, wenn der IPCC-Bericht nicht rechtzeitig erscheint?

Es ist kein Zufall, dass sich fast jeder UN-Klimabeschluss auf unsere Berichte bezieht. Der IPCC hat sich in den letzten Jahrzehnten seinen Ruf als wissenschaftliches Rückgrat der internationalen Klimadiskussion zu Recht erarbeitet.

Da andere wissenschaftliche Dokumente nicht diese internationale Überprüfung und Koproduktion hinter sich haben, können sie von den Regierungen leichter ins Visier genommen und infrage gestellt werden. Das würde dann auch für die globale Bestandsaufnahme gelten.

Genau dieser zwischenstaatliche Wissens-Koproduktions- und Genehmigungsprozess ist der Grund dafür, dass der IPCC international ein so hohes Ansehen und Vertrauen genießt.

 

Ist es nur diese Ko-Produktion, die den Berichten ihre besondere Bedeutung gibt?

Das ist der Hauptgrund, aber es gibt weitere Aspekte. Jeder im IPCC macht seine Arbeit auf freiwilliger und unentgeltlicher Basis. Das ist extrem wichtig, denn das bedeutet, dass wir es aus Überzeugung tun.

Dadurch wird der Einfluss von außen auf unsere Berichte minimiert, weil die Leute unentgeltlich und unter sehr strengen Verfahren zur Vermeidung von Interessenkonflikten mitarbeiten.

Der IPCC selbst erhält auch kein Geld von Stiftungen oder Unternehmen, sondern nur von den Mitgliedsstaaten. Und selbst die Regierungen können nicht bestimmen, wie das Geld ausgegeben wird.

Es fließt alles in einen großen Topf, über den dann der gesamte IPCC entscheidet. Das bedeutet, dass unsere Unabhängigkeit mit großem Aufwand gewahrt wird. Ich kenne keine andere Organisation in der Klimawissenschaft, die diese Autorität hat.

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